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Exklusiv „Gorillas 2.0“ – der Geheimplan des Liefer-Start-ups

Gorillas-Fahrer im Einsatz in Düsseldorf
Gorillas-Fahrer im Einsatz in Düsseldorf
© Michael Gstettenbauer / IMAGO
Gorillas und andere Start-ups drängen massiv in deutsche Städte, sie versprechen Supermarkteinkäufe in weniger als zehn Minuten nach Hause zu liefern. Doch lassen sich mit dem Geschäft Gewinne erzielen? Interne Unterlagen zeigen nun, wie Gorillas das schaffen will

Als jüngst die Fahrer von Gorillas vor einem Lager des 10-Minuten-Lieferdiensts protestierten , hatten sie in großen Lettern auf ein Plakat geschrieben: „Unsere Solidarität ist größer als eure Profite.“ Die Kurierfahrer, die sich in den vergangenen Wochen mehrfach mit dem Management des gehypten Liefer-Start-ups anlegten, hatten dabei eines nicht bedacht: Gorillas macht bislang gar keine Profite.

Das Rennen um die Vorherrschaft unter den superschnellen Lieferdiensten frisst bislang jegliche Einnahmen. Die Frage, ob sich dieses Geschäft überhaupt einmal gewinnbringend betreiben lassen wird, spaltet selbst die Wagniskapitalgeber, die mit ihren Millioneninvestments die neue Riege der Flash-Supermärkte bislang finanzieren.

Die Berliner Firma Gorillas ist darunter der bekannteste Anbieter, der mit seinem Lieferservice im Juni 2020 in Berlin gestartet ist. Das Werbeversprechen, Lebensmittel und Getränke zu Ladenpreisen innerhalb von zehn Minuten an die Haustür zu liefern, war damals noch völlig neu. Inzwischen sind eine Handvoll weitere Start-ups mit demselben Konzept in den deutschen Markt eingestiegen, darunter Getir, Flink, Grovy und die Delivery-Hero-Marke Foodpanda.

Capital.de liegen nun interne Geschäftspräsentationen aus dem Frühsommer 2021 vor, die Einblicke in die Strategie von Gorillas geben. Sie zeigen auf, wie das Start-up sich in den kommenden Monaten weiter entwickeln will, um künftig Geld zu verdienen. „Gorillas 2.0“ heißt dieser ambitionierte Plan.

Nur die Größten gewinnen

In der aufziehenden Lieferschlacht gilt zunächst: Nur die Größten gewinnen, schon aus diesem Grund stehen die Zeichen auf aggressives Wachstum. Nur so kann es gelingen, dass die Kunden die eigene App bei einer anfallenden Bestellung ansteuern – und die Kuriere genügend Fahrten pro Stunde absolvieren können.

Für diesen Wachstumsplan hat Gorillas schon im ersten Jahr mehr als 100 Warenlager in europäischen Metropolen eröffnet. Bis Jahresende sollen es 500 sein, wie die Unterlagen zeigen. Deutschland und die USA sind demnach die wichtigsten Schauplätze der Lieferschlacht. Genau diese Warenlager muss Gorillas gut auslasten, um Gewinne einzufahren.

Ein Rechenbeispiel aus der Präsentation zeigt: Bei einer Bestellung in Höhe von 23,80 Euro plus 1,80 Euro Liefergebühr bleibt am Ende ein Deckungsbeitrag von lediglich 25 Cent. Der größte Kostenpunkt ist der Einkaufspreis der Ware, gefolgt von den Personalkosten für die Kurierfahrer und Lageristen. Dies ist der Fall bei rund 1.100 Bestellungen pro Tag.

Schafft das Unternehmen 700 weitere Orders pro Standort und einen leicht höheren Bestellbetrag, steigt auch der Deckungsbeitrag auf 3,59 Euro. Mit mehr Bestellvolumen und höherer Auslastung bleibt auch eine höhere Marge, rechnet das Unternehmen vor. Und die allgemeinen Kosten für IT, Verwaltung und Marketing schlagen nicht mehr so stark ins Gewicht – sie dürften bislang zu einem wesentlichen Teil für die Verluste verantwortlich sein.

Doch an diesem Punkt ist Gorillas – Stand Frühsommer 2021 – noch nicht. Die meisten Warenlager schaffen bislang weniger als 1.000 Bestellungen pro Tag, auch der durchschnittliche Bestellwert liegt noch bei rund 20 Euro.

Langfristig will Gorillas eine echte Alternative zum Supermarkteinkauf sein. „Wir erwarten, dass wir circa 50 Prozent der Lebensmittel-Ausgaben unserer Kunden einnehmen werden“, heißt es auf einer Folie der internen Präsentation. Schon in diesem Jahr sollen die monatlichen Einnahmen pro Kunde auf 250 Euro steigen, bislang liegen sie laut Präsentation bei 115 Euro pro Monat.

„Gorillas 2.0“ – der Geheimplan

All das sind ambitionierte Ziele. Um sie zu erreichen, hat das Start-up unter dem Namen „Gorillas 2.0“ intern einen Fahrplan für die nächsten Monate entworfen. Ziel ist es, die Wirtschaftlichkeit zu verbessern. Der Plan gliedert sich in vier Säulen:

  • Sortiment erweitern: Die meisten Kunden kaufen gern alles aus einer Hand. Im E-Commerce gilt daher: Je größer die Auswahl, desto wahrscheinlicher sind große Warenkörbe. Derzeit führt Gorillas je nach Standort 1.500 bis 2.700 Artikel im Sortiment, wie der Geschäftsbericht zeigt. Zum Vergleich: Bei Rewes Lieferdienst sind es an die 20.000. Wenn Gorillas den durchschnittlichen Bestellwert nach oben treiben will, muss es also perspektivisch mehr anbieten. Dem internen Fahrplan zufolge will das Start-up daher künftig auch eine Art Online-Apotheke anbieten. Zudem will es auf Eigenmarken setzen, dort sind die Margen besser. Ein breiteres Sortiment könnte sich zusätzlich positiv auf die Verhandlungsposition gegenüber Lieferanten auswirken. Wer größere Mengen einkauft, bekommt bessere Konditionen.
  • Neue Einnahmequellen: Neben den Erlösen aus dem reinen Liefergeschäft will Gorillas offenbar auch seine App monetarisieren. In dem internen Fahrplan ist von Werbung, Partnerschaften und Treueprogrammen sowie einer eigenen Kreditkarte die Rede.
    Auch aus diesem Grund ist schnelles Wachstum entscheidend: Ab einer gewissen Kundenzahl wird der Online-Supermarkt nämlich zu einer relevanten Bühne für Händler und Marken. In der Präsentation sind von aktuell 800.000 App-Downloads die Rede, etwa 30 Prozent der Nutzer bestellen tatsächlich etwas. Hinzu kommt, dass Gorillas die Vorlieben seiner Kunden genau analysieren kann. Somit wäre auch personalisierte Werbung möglich.
  • Automatisierung der Lager: Das Einsammeln, Scannen und Verpacken der Ware – im Fachjargon Picking genannt – läuft bisher weitestgehend händisch ab, ausgeführt von Menschen. Mit der Erweiterung des Sortiments wird diese Aufgabe zunehmend komplex. Gorillas hat sich deshalb eine Optimierung der digitalen und physischen Prozesse im Warenlager vorgenommen. Das könnte zum Beispiel durch Investitionen in bessere Software und Datenanalyse gelingen. Zudem erwähnt das Start-up den Einsatz von Robotern in seinem Gorillas-2.0-Fahrplan.
  • Neue Standorte: Gorillas strebt offenbar eine noch dichtere Präsenz in den Städten an, um näher beim Kunden zu sein. Der Lieferradius soll künftig kleiner werden, die Zahl der Warenlager dafür größer. Der Lieferdienst will sich zuerst in Metropolen ab 250.000 Einwohnern ausbreiten und rechnet hier mit mindestens fünf Liefergebieten pro Stadt. Inzwischen hat das Unternehmen allerdings auch kleinere Städte im Portfolio, etwa Heidelberg oder Fürth.

Bisher hält Gorillas seine Zehn-Minuten-Regel in fast allen Städten ein. In London ist der Dienst laut internen Unterlagen mit einer Lieferzeit von unter acht Minuten am schnellsten. In Berlin, der langsamsten Stadt, liegt man bei fast 14 Minuten. Für das Leistungsversprechen nimmt das Start-up allerdings Verluste in Kauf – so lange die Investorengelder fließen, ist das kein Problem. Zurzeit befindet sich Gorillas auf der Suche nach einer Summe von 1 Mrd. Dollar, um die ambitionierten Pläne zu finanzieren.

Auf dem Papier ist also möglich, das Geschäft profitabel zu betreiben – der Beweis für die Umsetzung in der Realität steht indes noch aus.

Weitere Geschäftszahlen aus den Unterlagen (Stand: Frühsommer 2021):

  • In den ersten vier Monaten des Jahres setzte die Firma 20 Mio. Euro um
  • Wenn man die Umsätze im Frühsommer fortschreibt, soll ein Jahresumsatz von rund 150 Mio. Euro möglich sein
  • Die Marketingausgaben, um einen Kunden zu gewinnen, sollen bei acht Euro liegen – ein extrem guter Wert. Viele Start-ups geben teilweise Hunderte Euro aus.
  • Der durchschnittliche Warenkorb liegt bei rund 20 Euro, die monatlichen Ausgaben insgesamt bei 115 Euro. Das heißt: Die Nutzer bestellen fast sechs Mal pro Monat – ein Wert, der nach dem Lockdown gesunken sein dürfte.
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