Selbst in der dunkelsten Stunde trägt die Erleichterung noch seinen Namen: Es war Donald Trump, der das von ihm in Marsch gesetzte "Volk" aufforderte, brav nach Hause zu gehen und das gestürmte Kapitol zu räumen. Der Putschist vertagt den Staatsstreich, er zieht seine Fußtruppen zurück und twittert. "Solche Dinge und Ereignisse geschehen, wenn den großartigen Patrioten, die so lange schlecht und unfair behandelt wurden, ein heiliger Erdrutschsieg so kurzerhand und bösartig entrissen wird. Geht heim in Liebe und in Frieden. Erinnert euch für immer an diesen Tag!" Twitter war es dann auch genug, die Plattform sperrte den Account des noch amtierenden US-Präsidenten. Aber nur temporär, am Donnerstagabend gab die Plattform ihn wieder frei.

Trump, so säuselten seine Verharmloser und transatlantischen Gesundbeter einst im Chor, ist nur der Idiot der Familie, ein Solist und Sonderling, ein mäßig Verrückter, so verrückt wie seine martialischen Fans vom lunatic fringe, vom Narrensaum der Gesellschaft.

Aber Trump ist kein Einzeltäter. Er war der Kandidat einer Gruppe umstürzlerischer Konservativer, die die Theorie lieferten, die ihr Präsident dann in die Praxis verwandeln sollte. Trump war die Königsfigur auf dem Schachbrett einer rechten Revolution.

Wie sehr er dies war, dokumentiert ein Manifest, das am 5. September 2016 erschienen war, kurz vor den damaligen US-Präsidentschaftswahlen. Gewiss, es handelte sich nicht um eine Regieanweisung für den tätlichen Angriff auf den Kongress über vier Jahre später, wohl aber um eine Gedankenanweisung, um einen intellektuell veredelten putschistischen Traum. Von einer "zweiten Revolution" ist darin die Rede, auch von einer cäsaristischen Option. Es war die geistige Munition für einen Staatsstreich.

Ein Gedankendrehbuch

Fällt jetzt der Name Steve Bannon? Ist die Rede von jenem bekennenden Rechtsradikalen, der immer wieder gern den italienischen Faschisten Julius Evola zitiert und der es – unfassbar genug – zu Trumps Wahlkampfleiter und Berater im Weißen Haus brachte?

Nein, das Gedankendrehbuch stammt nicht von Bannon, es stammt von einem Autor, der sich zunächst nur unter dem lächerlich anmaßenden Pseudonym Publius Decius Mus an die Öffentlichkeit wagte, dem Namen eines opferbereiten römischen Konsuls. Dahinter steckte der Autor Michael Anton, erst Redenschreiber im National Security Council von George W. Bush, später von Donald Trump ins selbe Gremium als Kommunikationsberater berufen.

Fast alles, was sein Dienstherr (Anton verließ den Nationalen Sicherheitsrat dann 2018) an vulgären Phrasen in die Welt blasen wird, hat er in seinem Aufsatz The Flight 93 Election im Jahr 2016 kristallklar und handgreiflich ausgebreitet; in ihm finden sich sämtliche Kampfbegriffe und Delegitimationsfiguren, mit denen Donald Trump als Präsident in seiner Amtszeit auf Jagd gehen wird. Im Sturm auf das Kapitol in Washington, D. C., das Heiligtum der US-amerikanischen Demokratie, fand das Programm sein logisches Ende. Aus Worten wurden Taten, auch wenn Michael Anton diesen Übergang von Theorie in Praxis nicht gewollt haben kann.

Erschienen ist Antons Furore machender Aufsatz in der anspruchsvollen Claremont Review of Books, der Zeitschrift eines piekfeinen philosophischen Instituts in Kalifornien, an dem Anton studiert hatte und in dem die Vordenker eines aggressiven Konservatismus zu Hause sind. Ihr Auftritt ist stets vornehm neo-antik, ihre Säulenheiligen heißen naturgemäß Plato und Aristoteles, ihre Helden sind der konservative, seinerzeit vor Hitler geflohene Philosoph Leo Strauss sowie ein paar handverlesene Autoren der deutschen konservativen Revolution.   

Wie alle "Claremonsters" ist auch Michael Anton davon überzeugt, dass Amerikas Demokratie keine mehr ist. Die Nation wurde von ihren inneren Feinden gekapert, genauso, wie am 11. September 2001 islamistische Terroristen den United-Airlines-Flug Nr. 93 gekapert hatten, um die Maschine in Washington, D. C., gezielt zum Absturz zu bringen, offenbar um sie entweder ins Weiße Haus stürzen zu lassen – oder in das Kapitol. Der Plan misslingt, Passagiere versuchen, das Cockpit zu stürmen, das Flugzeug zerschellt schließlich auf einem Acker in Pennsylvania. Alle Insassen sterben.

Das ist das denunziatorische Bild, das Anton in seinem berühmt-berüchtigen Aufsatz suggestiv in Anschlag brachte: Das Flugzeug am Himmel – das ist für ihn das ehemals stolze Amerika, die Supermacht, die von einer gefährlichen Elite in den Abgrund gesteuert wird. Im Cockpit sitzen bei ihm der Clinton-Clan, das Washingtoner Establishment, linke Medien ("völlig korrupt"), linke Akademiker, linke Intellektuelle, die rachsüchtigen social justice warriors, die Fans von politischer Korrektheit und Identitätspolitik, aber auch Neoliberale, Davoser Oligarchen und andere Freihandelsdogmatiker. Alle zusammen haben die USA durch einen klandestinen Staatsstreich in ihre Gewalt gebracht und sich das Land unter den Nagel gerissen.

In Antons Horrorgemälde kommt nun alles darauf an, die Nation zu retten und die Verschwörer aus der politischen Kanzel zu verjagen. Oder um im Bild zu bleiben: Die Passagiere müssen in das Cockpit eindringen und die Entführer unschädlich machen.