AboAkribischer Zürcher Winzer Er wollte nur seinen Wein beobachten und belegte so den Klimawandel
Kaspar von Meyenburg vermerkt seit 27 Jahren, wann seine Reben reif sind. Seine Resultate: erstaunlich deutlich. Das hat auch Auswirkungen auf andere Winzer.

Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis der Rekord zum Normalfall wird. Zwar sind die Trauben auf dem herrschaftlichen Schipfgut direkt am See in Herrliberg nie mehr so früh reif geworden wie im Rekordsommer 2003, doch wohin der Trend geht, ist klar. Dies lässt sich aus den Tabellen und Grafiken herauslesen, die Gutsbesitzer und Winzer Kaspar von Meyenburg seit 27 Jahren in einem blauen Ordner sammelt. Alles fein säuberlich geführt, für all seine Arbeiten mit den Trauben.
Die Notizen des 79-jährigen ehemaligen Professors für Mikrobiologie an der Universität in Kopenhagen weisen nach, was Winzer und Bauern nicht nur in der Region immer wieder sagen: Durch das wärmere Wetter verschiebt sich die Erntezeit nach vorne. Es sind die Auswirkungen der Klimaerwärmung.

Von Meyenburg hält in einer seiner Tabelle akribisch fest, wann die Trauben 78 Grad Oechsle erreichen. Über den Oechsle-Wert lässt sich ermitteln, wie viel Zucker sich in den kleinen Früchten entwickelt hat und damit auch, welchen Alkoholgehalt der Wein damit erreichen kann. Von Meyenburgs Daten weisen in eine Richtung: Die Trauben sind heute rund einen Monat früher reif als noch vor 25 Jahren. Mitte der 90er-Jahre wurde der Wert erst zwischen Ende September und fast Mitte Oktober erreicht.
Aus den Daten stechen die beiden Hitzesommer hervor: 2003 hatten die Weissweintrauben die 78 Grad Oechsle bereits am 26. August erreicht, im ebenfalls heissen Sommer 2018 war es nur zwei Tage später. Dieses Jahr war es am 8. September so weit.

Die Veränderungen gehen aber über den Zeitpunkt der Reife hinaus. Von Meyenburg misst heute in seinen Weinbergen Werte, die er selber vor 30 Jahren noch kaum für möglich gehalten hat. Mitte der 90er-Jahre jubelten wir, wenn wir nur schon 90 Grad erreichten», sagt er. Heute seien 100 Grad Oechsle keine Seltenheit mehr. «Die Auswirkungen für den Weinbau selber seien sicher positiv», sagt er. Damit lassen sich Weine am Zürichsee erzeugen, von denen die Vorgänger des heutigen Schipf-Besitzers nicht einmal träumen konnten. «Es ist heute möglich, komplexere Weine zu keltern.»
Den Charakter des Zürichsees beibehalten
Sieghard Vaja führt das Weinbauzentrum in Wädenswil seit Anfang Jahr. Auch ihm sind die Veränderungen im Weinbau aufgefallen. Und das nicht nur in Zürich. So würde neuerdings in England Schaumwein hergestellt und in den Niederlanden Weinreben gezogen.
Vor allzu starken Veränderungen warnt jedoch Sieghard Vaja. Für den Experten ist es wichtig, dass die Winzer am Zürichsee den Charakter ihrer Weine beibehalten – auch wenn durch das wärmere Klima ganz andere Erzeugnisse möglich würden. «Die Weine vom Zürichsee sollen weiterhin nach dem Zürichsee duften – ihre Stärken sind ihre knackige Säure und ihre Frische.» Momentan könnten das die Winzer durch Anpassungen im Weinbau erreichen – im Weinberg ebenso wie im Weinkeller.
Doch mittel- und langfristig müssen möglicherweise Reben ersetzt werden, um dieses Ziel zu erreichen. Bei Sorten wie dem Pinot noir könnten andere Klone eingesetzt werden, sagt Vaja. Oder die Winzerinnen und Winzer setzten auf neue, schädlingsresistente Sorten wie den Sauvignon gris.
«Ich gehöre nicht der Klimajugend an, nicht nur des Alters wegen. Doch ich muss ihr recht geben. In der Klimafrage hat die Politik versagt.»
Trotz neuen Oechsle-Rekorden: Ums Jubeln ist es Kaspar von Meyenburg nicht. Die Resultate seiner Studien findet er bedenklich. «Ich gehöre nicht der Klimajugend an, nicht nur des Alters wegen – doch ich muss ihr recht geben», sagt der Senior, dem man seine fast 80 Jahre kaum ansieht. «In der Klimafrage hat die Politik versagt.» Spätestens seit den Publikationen von Al Gore, dem ehemaligen Vizepräsidenten der USA und Friedensnobelpreisträger, wisse man um die Gefahren der Klimaerwärmung. Doch ernst genommen habe die Politik die Warnungen bisher nur zögerlich.

Vor 14 Jahren konnte von Meyenburg hoch über Herrliberg bei der kleinen Kirche Wetzwil ein Stück Landwirtschaftsland kaufen. Den grössten Teil hat er zwar verpachtet. Momentan wächst darauf Mais. Doch auf einem kleinen Teil hat von Meyenburg einen kleinen Weinberg angelegt. Auf 650 Metern über Meer dürfte es der höchste sein im Kanton Zürich. Dort lebt von Meyenburg seinen Forschungsdrang weiter aus.
Er hat hier vor 12 Jahren mit einem Versuch begonnen: 20 verschiedene Traubensorten lässt er hier gedeihen. «Dieses Grundstück ist ähnlich wie meine Weinberge unten in der Schipf am See», sagt er, «gegen Südwest ausgerichtet mit einer vergleichbaren Neigung.» Der Unterschied? Die Höhe. 200 Höhenmeter Differenz sind es. Die Trauben werden dort zwei bis vier Wochen später reif als unten am See. Misst er mit seinem Refraktometer die Oechsle-Werte der Trauben, zeigen diese Zahlen an, wie er sie vor 25 Jahren noch in seinem Schipfgut erreichte.

Land für Weinbau am See ist zu teuer
Seine Grafiken, seine Daten, sein Versuchsweinberg überzeugen von Meyenburg fest davon, dass Weinbau schon heute an solch erhöhten Lagen plötzlich möglich ist. Zwei Probleme liessen sich damit lösen, glaubt er. Zum einen ist es eine Antwort darauf, wie Winzer in der Region auf die Klimaerwärmung reagieren können. Zum anderen ist es heute unten direkt am See nicht mehr möglich, neue Grundstücke für den Weinbau zu finden – das Land dort ist zu begehrt und zu teuer.
Den Siedlungsdruck betrachtet auch Sieghard Vaja vom Weinbauzentrum Wädenswil als eine der grössten Bedrohungen des Weinbaus am Zürichsee. «Es verschwinden immer wieder Rebberge, weil dort Häuser gebaut werden», sagt er. Vor 100 Jahren habe das Rebbaugebiet am Zürichsee 1300 Hektaren betragen, heute seien es nur noch zwischen 110 und 120. Höhere Lagen sieht auch er als einen Ausweg davon.
Noch produziert von Meyenburg keinen speziellen Wein mit den Trauben vom Berg. Dafür sind die Mengen, die er dort erntet, noch zu klein. Und selbst wenn er in Zukunft es tun würde, ein Pionier wäre er nicht. Vor über 100 Jahren gab es bereits einen Wetzwiler Wein. An denselben Hängen standen Reben, wie alte Karten zeigen. Also doch alles beim Alten? Von Meyenburg winkt ab. Mit dem heutigen Wein seien die damaligen nicht zu vergleichen. «Es war ein saures Getränk, das man damals vorgesetzt bekam.»
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