140 Mitarbeitende der Arztrufzentrale NRW freigestellt

Stand: 15.03.2023, 19:43 Uhr

Das Duisburger Unternehmen "Arztrufzentrale NRW GmbH" hat vergangene Woche Dienstag fast die gesamte Belegschaft mir sofortiger Wirkung freigestellt – nach einem kurzen Meeting und ohne Vorwarnung, sagen Betroffene.

Von Ralph Brix

Die Arztrufzentrale NRW GmbH betrieb bis zum 7. März die zentrale Nummer des Ärztlichen Notfalldienstes (116 117) und ist eine Tochtergesellschaft der Kassenärztlichen Vereinigungen Nordrhein (KVNO) und Westfalen-Lippe (KVWL).

Schock bei der Belegschaft

Bei einem Videomeeting hatte die Belegschaft von den Plänen der KVen erfahren, die GmbH bis Ende März abwickeln zu wollen. Selbst den Betriebsrat hatten die beiden für die Abwicklung zuständigen Liquidatoren erst wenige Minuten vor dem Meeting informiert.

"Und dann wurde uns in siebeneinhalb Minuten erzählt, dass es diesen Dienst nicht mehr geben wird, dass wir alle gehen sollen, dass wir unverzüglich die Räumlichkeiten verlassen sollen", berichtete eine Mitarbeiterin.

Mahnwache der entlassenden Beschäftigten einer Arztrufzentrale in Duisburg

Um dieser Aufforderung Nachdruck zu verleihen, hatten die Verantwortlichen einen Sicherheitsdienst bestellt. Schon während des Meetings waren alle Arbeitscomputer gesperrt und Türschlösser und -Codes ausgetauscht worden. Die Beschäftigten seien aufgefordert worden, alle persönliche Gegenstände in blaue Müllsäcke zu packen und diese mitzunehmen, erzählten die Betroffenen am Folgetag bei einer Mahnwache.

Zuständiges Ministerium äußert sich ungewöhnlich deutlich

Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales

Der Vorfall beschäftigt nun auch die Politik. Die SPD-Landtagsfraktion hat eine sogenannte Berichtsanfrage gestellt. Inhalt: 13 Fragen an das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales in NRW - kurz MAGS. Kassenärztliche Vereinigungen sind Körperschaften öffentlichen Rechts und das MAGS hat die Rechtsaufsicht.

Inzwischen hat das Gesundheitsministerium auf Anfrage des WDR erstmals Stellung bezogen: "Vor diesem Hintergrund findet das MAGS es sehr bedauerlich, dass bei der Neuorganisation versäumt wurde, die Konsequenzen für die Beschäftigten, für die es in dieser Frage um ihre wirtschaftliche Situation und ihre beruflichen Perspektiven geht, rechtzeitig zu bedenken und zu berücksichtigen." Ein Sprecher teilte zudem mit: "Das Vorgehen des Arbeitgebers, so wie es dem Ministerium bislang berichtet wurde, entspricht nicht dem Bild von sozialpartnerschaftlichem Umgang miteinander."

Scharfe Kritik kommt auch von den Gewerkschaften. Verdi-Gewerkschaftssekretär Tim Köhler bezeichnete den Vorgang als "asozial", Angelika Wagner vom DGB Niederrhein spricht von einem "Skandal".

KVNO: Sozialverträgliche Umsetzung der Liquidation ist "sehr wichtig"

Aufschrift Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein

Zu den Vorwürfen der Betroffenen wollen sich die beiden Kassenärztlichen Vereinigungen derzeit nicht äußern. Auf WDR-Anfrage verwiesen Sprecher auf eine gemeinsame Pressemeldung vom 7. März 2023. Demnach würde die Nummer 116 117 des ärztlichen Notfalldienstes und der Terminservicestelle ab dem 7. März "neu organisiert" werden. Ziel sei "ein verbesserter Service in den Landesteilen Nordrhein und Westfalen-Lippe. Dabei bleibt die vertraute Nummer der Hotline selbstverständlich erhalten."

Die Dienstleistungen der Arztrufzentrale NRW würden neu organisiert, um die Qualität und Erreichbarkeit der Servicenummer in NRW zu verbessern, heißt es weiter. "Die beiden Gesellschafter der ARZ haben deshalb entschieden, den Betrieb der Hotline im jeweiligen Landesteil ab sofort eigenständig durchzuführen." Eine sozialverträgliche Umsetzung der Liquidation sei den ARZ-Gesellschaftern dabei "sehr wichtig".

Sozialplanverhandlungen und Jobangebote

Wie ernst die Gesellschafter das meinen, muss sich nun in den Gesprächen mit dem Betriebsrat über einen Sozialplan zeigen. Eine erste Chance haben sie bereits vertan: Niemandem der bisherigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der GmbH hat man angeboten, nun direkt bei den KVen zu arbeiten und dort den gesetzlich vorgeschriebenen Arztrufdienst weiter zu betreiben.

Das ist bemerkenswert. Denn inzwischen haben sowohl eine große Krankenkasse als auch die Stadt Duisburg bereits Interesse bekundet, einige der ehemaligen Service-Mitarbeitenden anstellen zu wollen. "Wir reden hier über wirklich qualifizierte Mitarbeitende. Und wenn man als Unternehmen 150 qualifizierte Mitarbeiter auf die Straße setzt, dann muss man damit rechnen, dass es eben auch andere Angebote gibt." stichelt Duisburgs Stadtdirektor Martin Murrack.

Dass die Sozialplanverhandlungen reibungslos verlaufen, ist schwer vorstellbar. Die Gräben zwischen den Verhandlungspartnern sind tief. Betriebsratsvorsitzender Guido Geduldig sieht seit Längerem Probleme, die ein vertrauensvolles Miteinander belastet hätten: "Die KVen wandten äußerst kreative Lösungen an, um die betriebliche Mitbestimmung auszuhebeln, und schreckten dabei auch nicht davor zurück, die Grenzen der Legalität auszutesten und möglicherweise zu überschreiten."

Daher will das MAGS den Streitparteien raten, sich von einer landeseigenen Beraterfirma bei den anstehenden Verhandlungen unterstützen lassen. Voraussetzung: Beide Seiten müssen diesem Vorschlag aber erstmal zustimmen.

Über dieses Thema berichten wir auch im WDR-Fernsehen am 15.3.2023: Lokalzeit aus Duisburg, 19:30 Uhr.