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Cannabis in einer Apotheke
Bis März mussten Apotheker bei medizinischem Cannabis eine Marge von 100 Prozent veranschlagen.

Diesen Artikel könnt ihr euch auch anhören. Die Audio Story findet ihr unter dem Text.

Medizinisches Cannabis war 2019 eines der Hype-Themen in der deutschen Startup-Szene. Mehrere Firmen sammelten Millionenbeträge ein, um importierte Cannabisblüten an Apotheken zu verkaufen. Ein Geschäftsmodell, das mittlerweile nicht mehr skaliert. Während im vergangenen Jahr noch sechsstellige Umsätze im Monat lockten, sind sie heute auf fünfstellige Beträge geschrumpft.

Der Grund: Mehr als 50 Händler haben die offizielle Erlaubnis, medizinisches Hanf in den Umlauf zu bringen – Tendenz steigend. Mehr als die Hälfte der Cannabisblüten stammte im vergangenen Jahr aus den Niederlanden, vom Hersteller Bedrocan. Die deutsche Cannabisagentur teilt das Marihuana aus dem Nachbarland gleichmäßig auf alle Händler auf. Wollen mehr Betriebe auf dem Markt mitmischen, schrumpft die Menge pro Händler – und damit auch deren Umsatz.

Farmako-Deal zeitweise nur noch ein Fünftel wert

 

2019 machten deutsche Startups insgesamt etwa 123 Millionen Umsatz mit medizinischem Cannabis, so der Arzneimittelverband GKV Gamsi. In dem Jahr importierte Deutschland 6,5 Tonnen Cannabisblüten. Das ergab die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken. In den ersten zwei Monaten 2020 war es rund eine Tonne, hochgerechnet auf das gesamte Jahr 2020 wird sich die Menge im Vergleich zum Vorjahr also voraussichtlich nicht wesentlich erhöhen.

 

Einige Startups beziehen Produkte aus beispielsweise Kanada oder Portugal. Diese Farmen haben von der EU eine Lizenz dafür erhalten, dass sie regelkonform Hanf anbauen. Der Prozess ist allerdings kompliziert, was auch Sebastian Diemers Farmako im vergangenen Sommer einsehen musste. Ein groß angepriesener Deal mit einem mazedonischen Anbauer platzte, weil dieser schlussendlich keine Genehmigung bekam. Diemer hat Farmako im Oktober dann für 15 Millionen Euro an den kanadischen Produzenten Agraflora verkauft. Ein wesentlicher Teil des Deals waren Aktien am neuen Mutterkonzern, die wochenlang nur noch gut ein Fünftel wert waren. Seit Mitte Mai explodiert das Wertpapier allerdings – von einst ein paar Cents auf aktuell etwa 19 Euro.

Farmako-Mitgründer Niklas Kouparanis, den verärgerte Gesellschafter im Juli noch aus dem Management schmissen, ist seit der Übernahme Managing Director von Agraflora Europe. Dahinter verbirgt sich das alte Farmako-Team mitsamt Diemer, das den europäischen Markt des börsennotierten Cannabishändlers aufbauen soll, wie Kouparanis auf Anfrage von Gründerszene schreibt. Insgesamt 2,1 Millionen Euro setzte Farmako im vergangenen Jahr um.

Cannabisforschung aufgegeben

Die Forschungseinheit, die der Gesellschafter Heartbeat Labs wegen der Unstimmigkeiten mit dem Management abgespalten hatte, besteht noch. Synbionik habe allerdings eine neue Richtung eingeschlagen, die nichts mehr mit synthetischem Cannabis zu tun hat, so eine Sprecherin des VCs. Worum es sich dabei handelt, will sie nicht sagen.

Das Kölner Startup Cannamedical, einer der ersten Anbieter auf dem deutschen Markt, macht mittlerweile „gesunde zweistellige Millionenumsätze mit Cannabisblüten“, sagt Gründer David Henn im Gespräch mit Gründerszene. Obendrein verkauft Cannamedical Medikamente unter eigenem Label, was seinen Angaben zufolge noch mehr Geld einbringe. Das 2016 gegründete Startup habe Lieferanten aus mehreren Ländern, der Umsatz wachse monatlich um 50 Prozent. Demnächst wolle das Unternehmen in weitere Länder expandieren.

Der Ansatz von Cannamedical – ein Netzwerk aus Partnern aufbauen, um die hohe Nachfrage bedienen zu können – scheint zu funktionieren. Investoren schätzen das Modell: Im April haben die Kölner 12 Millionen Euro eingesammelt. Weiteres Kapital solle demnächst in einem Second Closing fließen, so Henn.

 
 
 
 
 
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Auch Finn Hänsel hat für seine Sanity Group kürzlich Geld erhalten. Im Februar steckten Kapitalgeber 20 Millionen Euro in das ein Jahr alte Startup. Hänsel verkauft seit über zwei Monaten das bewährte Produkt Bedrocan, hat mit seinem Hanf-Startup aber zeitgleich einen weiteren Vertriebsweg aufgebaut. Über die Tochterfirma Vaay verkauft Hänsel Kosmetika auf CBD-Basis: Zehn Milliliter Mundspray für 60 Euro oder eine Badekugel für 16 Euro. Vaay setzte zum Start auf aggressive Werbung, um die Marke bekannt zu machen. Der Umsatz beider Segmente „hält sich ungefähr die Waage“, so Hänsel, und sei insgesamt sechsstellig. Obendrein unterhält Sanity eine Forschungsabteilung, die allerdings kein Geld abwirft. „Kurzfristig“ wolle das Startup auch andere Produkte in den Handel bringen, die keiner Limitierung unterliegen, so Hänsel. Weiter äußert er sich nicht dazu.

Reines THC soll Millionen einbringen

Solch ein Produkt hat das neue Startup Cantourage gefunden. Seit Mitte April verkaufen die Pedanios-Gründer Florian Holzapfel und Patrick Hoffmann sowie ihr ehemaliger Kollege Norman Ruchholtz Dronabinol. Dronabinol ist pures THC und ähnlich wie Cannabisblüten ein Wirkstoff für Arzneimittel. Mit Pedanios bauten die Berliner vor fünf Jahren einen der ersten Cannabishändler Deutschlands auf, der 2017 für einen zweistelligen Millionenbetrag vom kanadischen Konzern Aurora übernommen wurde. Bislang gab es in Deutschland nur einen Hersteller von Dronabinol, so Hoffmann gegenüber Gründerszene: Die Firma C3, die vor einem Jahr für 226 Millionen Euro vom Kanadier Canopy Growth übernommen wurde, setzte 2018 rund 22 Millionen Euro mit dem THC-Wirkstoff um. 

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Von diesem Markt will auch Cantourage seinen Teil abbekommen und bietet seine Produkte laut Mitgründer Hoffmann zu einem geringeren Preis an als der Wettbewerber. Die Idee dahinter: Bis März waren Apotheker verpflichtet, auf medizinisches Cannabis eine Marge von 100 Prozent auf den Einkaufspreis draufzuschlagen. Also haben sie sich für teure Händler entschieden, um mehr Gewinn zu machen. Laut einer neuen Verordnung ist der Verkaufspreis nun ein einheitlicher Fixpreis. Pharmazeuten würden demnach auf günstigere Angebote zurückgreifen, um die Marge zu erhöhen, hofft der Berliner Gründer.

Ende dieses Jahres sollen erstmals Cannabisblüten in Deutschland geerntet werden. Einer der drei Farmer ist das Berliner Startup Demecan, das seine Plantage bei Dresden in einem Bunker errichtet. Noch gibt es für den Anbau aber kein Geld. Im Oktober bekam die Firma sieben Millionen Euro, Mitte Mai noch einmal eine siebenstellige Summe. Aktuell finanziert sich Demecan mit dem Verkauf von Bedrocan-Produkten.

Cannamedical, Sanity Group, Cantourage und Demecan haben einen Weg gefunden, ihr Geschäft abseits des handelsüblichen Importgeschäfts zu skalieren. Händler, die ohne große Finanzierung im Rücken, weiterhin lediglich niederländisches Hanf verkaufen, werden in den nächsten Monaten vom Markt verschwinden, sind sich Branchenkenner einig. „Ich glaube, dass die Startups durchhalten werden, die mit Innovationen kommen“, sagt der zweifache Cannabisgründer Patrick Hoffmann. Und dann könnten sie auch wieder skalieren.

Bild: Jupiterimages / Getty Images
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