Die USA wissen ihre Geschichte pathetisch und pompös zu inszenieren. Auch manch ein Nichtamerikaner ist tief beeindruckt, wenn er im Nationalarchiv auf der Mall in Washington, D. C., in andächtiger Stille an den Gründungsdokumenten der Vereinigten Staaten, der Verfassung und der Unabhängigkeitserklärung von 1776 vorbeiflaniert. Oben prangen zwei riesige Wandgemälde mit den Founding Fathers, die Barry Faulkner 1936 zur Feier dieser Ereignisse schuf (und deren Personal nicht ganz der historischen Wahrheit entspricht). Diesen Ort und das stilisierte Bild des Verfassungskonvents wählte Präsident Donald Trump als Kulisse für seine Rede am 17. September, in der er eine grundstürzende Revision der Geschichtserziehung in den USA ankündigte.

Vom Teleprompter verlas er eine Kriegserklärung: "Patriotische Mütter und Väter verlangen, dass ihre Kinder nicht länger mit hasserfüllten Lügen über dieses Land gefüttert werden. Amerikanische Eltern werden keine Indoktrination in unseren Schulen akzeptieren, keine 'cancel culture' und nicht die Unterdrückung unserer Glaubens-, Kultur- und Wertetradition in Schulen und Öffentlichkeit."

Als Beispiele für die angebliche Gehirnwäsche prangerte er das journalistische 1619 Project der New York Times, das den Beginn der Sklaverei und ihre konstitutive Bedeutung für die USA ins Zentrum gerückt hat, und die eher randständige People's History of the United States des Sozialisten Howard Zinn an. Beide haben keinen Eingang in die Lehrcurricula gefunden, doch egal: Der Präsident machte ex cathedra kritische Geschichtslektüren verantwortlich für die aktuellen Straßenkämpfe.

Sie drehen den Spieß um

So eskaliert der Kulturkampf, den Trump seit seiner Inauguration gegen vermeintlich unamerikanische Kräfte führt und in dessen Verlauf er immer deutlicher Partei ergreift für den weißen Suprematismus und Rassismus. Erneut stellt er auch unter Beweis, wie sehr er wissenschaftliche Expertise verachtet, auf professionelle Historiker und Historikerinnen gibt er so wenig wie auf Virologen und Klimaforscher. Und er tauscht seriöse, der Wahrheit verpflichtete Forscher durch willfährige Statisten aus, die seine Wiederwahl unterstützen. Sie bilden den Kern der 1776 Commission, die nun ein groß angelegtes Forschungsprogramm zur Umschreibung der US-Geschichte vorlegen soll, finanziert übrigens aus den TikTok-Milliarden, die der Verkauf des chinesischen Konzerns bringen soll. Beauftragen will er damit die National Endowment for the Humanities, ausgerechnet jene verdiente Einrichtung der Forschungsförderung, die er seit Jahren genau wie andere liberale Bildungs- und Kunsteinrichtungen kujoniert und auszuhungern gedroht hat.

Den Auftakt des im Videokanal des Weißen Hauses übertragenen Historikerpanels machte ein pensionierter Neurochirurg, der Schwarze Ben Carson, 2016 ein Rivale Trumps, heute dessen Minister für Wohnungsbau und Stadtentwicklung – Ressorts, die der Geschichtswissenschaft bekanntlich nahestehen. Carson, der auf die Trennung siamesischer Zwillinge spezialisiert war und nebenbei den Klimawandel leugnet, Medicare abschaffen will und Homosexualität in die Nähe von Pädophilie rückt, hat die Erkenntnisse beigetragen, Waffenkontrolle habe den Holocaust begünstigt und die ägyptischen Pyramiden seien von den Juden angelegte Kornspeicher gewesen.

Das Panel ideologisch vorauseilender Historiker entstammt konservativen Universitäten und Denkfabriken wie dem Hillsdale College, dem Alexander Hamilton Institute und der National Association of Scholars, zum Reputationsgewinn war ein Bürgerkriegshistoriker der Princeton University geladen. Sie drehten den Spieß raffiniert um: Nicht wir fungieren hier als antiaufklärerisches Wahrheitsministerium Trumps, es sind die Linken, Marxisten und Atheisten, die unsere Kinder auf falsche Ideen bringen, und dabei berufen wir uns auf die Freiheitsideen der Aufklärung.