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FDP-Politikerin Ria Schröder "Wäre Andreas Scheuer eine Frau, wäre er längst zurückgetreten"

Nach dem sexistischen Witz ihres Parteichefs fordert Ex-JuLi-Chefin Ria Schröder ein gesellschaftliches Umdenken. Und spricht über den Umgang mit Linda Teuteberg und Sawsan Chebli.
Ein Interview von Timo Lehmann

SPIEGEL: Frau Schröder, haben Sie gelacht, als Ihr Parteichef Christian Lindner sexistisch über die geschasste Generalsekretärin Linda Teuteberg witzelte?

Schröder: Nein.

SPIEGEL: Schon mit Rainer Brüderle gab es eine Debatte über Sexismus in Ihrer Partei. Hat die FDP ein besonderes Problem? 

Schröder: Nein, das hat die FDP nicht für sich gepachtet, wir haben vielmehr ein gesamtgesellschaftliches Problem mit Sexismus. Bei uns in der FDP gibt es Sexismus - wie in jeder anderen Partei, wie in jedem Sportverein und so weiter.

"Ein Fehler, den eine Frau macht, wird dreimal mehr kritisiert als der Fehler eines Mannes."

Ria Schröder

SPIEGEL: Jetzt machen Sie es sich aber ein bisschen einfach.

Schröder: Moment! Unser Problem ist doch ein anderes. Wir leben in einer Gesellschaft, in der ein Mann erwarten darf, für einen sexistischen Witz Lacher zu bekommen. Wenn auf dem Parteitag niemand gelacht hätte, dann wäre deutlich geworden, dass der Satz keine Pointe hat und auch keine Lacher verdient hat.

SPIEGEL: Hatte es Linda Teuteberg schwieriger in Ihrer Partei, weil sie eine Frau ist?

Schröder: Nein.

Zur Person

Ria Schröder, geboren 1992 im rheinland-pfälzischen Boppard, führte von 2018 bis 2020 als Vorsitzende die Jungen Liberalen, die Jugendorganisation der FDP. Sie ist zudem Beisitzerin im Bundesvorstand der FDP. Sie studierte Jura an der Bucerius Law School in Hamburg und arbeitet in einer Hamburger Anwaltskanzlei. Bei der Bundestagswahl 2017 trat sie auf Platz 4 der Hamburger Landesliste an sowie als Direktkandidatin im Wahlkreis Hamburg-Eimsbüttel. Den Einzug ins Parlament verpasste sie. Als Vertraute von Ria Schröder in der Partei gelten die Hamburger Landeschefin Katja Suding und der FDP-Bundestagsabgeordnete Konstantin Kuhle.

SPIEGEL: Bedauern Sie es, dass der Posten nicht wieder mit einer Frau besetzt wurde?

Schröder: Ich möchte niemanden nur nach dem Geschlecht bewerten. Es geht doch darum, wer welche Kompetenzen mitbringt. Gemischte Teams finde ich grundsätzlich gut, denn Frauen bringen eine bestimmte Sichtweise in Teams mit ein. Klar, das kann nicht der allein entscheidende Faktor sein, aber ein wichtiger.

SPIEGEL: Heißt, Sie sehen in der FDP derzeit keine Frau, die ähnliche Qualifikation und Erfahrung wie der neue Generalsekretär Volker Wissing mitgebracht hätte?

Schröder: Es gibt für jeden Posten bei uns geeignete Frauen. Die haben aber teilweise schon andere Aufgaben. Bettina Stark-Watzinger zum Beispiel will im November FDP-Chefin in Hessen werden.

SPIEGEL: Ihr neuer Generalsekretär Wissing ist doch auch noch Parteichef in Rheinland-Pfalz und Wirtschaftsminister.

Schröder: Auf ihn wird mit Daniela Schmitt auch eine Frau nachfolgen. Von Ämterhäufung halte ich prinzipiell nicht viel. Bei Frauen kommt hinzu, dass sie ohnehin schon oft mehr Aufgaben übernehmen, etwa in der Familie oder im Beruf. Im Übrigen werden Frauen oft mit doppelten Maßstäben gemessen. Ein Fehler, den eine Frau macht, wird dreimal mehr kritisiert als der Fehler eines Mannes. Ein Erfolg einer Frau zehnmal weniger gefeiert als der eines Mannes. Wäre Andreas Scheuer eine Frau, wäre er längst zurückgetreten.

SPIEGEL: Haben Sie selbst Sexismus in der FDP erlebt?

Schröder: Natürlich, so wie ich fast jeden Tag Sexismus im Alltag erlebe. Das hat erst mal nichts mit der FDP zu tun, sondern ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das in jeder Partei, jedem Verein, einfach überall vorkommt. Etwa wenn ich über die Straße gehe und mir jemand hinterherpfeift. Wenn ich Nachrichten wie diese bei Instagram bekomme: "Hey Süße, wollen wir uns nicht mal kennenlernen. Du hast so ein nettes Lächeln." Da frage ich mich: Was erdreistet der sich, mich "Süße" zu nennen und mein Aussehen zu bewerten? Antwortet man, dass man kein Interesse hat, folgen schnell Beleidigungen unterhalb der Gürtellinie. Das erleben Frauen jeden Tag. Es würde uns als Gesellschaft helfen, wenn Männer mit ihren Freunden auch selbst zu diskutieren beginnen und ein Veto einlegen, wenn sie Sexismus beobachten.

SPIEGEL: Können Sie ein Beispiel aus der Politik nennen?

Schröder: Ich finde die Vorgänge im Berliner Bundestagswahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf erstaunlich. In der SPD-Vorauswahl tritt Sawsan Chebli an, und der Regierenden Bürgermeister Michael Müller möchte ebenfalls und stört sich daran, weil er in seinem Heimatwahlkreis die Kandidatur gegen Kevin Kühnert scheute. Da wird geraunt, Chebli sei dreist und nicht demütig genug. Ich denke politisch anders als Frau Chebli, aber ich unterstütze sie in ihrem Kampf gegen solche Angriffe. Niemand muss sich dafür rechtfertigen, in einer demokratischen Wahl anzutreten.

"Es passiert leider noch viel zu selten, dass Sexismus Konsequenzen hat"

Ria Schröder

SPIEGEL: Zuletzt wurde Chebli in einem Rechtsaußen-Magazin sexistisch beleidigt, insbesondere Frauen solidarisierten sich mit ihr und am Ende musste der Herausgeber dieses Magazins seinen Rückzug vom Vorsitz der renommierten Ludwig-Erhard-Stiftung ankündigen. Sexismus hat also Konsequenzen - ein Lehrbeispiel für Sie?

Schröder: Es passiert leider noch viel zu selten, dass Sexismus Konsequenzen hat. Wir brauchen eine klare Übereinkunft, dass verbale und tätliche Übergriffe nicht geduldet sind und dass sich Personen, die sich so verhalten, für Wahlen und Listenaufstellungen disqualifiziert haben.

SPIEGEL: Sie selbst wollten als JuLi-Vorsitzende dafür sorgen, dass mehr Frauen in die FDP eintreten. Passiert ist nicht viel. Woran liegt das?

Schröder: Als Einzelne in der Politik kann ich langfristige Entwicklungen hin zum Besseren nur mit anschieben. Wir haben als JuLis beispielsweise mit dem "Female Future Forum" ein Format geschaffen, das sich an Frauen richtet und sie in der Partei voranbringen will. Viele Landesverbände haben das übernommen, auch die Bundespartei will das tun.

SPIEGEL: Es gibt inzwischen nicht wenige Männer in Ihrer Partei, darunter auch Christian Lindner, die Bereitschaft für eine Frauenquote signalisieren. Warum wird sie aber von vielen FDP-Frauen abgelehnt?

Schröder: So kategorisch können Sie das nicht sagen. Es ärgert mich, dass sich die ganze Debatte um die elendige Frauenquote dreht. Wir müssen stattdessen bei der Aufstellung der Listen- und Wahlkreiskandidaten - etwa für die Bundestagswahl - darauf achten, dass die guten Frauen auf aussichtsreichen Plätzen wieder aufgestellt werden und zudem neuen Frauen die Möglichkeit eröffnet wird zu kandidieren. Die starre Quoten-Debatte in der FDP ist dagegen eine Phantomdiskussion.

SPIEGEL: Was halten Sie von einer Doppelspitze, wie sie von manchen in der FDP gefordert wird?

Schröder: Strukturelle Veränderungen sind eine Chance, aber wir sollten uns da nichts vormachen. Wenn wir das auf dem nächsten Parteitag 2021 in unsere Satzung schreiben, würde diese Klausel erst bei der nächsten Vorsitzendenwahl 2023 greifen. Ich plädiere prinzipiell dafür, den Partei- und Fraktionsvorsitz personell zu trennen. Das sollten wir zeitnah umsetzen, rechtzeitig zur Bundestagswahl 2021. Das würde dafür sorgen, dass wir in der ersten Reihe mehr Gesichter haben, die mit unterschiedlichem Stil verschiedene Menschen ansprechen können. 

SPIEGEL: Lindner soll einen Posten abgeben?

Schröder: Es geht nicht um Christian Lindner, sondern darum, wie die FDP perspektivisch mehr Aufmerksamkeit bekommen kann. Wir haben doch leider die Erfahrung gemacht, dass nur jene Aufmerksamkeit erhalten, die in der ersten Reihe stehen oder eben besonders laut poltern. Zum Beispiel Wolfgang Kubicki, den finden viele toll und das ist auch in Ordnung. Aber ich wünsche mir, dass auch Menschen mit anderem Zungenschlag stärker wahrgenommen werden können. Die FDP muss sich verbreitern. Frauen sind da, sie müssen nur sichtbarer werden.

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