
Techkrise Die Zeit der Start-up-Kakerlaken


Sieht sich selbst als Start-up-Kakerlake: Der Gründer des Zahlungsdienstes Adyen Pieter van der Does
Foto: Jack Mikrut / TT / IMAGOWas passiert ist
Seit Jahresbeginn haben 135 Technologieunternehmen und Start-ups knapp 34.000 Angestellte entlassen . Dem ging der Abbau von über einer Viertelmillion Arbeitsplätzen bei rund 1200 Unternehmen im Jahr 2023 voraus und ein drastischer Einbruch von Wagniskapital-Investitionen in Start-ups. Die Stimmung ist also düster.
ist eine der renommiertesten deutschen Techinvestorinnen. Wilhelm ist Partnerin bei der europäischen Investmentfirma Index Ventures, mit Fokus auf Softwarefirmen. Für den manager-magazin-Newsletter „Tech Update“ analysiert sie als Kolumnistin die Hintergründe der wichtigsten Entwicklungen in der Tech- und Start-up-Branche.
Und was wirklich passiert ist
Nicht nur Verbraucherinnen und Verbraucher sind bei Ausgaben zurückhaltend, sondern auch Unternehmen, Investorinnen und Investoren. Das wissen auch potenzielle Gründerinnen und Gründer. Sie schrecken davor zurück zu gründen, weil sie glauben, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt sei, um den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen. Weltweit ist die Zahl neuer Techgründungen seit dem Höchststand im Jahr 2020 um etwa 30 Prozent zurückgegangen, wie Daten aus den USA und Europa zeigen .
Wieso die düstere Stimmung trügt
Die aktuell düstere Stimmung in der Szene kann den Blick leicht verzerren. Man sollte sich von dieser Stimmung jedoch nicht fehlleiten lassen: Der Blick auf die letzte große Krise zeigt, dass genau jetzt der richtige Zeitpunkt sein könnte, um ein Start-up zu gründen oder in ein solches zu investieren.
Studien über die globale Rezession 2007 bis 2009 zeigen , dass Unternehmen, die in dieser Krise gegründet wurden, im Durchschnitt länger überlebt haben und schneller gewachsen sind als davor und danach. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Start-ups ihren siebten Jahrestag überlebten, war um 12,1 Prozent höher im Vergleich zu solchen Unternehmen, die zwischen 2002 und 2012 gegründet wurden. Außerdem verzeichneten die Unternehmen, die während der Finanzkrise gegründet wurden, ein höheres Wachstum hinsichtlich Beschäftigtenzahl und Umsatz. Einige der bekanntesten Techunternehmen wurden in dieser Zeit gegründet oder wuchsen in dieser Zeit stark, darunter: Adyen, Airbnb, Netflix, Spotify und Stripe.
Wir sehen den Effekt auch an der eigenen Performance unserer Fonds. Die Jahre, die auf die Marktkorrekturen von 2007 bis 2009 folgten, waren auch die Jahre, die einige der größten Investmenterfolge von Index hervorbrachten. Wir sind daher überzeugt davon, dass auch in den kommenden Jahren Unternehmen entstehen werden, die ihre Branche neu definieren werden. Während sich andere Investoren zurückgezogen haben, haben wir deswegen unser Team in Europa und den USA vergrößert und ein neues Büro in New York eröffnet.
Warum Zeiten mit Kapitalknappheit besser sind
Der Gründer von Adyen, Pieter van der Does (55), erklärte auf der Techkonferenz Slush 2023 eindrucksvoll, warum Zeiten der Kapitalknappheit ausgezeichnete Unternehmen hervorbringen. Van der Does beschrieb Adyen als Teil einer „Kakerlakengeneration“, die mit sehr wenig Geld auskam und in den ersten fünf Jahren nur sehr wenig ausgab. „Auf diese Weise haben wir das Unternehmen in ein Stadium gebracht, in dem wir profitabel waren und eine Basis für Wachstum hatten“, erklärte van der Does.
Diejenigen, die mutig genug sind, während einer Rezession ein Unternehmen zu gründen, sind oftmals unglaublich erfolgsorientiert, geschickt beim Lösen von Problemen und weniger auf eine schnelle Rendite aus. Die Teams, die sich um diese Führungskräfte herum bilden, sind in der Regel widerstandsfähiger und leistungsstärker.
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Wie es jetzt weitergeht
Es gibt Anzeichen dafür, dass die Finanzierungsrunden in diesem Jahr wieder zunehmen, und zwar nicht nur für sehr junge Frühphasenunternehmen. Nach einem Jahr, in dem die meisten Deals in der Seed- und Series-A-Phase stattfanden, werden auch Finanzierungsrunden für reifere Unternehmen wieder häufiger. Bei Index Ventures, wo ich Partnerin bin, haben wir vor Kurzem 100 Millionen Dollar in das KI-Start-up DataSnipper aus Amsterdam investiert und eine 50-Millionen-Dollar-Runde bei der Münchener Softwarefirma Tacto angeführt.
Warum Aktienoptionen für Beschäftigte interessant werden
Entlassungsrunden bedeuten für Start-ups zugleich, dass es einfacher ist, gute Talente zu finden. Und für diese potenziellen Angestellten ist nun ein guter Zeitpunkt, sich Gedanken über den Wert von Aktienoptionen zu machen. Das klingt zunächst widersprüchlich. Doch angesichts der aktuell niedrigen Firmenbewertungen steigt auch der potenzielle Wertzuwachs der Aktien, wenn die Unternehmen erfolgreich sind. Schließlich sollte man nicht vergessen, dass die Mitarbeiteraktien mit einem Abschlag auf die letzte Bewertung ausgeben werden.
Kurzum: Genau jetzt könnte ein guter Zeitpunkt sein, um wieder auf Start-ups zu setzen.
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