Das Internet versinkt im Meer

Der steigende Meeresspiegel bedroht einen beträchtlichen Teil der wichtigen Infrastruktur des Internets.

Von Alejandra Borunda
Veröffentlicht am 19. Juli 2018, 12:46 MESZ
Die Six Mile Bridge von Marathon Key nach Key West könnte ein Blick in die Zukunft ...
Die Six Mile Bridge von Marathon Key nach Key West könnte ein Blick in die Zukunft von Südfloridas Küstenregionen sein, wenn der Meeresspiegel weiter wie prognostiziert ansteigt.
Foto von George Steinmetz, National Geographic Creative

Wenn das Internet großflächig ausfällt, würde das Leben, wie wir es kennen, im Chaos versinken.  Dann müssten wir nicht nur auf Katzenfotos und Facebook verzichten – auch die Ampelsteuerung, Terminvergaben für Ämter, E-Mail-Verkehr in Büros mit nationalen und internationalen Kunden, Onlinekäufe und vieles mehr wären dann ohne Weiteres nicht möglich.

Ein gewaltiges Netzwerk aus physischer Infrastruktur bildet die Grundlage für die Internetverbindungen, die sich in fast jeden Winkel unseres modernen Lebens geschlichen haben. Glasfaserkabel, Internetknoten und Stromnetzwerke ermöglichen den weltweiten Fluss der Einsen und Nullen, die unseren Alltag prägen.

Nun haben aktuelle Forschungsberichte ergeben, dass ein großer Teil dieser Infrastruktur mitten in Bereichen liegt, die vom steigenden Meeresspiegel bedroht werden.

Wissenschaftler kartierten die Infrastruktur des Internets in den USA und glichen sie mit Karten zum künftigen Anstieg des Meeresspiegels ab. Was sie fanden, war beunruhigend: In 15 Jahren werden Tausende Kilometer an Glasfaserkabeln – und Hunderte andere wichtige Bestandteile der Infrastruktur – wahrscheinlich vom Meer verschlungen. Auch wenn ein Teil dieser Infrastruktur wasserfest ist, wurde nichts davon gebaut, um über einen langen Zeitraum hinweg gänzlich unter Wasser zu funktionieren.

„Ein großer Teil der Infrastruktur, die angelegt wurde, befindet sich direkt an der Küste. Es braucht also nicht mehr als ein paar Zentimeter, damit sie überschwemmt wird“, erzählt der Studienautor Paul Barford, ein Computerwissenschaftler der University of Wisconsin, Madison. „Das wurde alle vor etwa 20 Jahren angelegt, als noch niemand darüber nachdachte, dass der Meeresspiegel irgendwann mal ansteigen könnte.“ .

„Das wird ein großes Problem werden“, so Rae Zimmerman, ein Experte für urbane Anpassung an den Klimawandel von der New York University. Große Teile der Infrastruktur des Internets werden bald „unter Wasser sein, wenn sie nicht schnell landeinwärts verlegt werden“.

EIN NETZWERK AUS NETZWERKEN

Die physische Struktur des Internets wurde im Verlauf der letzten Jahrzehnte eher willkürlich verlegt, als die Nachfrage immer weiter anstieg. Viele Kabel wurden einfach opportunistisch neben Stromleitungen, Straßen oder anderen großen Bestandteilen der vorhandenen Infrastruktur angelegt. Die Telekommunikationsunternehmen, denen diese Kabel, Internetknoten und anderen Bestandteile gehören, machen deren genaue Lage aber meist nicht öffentlich.

Barford, einer der Autoren der Studie, verbrachte die letzten paar Jahre damit, das Internet nach verfügbaren Informationen darüber zu durchsuchen, wo genau sich diese Bestandteile befinden. Seine Ergebnisse hielt er auf einer Karte fest. Viele dieser wichtigen Komponenten der Infrastruktur befinden sich in großer Nähe zu Küsten, wie er und sein Student Ramakrishnan Durairajan herausfanden.

Als Carol Barford, eine Klimawissenschaftlerin an der University of Wisconsin in Madison, diese Karten sah, sah sie noch etwas anderes: ein großes Risiko. Sie wusste, dass der Meeresspiegel in den letzten hundert Jahren konstant angestiegen war und dass viele Küstenregionen das bereits zu spüren bekommen.

Als die drei Wissenschaftler die Karten für die Internet-Infrastruktur und für die Prognose zum Meeresspiegelanstieg übereinanderlegten, sahen sie eine auffällige Überlappung: Große Bereiche der wichtigen Infrastruktur befanden sich an Orten, die in 15 Jahren wahrscheinlich überflutet sein werden.

Städte wie New York, Miami und Seattle werden bis 2030 vermutlich mit bis zu 30 Zentimetern mehr Wasser rechnen können – ein Zeitraum, der durchaus noch Hypotheken für Häuser und große öffentliche Infrastrukturprojekte betrifft. Diese 30 zusätzlichen Zentimeter werden den Forschern zufolge 20 Prozent der entscheidenden Internet-Infrastruktur des Landes unter Wasser setzen.

„Die 15-Jahres-Prognosen sind quasi festgelegt“, sagt Carol Barford. Es gibt eine beträchtliche Trägheit im Klimasystem, sodass die Menschen nichts mehr tun können, um zu verhindern, dass das Meer in diesem Zeitraum weiter ansteigt.

PLANEN FÜR DIE ZUKUNFT

Wissenschaftler, Städteplaner und Unternehmen wissen schon seit Langem, dass der Anstieg des Meeresspiegels Infrastruktur in Form von Straßen, U-Bahnen, Abwassernetzwerken und Stromleitungen bedroht. Bisher hatte sich aber noch niemand damit beschäftigt, wie sich das zusätzliche Wasser auf das Internet auswirken könnte.

„Wenn man bedenkt, wie vernetzt heutzutage alles ist, dann ist es von äußerster Wichtigkeit, das Internet zu schützen“, sagt Mikhail Chester. Er ist der Leiter des Resilient Infrastructure Laboratory an der University of Arizona. Selbst kleine Rückschläge – zum Beispiel durch Sturmschäden, die das Internet lokal für ein paar Tage ausfallen lassen – können Dinge beeinflussen, die wir für ganz selbstverständlich halten, darunter Ampelsignale und Flugpläne.

Die neue Studie „bekräftigt die Vorstellung, dass wir uns all dieser Systeme sehr bewusst sein müssen, weil es viel Zeit in Anspruch nehmen wird, sie nachzurüsten“, sagt er.

Die Forscher berücksichtigten zwar keine kurzzeitigen Ereignisse wie Sturmfluten durch Hurrikans, mahnten die Städteplaner aber, solche Bedrohungen im Hinterkopf zu behalten, wenn sie nach Lösungen suchen.

„Wir leben in einer Welt, die für eine Umwelt gebaut wurde, die es nicht mehr gibt“, sagt Rich Sorkin, der Mitbegründer von Jupiter Intelligence. Das Unternehmen erstellt klimabezogene Risikomodelle. Ihm zufolge müssen wir der Realität dessen, wie unsere Zukunft aussieht, ins Auge blicken. Das sei der Schlüssel dazu, für eben jene Zukunft zu planen. Studien wie diese zeigen laut Sorkin, wie schnell wir uns anpassen müssen.

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