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Finanzevolution ICOs - Crowdfunding auf Speed

ICOs sind eine noch junge Form der Unternehmensfinanzierung, bei der die Investoren Ansprüche in Form von digitalen Münzen erwerben
ICOs sind eine noch junge Form der Unternehmensfinanzierung, bei der die Investoren Ansprüche in Form von digitalen Münzen erwerben
ICOs sind nicht mit Aktienemissionen vergleichbar, es spricht aber nichts dagegen ICO-Tokens mit den gleichen Rechte auszustatten wie eine Aktie. Dirk Elsner plädiert für einen offenen Umgang mit dieser neuen Form der Unternehmensfinanzierung

Die Drähte der Finanzwelt glühen derzeit vor lauter Innovationsaktivitäten. Eine noch junge Adaption der Unternehmensfinanzierung sind die aus „Kryptowährungen“ und Crowdfunding abgeleiteten Token-Verkäufe , oft „Initial Coin Offering“ (ICO) genannt. Diese ICOs, deren Bezeichnung an den englischen Begriff für Börsengang „Initial Public Offering“ (= IPO) angelehnt ist, elektrisieren derzeit sowohl die Anleger als auch die Finanzbranche.

Ein einheitliches Verständnis von ICOs gibt es noch nicht und kann es vielleicht auch nicht geben. Dahinter stehen nämlich ganz unterschiedliche Konzepte, die noch weit weg von bekannten Standards für Bankprodukte sind. Ich verstehe unter einem ICO einen auf kryptografischen Protokollen basierenden Erstverkauf von Ansprüchen auf Verfügungsrechte. Diese Ansprüche werden über einen digitalen Token (digitale Münzen = Coin) in einer weiterentwickelten Blockchain dokumentiert. Die Blockchain selbst ist ebenfalls noch eine junge Technologie, mit der sich Werte manipulationssicher ohne zentrale Vertrauenspartei dokumentieren und übertragen lassen.

Lässt man den neuen Begriffszoo weg, dann erwerben die Käufer bei einem ICO digitale Kupons statt Unternehmensanteile mit Ansprüchen auf Dividenden und Stimmrechten. Diese Kupons können mit ganz unterschiedlichen Rechten ausgestattet sein, wie wir gleich an Beispielen sehen werden.

ICO-Hype schwappt nach Deutschland

Der Markt ist innerhalb kürzester Zeit stark gewachsen. Dienste, die wie das Volumen erheben, verzeichneten 2016 weltweit 46 ICOs mit einem Volumen von fast 100 Mio. US-Dollar. 2017 haben sich bisher 203 Unternehmen über ICOs mehr als 3,3 Mrd. US-Dollar von Investoren geholt. Das bisher größte Volumen weist Filecoin mit einem Verkaufserlös von 257 Mio. US-Dollar auf. Das Start-up bietet Nutzern einen dezentralen Cloudspeicher, der mit Filecoins bezahlt werden kann (Details siehe „t3n “).

Der Hype ist mittlerweile nach Deutschland geschwappt. Mehrere Unternehmen bereiten ein ICO vor oder denken zumindest darüber nach, wie ich am Rande der Fintech Week in Hamburg hörte. Das „Handelsblatt“ nannte die Unternehmen Wysker, Cloudeo, Bitwala, Neufund, Crowdstart und Naga. Mit der Shopping-App von Wysker sollen Kunden „Wys-Token“ auf verschiedene Arten verdienen und ausgegeben können. So können Kunden laut dem Fachmagzin „t3n“ durch Produktbewertungen oder für die Angabe ihrer Shopping-Interessen Token erwerben. Diese Tokens können anschließend für Verkäufe und Rabatte verwendet werden.

Gegen ICOs sehen die als bisher für modern gehaltenen digitale Finanzierungsverfahren wie Peer-to-Peer-Lending (über Internetplattformen vermittelte Kredite) oder Crowdinvesting antiquiert aus, denn in der Theorie werden ICOs über Blockchain-Protokolle hoch automatisiert und technisch abgesichert abgewickelt. Der Researchspezialist Peter Barkow, bezeichnete ICOs in einem Gespräch als „Crowdfunding auf Steroid“. Während Investoren in Crowdfundings ihre Anteile später entweder gar nicht oder unter erschwerten Umständen weiterverkaufen können, sind ICOs so angelegt, dass die „Coins“ auf speziellen Marktplätzen über das Internet getauscht werden können.

Maschinen bezahlen sich gegenseitig

Technisch sicher bedeutet aber keinesfalls wirtschaftlich risikolos. Manche positionieren die Coins einfach nur als Konkurrent zu Bitcoin (man spricht hier von Tokens als Kryptowährungen). Andere Coins beinhalten bestimmte Ansprüche auf beliebige Rechte (manche Fachleute sprechen dann von colored oder utility Coin ). Das können beispielsweise Gewinn- oder Umsatzanteile sein, Rechte auf den Erwerb eines neuen Produkts oder Ansprüche auf die freie Nutzung bestimmter Dienstleistungen. Und es müssen nicht zwingend Ansprüche gegen das herausgebende Unternehmen sein, wie das Beispiel IOTA zeigt.

Für manche gelten etwa die IOTA-Coins als die derzeit spannendsten Tokens . Damit sollen sich autonome Maschinen gegenseitig bezahlen können. Das klingt nach Science Fiction, hat aber einen ganz praktischen Hintergrund, denn in Zukunft werden immer mehr selbstständig arbeitende Automaten von anderen Automaten Leistungen beziehen oder an sie abgeben. Man denke etwa an das selbstfahrende Auto, das seinen Parkplatz selbst bezahlt (mehr dazu von Christoph Bergmann in: IOTA, die Kryptowährung für Maschinen ). IOTAs, die eine modifizierte Version der Blockchain-Technologie nutzen, sind ein anspruchsvolles Beispiel dafür, was hinter solchen Coins stecken kann.

Der Erwerb von Tokens aus einem ICO ist bisher relativ kompliziert und mit Risiken verbunden, weil

  1. man das meist in einem Whitepaper beschrieben Konzept verstehen muss (siehe hier zum Beispiel für das oben erwähnte ICO von Wysker);
  2. es schwer ist, die Einhaltung und Umsetzung des Konzepts zu überprüfen (insbesondere, wenn nur ein Whitepaper vorliegt);
  3. die Bewertung der später auf einem Marktplatz gehandelt Tokens kaum möglich ist,
  4. die reine Transaktionsabwicklung von der Belastung des eigenen Kontos in Euro bis hin zur Dokumentation der Tokens aus dem ICO in einer Blockchain bisher deutlich umständlicher und riskanter ist als der Ersterwerb von Aktien über eine Bank oder die Beteiligung an einem Crowdinvesting.

ICO-Tokens könnten wie Aktien behandelt werden

Daher ist auch die Warnung der deutschen Finanzaufsicht an unbedarfte Geldanleger berechtigt. Die Bafin hält im Gegensatz zu regulierten Prospekten die Dokumentation in den Whitepapern und Vertragsbedingungen für oft objektiv unzureichend, unverständlich oder gar irreführend. In einem Hintergrundgespräch mit dem „Handelsblatt “ zur Verbraucher-Warnung sagte Bafin-Fachmann Christoph Kreiterling aber, es stehe letztlich dem Anleger frei, weiterhin Tokens zu erwerben. Er müsse sich dabei ein aufgeklärtes Bild machen und sich des Risikos bewusst sein.

Betrachtet man das Konzept nüchtern und ohne das schrille Rauschen rund um die Kryptowährung Bitcoin, dann lassen sich Finanzierungen auf eine neue technologische Basis stellen. Die bisherigen ICOs sind zwar nicht mit Aktienemissionen vergleichbar, es spricht aber nichts dagegen ICO-Tokens mit den gleichen Rechte auszustatten wie eine Aktie, Anleihe oder andere Wertpapiere (die US Technologiebörse Nasdaq spricht hier von „tokenized securities“). So können traditionelle Emissions- und Handelsprozesse digitalisiert, dabei kundenfreundlicher und leistungsfähiger werden – bei geringeren Kosten. Derzeit kostet die Vorbereitung von ICOs nach Angaben von Unternehmen, die einen solchen ICO durchgeführt haben, noch mehrere Monate Zeit, viel Geld für Anwälte und Spezialisten. Ich erwarte hier eine zunehmende Standardisierung, etwa durch Anbieter von Emissionsplattformen, die den heutigen Prozess noch einmal deutlich vereinfachen und automatisieren.

Es ist hilfreich, dass die Finanzaufsicht Verkäufe dieser Art nicht generell untersagt hat. Hier werden neue Technologien und Konzepte ausprobiert, von denen noch niemand weiß, unter welchen Bedingungen sie dauerhaft funktionieren.

Weitere Lesehinweise

Dirk Elsner
© Sebastian Berger, Stuttgart

Dirk Elsner ist bei der DZ Bank Senior Manager Innovation und Digitalisierung. In dieser Kolumne äußert er seine private Meinung. 2008 hat er das private Wirtschaftsblog BlickLog gegründet, das mehrfach ausgezeichnet wurde.

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