Amazon kann alles, wenn es um maschinelles Einkaufen geht. Aber die Kunden wollen nicht nur Geld gegen Ware tauschen - sie mögen es, wenn der Händler sie auch noch lieb hat. Und das machen die Menschenfreunde von dm-Drogeriemarkt am besten. 

Es ist ja mittlerweile tröstlich, wenn Amazon einmal nicht auf Platz 1 irgendeines Wettbewerbes geführt ist. Das lässt den Glauben zu, dass die "Amazonisierung" des deutschen Handels, wie es die aktuelle Studie von der Universität St. Gallen und Partnern wie Partnern Paypack vermittelt, ein bisschen aufgehalten werden kann. 

Denn es geht ja nicht nur um harte betriebswirtschaftliche Kennziffern, sondern auch um sogenannte weiche Faktoren wie Vertrauen, Kundenservice und Emotionalität der Marke. Und wer das am besten beherrscht, wollte die Strategieberatung OC&C Strategy Consultants von 50.000 Verbrauchern weltweit wissen. 650 maßgebliche Handelsunternehmen standen zur Wahl, 84 davon aus Deutschland, wo 5.000 Kunden befragt wurden. 

Weich ist wichtiger als hart

Eine große Erkenntnis: Die weichen Faktoren werden demnach immer mehr gefragt, die harten, wie Preisstellung oder das Preis-Leistungs-Verhältnis, sind den Verbrauchern nicht mehr so wichtig. Kaum zu glauben. 

Steffen Gerth, Redakteur bei Der Handel und Etailment.
© Aki Röll
Steffen Gerth, Redakteur bei Der Handel und Etailment.
In Deutschland bleibt daher dm-Drogeriemarkt der Kundenstreichler Nummer 1. Vertrauen, Qualität und Preis-Leistungs-Verhältnis sind die Stärken des Unternehmens, das ja sozusagen die Waldorfschule des deutschen Einzelhandels ist. Denn dm-Gründer Götz Werner ist bekanntlich Antroposoph, also Menschenfreund, und von ihm gibt es Sätze wie diese in einem "Tagesspiegel"-Interview: "Wir lassen es zu, dass rund 20 Prozent – also jeder fünfte – von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen sind. Immer noch müssen Menschen betteln oder sind wohnungslos. Das ist ein Skandal!"  Seit Jahren reitet Werner mit der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen für jeden Deutschen durchs Land und verwirrt damit Wirtschaftsexperten und Politiker gleichermaßen. Werners Idee wäre allerdings mal einen Vortrag vor SPD-Funktionären wert, damit diese eventuell verstehen, was der Begriff sozialdemokratisch bedeuten könnte. 

Auf die emotionale Bindung kommt es an beim Einkauf

So ein Grundeinkommen fände bestimmt eine Klientel nett, aus der ein Unternehmen ein Gutteil seines Lagerpersonals rekrutiert: Amazon. Für die Krake des deutschen Einzelhandels hat es bei der Kundenbeliebtheit nur zu Platz zwei hinter dm gereicht. 

Benutzerfreundlichkeit, Produktauswahl und ein auf den Konsumenten abgestimmtes Warenangebot kann Amazon gut - aber das sind die eiskalten, harten Faktoren.

STRASSENKICKER x dm: Duschgel und Deo von Lukas Podolski

Denn: "Die Deutschen kaufen am liebsten bei Händlern, zu denen sie eine emotionale Bindung haben", schreibt OC&C. 
Amazon first: Im Bereich Elektronik, mit dem Amazon rund 35 Prozent seines gesamten Umsatzes in Deutschland erzielt, beträgt der Anteil des Unternehmens am Gesamtmarkt rund 10 Prozent. Alleine im ersten Quartal 2018 lag hier der Umsatz von Amazon bei 1,6 Milliarden Euro, schreibt der Bonussystem-Anbieter Payback.
© Payback
Amazon first: Im Bereich Elektronik, mit dem Amazon rund 35 Prozent seines gesamten Umsatzes in Deutschland erzielt, beträgt der Anteil des Unternehmens am Gesamtmarkt rund 10 Prozent. Alleine im ersten Quartal 2018 lag hier der Umsatz von Amazon bei 1,6 Milliarden Euro, schreibt der Bonussystem-Anbieter Payback.
 Demnach steht Amazon mehr für maschinelles Einkaufen, wie an einem Automaten. Oben Geld reinstecken, unten kommt die Ware raus. Doch der Deutsche will halt auch gerne gestreichelt werden, dann gibt er im besten Fall sogar ein Trinkgeld, wie im Fall von Thomas Zumnorde, Chef des gleichnamigen edlen Schuhhauses in Münster/Westfalen, wo man sich in der Herrenabteilung erst mit Whisky in Stimmung trinken kann, damit es einem dann egal ist, 590 Euro für ein Paar Prada-Schuhe auszugeben.

Zum guten Ton des Traditionsunternehmens gehört eben, dass die Führungskräfte regelmäßig im Verkauf aushelfen, auch, um den Kunden zu zeigen, was der Begriff Familiengeschäft bedeutet. Und das hat Zumnorde so gut gemacht, dass ihn einmal eine Dame wie im Restaurant belohnen wollte. Der Chef lehnte freilich ab - bat aber die Kundin freundlich darum, sein Haus doch bald wieder zu beehren.

Wenn der Verkäufer Trinkgeld bekommt

Die Zumnordes haben neulich ihr Stammhaus am feinen Münsteraner Prinzipalmarkt neu eröffnet, alles wurde schick gemacht mit Böden aus italienischem Granit und sogar Leder - ein paar technische Gimmicks sind auch dabei. Wie etwa einem Touchscreen am Schaufenster, an dem man via Barcode-Scan quasi Tag und Nacht Schuhe kaufen kann. Aber mehr nicht, denn die Zumnorde beteiligen sich nicht an dem Wahn, in den derzeit viele stationäre Händler verfallen sind: Die Läden in eine Art Digitallabor zu verwandeln, um sich irgendwie als fortschrittlich zu präsentieren.
Herrenabteilung bei Zumnorde: Mit Touchscreen, Lederfußboden - und Whisky.
© Zumnorde
Herrenabteilung bei Zumnorde: Mit Touchscreen, Lederfußboden - und Whisky.
Doch welcher Kunde will schon auf einem Touchscreen herumgrabschen, wenn er stattdessen von einem netten Verkaufsberater an die Seite genommen und gefragt werden kann: "Erzählen Sie doch mal, was Sie gerne möchten."

Erlebnis, Erlebnis, Erlebnis heißt ja seit geraumer Zeit die Antwort des stationären Handels auf die Onliner. Nur: Was ist damit gemeint? Ein Auftritt der Chippendale-Stripper? Höhenfeuerwerk? Unklar. Aber jeder plappert es daher. 

Zumnorde sagt, dass Erlebnisse allein für Kunden keine Gründe sind, mal eben mehr Geld für ein Produkt auszugeben. Da muss schon mehr kommen. Und dieses Mehr ist eigentlich eine Rückbesinnung auf früher, als der Kunde in den Geschäften umschmeichelt wurde, als ihm nicht Tag und Nacht Rabatte um die Ohren flogen, als das Personal noch in Ruhe beraten konnte und nicht auf der Fläche gesucht werden musste wie heute ein überzeugter SPD-Wähler.

Auf nach Stralsund

Aber wir verlieren uns in Verklärung des Gestern, denn früher war zwar nicht alles besser, zumindest jedoch hatte manches mehr Glanz. Und daran erinnert aktuell die Ausstellung "Die jüdischen Kaufmannsfamilien in Stralsund" in der Kulturkirche St. Jacobi. Die Hansestadt an der Ostsee verkauft sich jetzt als "Wiege der deutschen Warenhauskultur", denn am Ort wurde 1903 das Kaufhaus Alt-Wertheim eröffnet, 25 Jahre später zog 1928 Tietz nach, das Ur-Unternehmen vom heutigen Kaufhof.  Apropos Warenhäuser - wo stehen die eigentlich im heutigen Ranking von OC&C? Nicht unter den ersten Zehn, wie Douglas übrigens auch nicht. Im Gegenteil, die Einschätzung der Strategieberater ist verheerend, aber nicht überraschend: 

"Nicht erst seit der Fusionsankündigung im September 2018 haben es Kunden schwer, die traditionsreichen Vollsortimenter Karstadt und Kaufhof voneinander zu unterscheiden. Zu ähnlich sind ihre Angebote. Zudem ist in Zeiten stylischer Flagshipstores das Konzept 'Ein Kaufhaus für alle' längst überholt. Die Erwartungen vor allem junger Kunden gehen klar in Richtung Erlebnis-Shopping. Innerhalb der vergangenen Jahre haben beide Marken aus Konsumentensicht verloren. Kaufhof hat seinen Vorsprung vor Karstadt in einigen Kategorien vollkommen eingebüßt und die Wettbewerber weisen nun sowohl beim Gesamteindruck als auch bei der Preis-Leistungs-Wahrnehmung fast identische Werte auf. Nur beim Kundenservice liegt Karstadt vor Kaufhof."

Klingt ganz so, als ob dem deutschen Einzelhandel ein galaktisches Weihnachtsgeschäft bevorsteht, wie der Handelsverband Deutschland vorhersagt - nur K&K bekommen von den prognostizierten 100 Milliarden Euro Umsatz nicht viel ab.

Sich mit Dalmore in Einkaufslaune trinken

Aber die anderen stationären Kollegen auch nicht, denn vier von fünf Deutschen wollen ihre Geschenke in diesem Jahr bei Amazon kaufen, sagt zumindest diva-e, ein Münchner Dienstleister für den E-Commerce. Fast 1.100 Kunden wurden nicht nur für diese Erkenntnis befragt: 94 Prozent der Deutschen wollen für ihren Weihnachtseinkauf Onlinekanäle nutzen, nur 6 Prozent ausschließlich in Läden einkaufen.

Zumnorde im Video

Vielleicht kann die stationäre Branche von Zumnorde in Münster lernen. Ein kostenloses Glas Single Malt gibt's so schnell nicht von Amazon, und ein hübscher Schluck zehn Jahre alter Dalmore hat noch immer für gute Stimmung gesorgt.

Nicht nur zu Weihnachten.

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