Wer es schafft, in der Europäischen Union einen Asylantrag zu stellen, hat gute Chancen, dauerhaft dort bleiben zu dürfen. Obwohl die Behörden der jeweiligen Staaten nicht einmal jeden Zweiten als Flüchtling oder aus anderen Gründen Schutzberechtigten anerkennen, liegt das Risiko für eine Rückführung einer am Mittwoch veröffentlichten Studie des amerikanischen Pew-Forschungsinstituts zufolge bei ungefähr eins zu zwanzig. Demnach „wurden bis zum Jahresende 2016 etwa 75.000, das sind ungefähr drei Prozent aller Asylbewerber der Jahre 2015 und 2016, in ihre Heimat oder ein anderes Nicht-EU-Land rückgeführt“.
Zu ihrer Schätzung kommen die Forscher auf Grundlage von Daten der Europäischen Statistikbehörde Eurostat. Hier gibt es aber ein Problem: Denn Eurostat führt genau wie deutsche Behörden keine Verlaufsstatistik für Asylbewerber von der Antragsstellung bis zur Ausreise oder Einbürgerung.
Damit haben Wissenschaftler und Journalisten keine Möglichkeit, exakt in Erfahrung zu bringen, wie viele der in einem bestimmten Zeitraum abgelehnten Asylbewerber bis zu einem gewissen Zeitpunkt das Land verlassen oder einen Aufenthaltstitel erhalten haben. Auf EU-Ebene wie in Deutschland ist man also darauf angewiesen, möglichst sinnvolle Vergleiche anzustellen zwischen Größen, die sich nur mittelbar aufeinander beziehen.
Merkel: „nationale Kraftanstrengung bei Rückführungen“
Die Pew-Forscher versuchten dieses Problem so zu lösen: Sie nahmen die Eurostat-Angaben zur Anzahl der Ausländer, die nach einer Ausreiseaufforderung die EU (in der Begriffsverwendung der Studie die 28 EU-Staaten, Norwegen und die Schweiz) tatsächlich verlassen mussten. Darin sind allerdings neben abgelehnten Asylbewerbern auch Ausländer enthalten, die mit einem Touristen- oder Arbeitsvisum einreisten und sich nach Ende der Ablauffrist illegal in der EU aufhielten.
Hierunter rechneten die Pew-Forscher Personen aus für die Asylmigration unbedeutenden Staaten heraus und kamen so auf die ungefähr 75.000 rückgeführten abgelehnten Asylbewerber. Den Autoren zufolge hat Deutschland, der Staat mit den meisten Asylantragsstellern, auch mehr als die anderen Staaten zurückgeführt. Das jedoch, ohne genauere Zahlen zu nennen.
Den offiziellen Zahlen der Bundesregierung zufolge schob Deutschland 2015 und 2016 rund 45.000 Ausländer ab, zudem reisten etwa 90.000 freiwillig aus. Das sind also deutlich mehr, als in den Angaben der Pew-Forscher für die gesamte EU. Wichtig ist jedoch: In den deutschen Angaben sind zum einen auch Ausländer enthalten, die schon vor 2015 ins Land kamen, vor allem aber beziehen sich die offiziellen Angaben der Regierung zu den Abschiebungen und freiwilligen Ausreisen auf alle ausreisepflichtigen Ausländer – es wird nicht separat aufgeführt, wie viele darunter abgelehnte Asylbewerber waren.
In diesem Jahr sind die freiwilligen Ausreisen und Abschiebungen aus Deutschland sogar wieder rückläufig, obwohl Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine „nationale Kraftanstrengung zur Rückführung derer, die abgelehnt wurden“, angekündigt hatte.
Inzwischen reden die Regierungsparteien nicht mehr von „Steigerung“ der Rückführungszahlen, sondern allgemeiner und vor allem nicht messbar von „konsequenten“ Abschiebungen. Ein Problem in ganz Europa: Während Rückführungen auf den Balkan häufig gelingen, sind abgelehnte Asylbewerber von anderen Kontinenten unter den aktuellen rechtlichen Bedingungen meist nicht abschiebbar.
Das Institut Europäische Stabilitätsinitiative (ESI) ermittelte im Juni um die Balkanstaaten bereinigte Abschiebungszahlen der Hauptzielländer Deutschland, Italien, Frankreich und Schweden. In Deutschland waren es mit 7451 Abschiebungen im Jahr 2016 mit Abstand am meisten.