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GEW hilft Lehrern, Abschiebungen von Schülern zu verhindern

Abschiebemaßnahme in Nürnberg eskaliert

In Nürnberg hatte der Versuch, einen 20-jährigen Afghanen abzuschieben, zu Tumulten geführt. Es kam zu Schlägereien zwischen Mitschülern und der Polizei. Das örtliche Amtsgericht lehnte nun die Abschiebehaft ab.

Quelle: N24/ Erdmann Hummel

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In Baden-Württemberg rät die Gewerkschaft Lehrern per Leitfaden, betroffene Migranten zu warnen und die Polizei über deren Anwesenheit im Unklaren zu lassen. Das Innenministerium sieht darin die Aufforderung zum Rechtsbruch.

Der Flieger für die Abschiebung nach Italien sollte gegen Mittag abheben. Zu spät also, um die betroffenen Flüchtlinge schon am Vorabend abzuholen: Ein Festhalten über Nacht wäre Freiheitsentzug. Die Polizei klingelte daher zeitig morgens in der Reutlinger Asylunterkunft des 20-jährigen Gambiers Foday, doch der junge Mann war schon unterwegs in die Schule. Daher holten ihn die Beamten notgedrungen dort ab.

Der Vorfall vom Mai 2016 ist das bisher einzige Mal, dass in Baden-Württemberg eine Person von der Polizei direkt aus einer Schule zur Abschiebung gebracht wurde. Anders als jüngst an einer Nürnberger Berufsschule, wo die Abholung eines jungen Afghanen Tumulte auslöste, gab es in Reutlingen auch keine unschönen Szenen. Der Gambier war ohne Widerstand gefolgt, als ihn die Rektorin auf dem Weg zum Deutschunterricht abfing. Auf Bitte der Polizei hatte die Schulleiterin es übernommen, den jungen Mann abseits der Klasse über sein Schicksal zu informieren.

Große Aufregung unter Mitschülern und Lehrern gab es dennoch, als sie später von dem Zugriff erfuhren. Und indirekt hat der Fall jetzt auch zu einer heftigen Kontroverse zwischen der Lehrergewerkschaft GEW und dem Stuttgarter Innenministerium geführt. Denn unter dem Eindruck von Reutlingen und Nürnberg veröffentlichte die baden-württembergische GEW kürzlich eine „Handlungsanleitung bei drohender Abschiebung eines Kindes oder eines Jugendlichen“ – mit Tipps, deren Zielrichtung klar benannt ist: „Was können Sie in dieser Situation tun, wenn Sie die Abschiebung verhindern bzw. nicht unterstützen wollen?“

Das empört wiederum das Stuttgarter Innenministerium. Staatssekretär Martin Jäger warf der GEW in einem geharnischten Brief vor, dem „Rechtsbruch das Wort zu reden“. Er forderte die Landeschefin der Gewerkschaft, Doro Moritz, auf, den im Internet verbreiteten Leitfaden zurückzuziehen.

Doch dazu sieht Moritz, die alle Vorwürfe zurückweist, keinerlei Anlass. Erst einmal will sie konkret wissen, worin der angebliche Rechtsbruch bestehen soll. Der zweiseitige Leitfaden, der sich am Vorbild eines ähnlichen, aber ausführlicheren Papiers der GEW Bayern orientiert, sei durch mehrere Rechtsanwälte überprüft worden. Nun stehen sich Ministerium und GEW erst einmal unversöhnlich gegenüber.

Der mit dem baden-württembergischen Flüchtlingsrat erarbeitete Leitfaden stellt fest, dass die Schulleitung der Polizei nicht verraten müsse, wann ein Schüler Unterricht habe und wo er anzutreffen sei. Betroffene hingegen dürften sehr wohl informiert werden, wenn sich jemand vorab nach ihnen erkundige. „Es besteht keine Schweigepflicht. Der Unterrichtende hat auch keine Sanktionen zu befürchten, falls aufgrund seiner Informationen die geplante Abschiebung nicht oder nicht wie vorgesehen durchgeführt werden kann.“

Sollte die Polizei auftauchen, rät die GEW Lehrern, sofort den Anwalt des Ausreisepflichtigen oder Angehörige, Unterstützer und die Presse zu informieren. Ein Anwalt könne Abschiebehindernisse wie zum Beispiel Krankheit geltend machen. Aber auch die Pädagogen sollten zu klären versuchen, ob überhaupt die Voraussetzungen für eine Abschiebung vorlägen.

Das Stuttgarter Innenministerium hält das für absurd. Schulleitungen hätten weder Anlass noch die erforderlichen Kenntnisse, um zu überprüfen, ob eine Abschiebung zulässig sei, kritisiert Staatssekretär Jäger. Er hält den Leitfaden für eine Aufforderung an Angehörige des öffentlichen Dienstes, die Durchsetzung behördlicher Entscheidungen zu verhindern.

Damit stelle sich die GEW „erkennbar außerhalb unserer Rechtsordnung“, schreibt er und stellt mögliche disziplinarrechtliche Folgen in Aussicht. Problematisch findet der Staatssekretär auch den pädagogischen Aspekt eines solchen Widerstandes: „Nicht außer Betracht bleiben darf, welches Rechtsstaatsverständnis Schülern vermittelt wird, wenn in der Schule auf solche Weise der Vollzug von Gesetzen verhindert werden soll.“

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„Es liegt mir völlig fern, Lehrkräfte zu etwas Rechtswidrigem aufzufordern“, hält GEW-Landeschefin Moritz entgegen. Die Lehrer würden im Gegenteil ermutigt, die im Rechtsstaat garantierten Möglichkeiten zur Ausschöpfung des Rechtswegs zu nutzen, sagte sie der WELT. Die GEW sieht ihre Handlungsanleitung als Reaktion auf die Fragen verunsicherter Lehrkräfte. „Wenn Schüler von der Polizei aus dem Klassenzimmer geholt werden, ist das nicht nur für den Betroffenen dramatisch“, so Moritz. Der Zugriff müsse auch nicht in der eigenen Schule oder auch nur Stadt erfolgen. „Es ist wie bei einem Amoklauf, der alle verunsichert, egal, wo er passiert.“

Wo beginnt die Vereitelung einer Abschiebung?

Allerdings gibt es keine genauen Zahlen. Bekannt sind nur Einzelfälle, darunter zuletzt der Wirbel um die Abschiebung und Rückholung der 15-jährigen Nepalesin Bivsi und ihrer Familie in Duisburg. Grundsätzlich fordert die GEW aber, Kinderrechten und dem international gültigen Menschenrecht auf Bildung einen höheren Stellenwert einzuräumen als aufenthaltsrechtlichen Vorschriften. Bildungseinrichtungen müssten Schutzräume sein.

Doch die Sache ist durchaus diffizil, zumal es in Details in den Bundesländern Abweichungen bei den Vorschriften geben kann. Entgegen dem GEW-Leitfaden konstatierte beispielsweise das Rechtsamt der Stadt Nürnberg, dass die Schulleitung sehr wohl zur Mitwirkung bei Abschiebungen verpflichtet sei, Auskunftspflicht inklusive. Und auch Lehrer dürfen das Vorgehen der Ausländerbehörde nicht vereiteln.

Aber wo beginnt eine Vereitelung? Die Grenzen scheinen fließend zu sein: Wenn die Polizei wissen will, in welchem Klassenraum sich der gesuchte Schüler aufhält, ist es dann schon eine Behinderung des Einsatzes, wenn ein Lehrer die Frage nicht beantwortet? Auslegungssache könnte auch sein, ob ein Pädagoge eine Abschiebung aktiv behindert, wenn er – wie an der Nürnberger Berufsschule geschehen – Schüler über mögliche Formen des Protests berät. Womöglich müssen eines Tages die Gerichte darüber urteilen, wo genau die Grenzen tatsächlich verlaufen.

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