Alle arbeiten jetzt im Marketing

Nicht nur Spezialisten, alle Mitarbeitenden sollen heute Unternehmensbotschaften verbreiten.

Eugen Stamm
Drucken
Eingespannt für die Werbung: Samsung-Angestellte posieren mit dem neuen Smartphone ihres Arbeitgebers. (Bild: Mark Kauzlarich / Bloomberg)

Eingespannt für die Werbung: Samsung-Angestellte posieren mit dem neuen Smartphone ihres Arbeitgebers. (Bild: Mark Kauzlarich / Bloomberg)

Auf dem sozialen Netzwerk Instagram findet man unzählige Bilder, die das neue Gebäude von Roche, den Bau 1 in Basel, zeigen. Die Benutzer versehen ihre Fotos mit Schlagworten; meist verwenden sie naheliegende Begriffe, etwa #Basel oder #Roche. Eigene Interessen verdeutlichen sie mit Etiketten wie #Architektur. Eine ganz andere Bedeutung bekommt das höchste Gebäude der Schweiz durch die Beschreibung der Amateurfotografin Mona. Sie fügt ihrem Bild neben #Roche auf Englisch auch «toller Arbeitsort» und «bester Arbeitgeber, den es gibt» hinzu. Das ist keine Werbekampagne, sondern einfach eine Meinungsäusserung der offensichtlich motivierten Angestellten.

Übereifer tut nicht gut

Welchen Wert solche ehrliche und kostenlose Werbung auf digitalen Plattformen hat, haben viele Unternehmen bereits erkannt. Gleichzeitig bereitet das Szenario einer unkontrollierten Menge von Mitarbeitern, die sich als selbsternannte Pressesprecher betätigen, den Kommunikationsprofis in den Gesellschaften Kopfzerbrechen. Denn falls der Eifer grösser ist als der Sachverstand und jemand etwa beginnt, online die Konkurrenz schlechtzureden, dann ist der Reputationsschaden gross und allenfalls sogar mit juristischen Konsequenzen verbunden.

Ein Lehrbeispiel, wie man es nicht machen soll, bietet ein Fall aus Deutschland. Ein Artikel auf einem Blog, der die Rechtsschutzversicherung Arag kritisierte, bewog jemanden, eine lobende Stellungnahme zu verfassen, die in der Formulierung «eine der fairsten und kompetentesten Versicherungen, die ich kenne» gipfelte. Dieser Jemand verschwieg allerdings, dass er selber bei der Arag arbeitete, was herauszufinden technisch kein Problem war. Das Landesgericht Hamburg qualifizierte diese Form des Online-Aktivismus als verschleierte Wettbewerbshandlung. Das Gegenteil von gut ist gut gemeint; Tucholskys Diktum gilt auch in der digitalen Sphäre.

Um ihre Mitarbeiter zu sensibilisieren, erlassen Unternehmen Richtlinien für den Umgang mit neuen Medien. In ihrer Kürze und Prägnanz lesenswert sind etwa die «Social Media Guidelines» des Halbleiterherstellers Intel.

«Allein schon dadurch, dass du dich als Angestellter von Intel identifizierst, schaffst du eine Wahrnehmung von deiner Expertise und von Intel. Mach uns alle stolz», heisst es dort pragmatisch. Die Beziehung zu Intel offenzulegen, wenn es um Produkte oder die Firma geht, wird bereits im ersten Punkt der Richtlinie gefordert.

Wenn Angestellte sich online für ihr Unternehmen einsetzen, sei es, indem sie Firmenbotschaften teilen, in der Freizeit auf Foren Probleme lösen oder als Markenbotschafter auftreten, nennt man das auf Englisch Employee Advocacy. Diese Art des Marketings lässt sich weder befehlen noch kaufen. Sie erreicht auch Gruppen, die der üblichen Firmenkommunikation verwehrt sind. Vor allem aber hat sie ein Gesicht. Das macht sie glaubwürdig. Der Umgang mit dem Thema verlangt in den Firmen aber auch Fingerspitzengefühl.

Wenn jeder zum Sender wird, erfordert das vom Unternehmen eine Dialogstrategie, sagt Dominique Morel. Der Marketingleiter von KPMG Schweiz sagt, die Adressaten wollten ernst genommen werden «und keinen PR-Quatsch lesen». Also strebt das Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen danach, das «digitale Broschüren-Gestell», wie es Morel nennt, mit relevanten Inhalten zu füllen. Wenn etwa wie im Mai 2017 ein Schadprogramm viele Computer infiziert, können die Angestellten die Firmenstudie zum Thema Cybersecurity über die für sie wichtigen Plattformen wie Linkedin oder Xing mit ihren Kontakten teilen.

Die Crux für Unternehmen besteht also darin, interessante Botschaften zu schaffen. Die Londoner Agentur Linkhumans bringt es auf den Punkt: «Wenn die Angestellten Inhalte nicht für relevant für sich selbst und ihr Netzwerk halten, ist die Chance, dass sie diese weiterverbreiten, sehr gering.»

Wie ein Fernsehsender denken

Nun sind soziale Netzwerke aber nicht jedermanns Sache. Deshalb empfiehlt Simon Künzler, Managing Partner der Zürcher Kommunikationsagentur Xeit, den Unternehmen, die fortgeschrittensten Benutzer zu identifizieren und verstärkt mit ihnen zusammenzuarbeiten. Zuerst brauche es in einer Firma aber eine gewisse Erfahrung im Umgang mit sozialen Netzwerken, bevor es sich lohne, auf dieses Thema zu setzen. Laut seiner Erfahrung unterschätzten noch viele Unternehmen die Bedeutung des Kanals Youtube und das Potenzial von Videobotschaften.

Eine solche Videobotschaft hat Mirko Kaminski von der Kommunikationsagentur Achtung in Hamburg verfasst. Ihr Inhalt: Firmen sollen anfangen, wie Fernsehsender zu denken und intern kompetente Moderatoren aufzubauen.