Einfach nur katholisch sein….

Anmerkungen zu den Beschlüssen der Bischofskonferenz von Lingen im März 2019

Ja, es ist bestürzend, was über Missbrauch ans Tageslicht gekommen ist; bestürzend, wie wenig in vergangenen Jahrzehnten die Opfer und Leidtragenden im Blick waren – und wie sehr stattdessen der Schutz der Institution und die Nachsicht gegenüber Tätern. Aber es ist auch gut und richtig, was inzwischen passiert ist in der Kirche in Deutschland, schon seit 2002, spätestens seit 2010 und jetzt noch einmal intensiviert: in jedem Fall enge Zusammenarbeit mit den Justizbehörden, qualifizierte Prävention für alle, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, Prüfung und Aufarbeitung der Geschehnisse der Vergangenheit, Schaffung externer, unabhängiger Anlaufstellen, Neubewertung der Anerkennungsleistungen für zugefügtes Leid, Etablierung von Verhaltensregeln und anderes mehr. Und wirklich Zuhören, Mitgehen, Unterstützung geben für Betroffene. Wir bleiben in jedem Fall dran und lassen in unserem Bemühen um Aufarbeitung und Prävention nicht nach.

In fünf Jahren eine überschaubare Zahl

Ich bin seit bald fünf Jahren Bischof von Passau, seither gehen nach den Leitlinien der Bischofskonferenz auch alle Verdachtsfälle für sexuelle Gewalt oder Übergriffigkeit über meinen Schreibtisch. Wir informieren unsere Beauftragten, den Beraterstab – und verständigen uns sogleich auch mit der Staatsanwaltschaft, wenn auch nur der leiseste Verdacht auf strafbares Verhalten im Raum steht. Wir haben knapp eine halbe Million Katholiken im Bistum, knapp 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bistums und in dieser Zeit sind mir vier aktuelle Verdachtsfälle gemeldet worden. Nach einer ersten Bewertung der Hinweise durch unsere externen Beschwerdestellen, haben wir die Vorgänge der Staatsanwaltschaft mitgeteilt und dort wurde in einem einzigen Fall ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, das Verfahren jedoch mangels hinreichendem Tatverdacht wieder eingestellt. In den anderen Fällen wurde schon ein Anfangsverdacht verneint, sodass es erst gar nicht zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens kam. Dennoch schauen wir natürlich weiterhin innerkirchlich genau hin, auch im Nachgang zu solchen Hinweisen. Drei weitere mir glaubhaft vorgetragene Beschuldigungen sind bereits vor vielen Jahren geschehen und die betroffenen Priester sind bereits verstorben.

Kein neuer gravierender Missbrauchsfall

Das heißt: In meiner Zeit hat sich in den Untersuchungen bislang kein neuer gravierender Missbrauchsfall im Bistum bestätigt. Klar ist aber auch, dass ich kein Zeugnis über Dinge abgeben kann, die sich vielleicht noch in der Verborgenheit abspielen und erst noch ans Licht kommen müssen. Es gibt hier nirgendwo letzte Sicherheit. Aber es ist keineswegs so, als würden mir fortlaufend neue, gravierende Dinge bekannt. Die Maßnahmen greifen.

Öffentliche Wahrnehmung und tatsächliche Fakten

Daher möchte ich auch sagen, dass die öffentliche Wahrnehmung darüber, was Kirche bei uns heute noch angeblich alles vertuscht, versäumt oder unter der Decke hält – mit unserem Bemühen um größtmöglichen Schutz der uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen und um Aufklärung und Aufarbeitung der Geschehnisse der Vergangenheit und den tatsächlichen Fakten nicht immer übereinstimmt. Und auch das folgende ist mir wichtig: Ich hatte immer wieder intensive Begegnungen mit Menschen, die sexuell missbraucht worden sind – vor allem auch in meiner Zeit als Seelsorger für junge Erwachsene. Und ich habe dabei in die abgründigen Folgen solcher Verbrechen für die Betroffenen geschaut. Und ja, es ist skandalös, dass uns solche Folgen erst in den  Jahren um die Jahrtausendwende in ihrer ganzen Tragweite vor Augen geführt und bewusst geworden sind in der Kirche. Aber aufgrund dieser Erfahrungen habe ich keinerlei Interesse an irgendwelchen Formen von Vertuschung. Dafür aber hohes Interesse an den Fragen: Wie kümmern wir uns bestmöglich um Betroffene? Wie schützen wir besser? Wie verändern wir systemische Faktoren, um Missbrauch zu verhindern? In unserem Bistum ist mir jedenfalls kein Fall von Missbrauch mehr bekannt, der bewusst unter der Decke gehalten würde, um „das System“ oder um Täter zu schützen.

Gibt es systemische Ursachen?

Freilich nähren aber die bekannt gewordenen Taten und Zahlen dennoch den Verdacht auf Ursachen, die „systemisch“ sein könnten: Wird der Missbrauch nicht auch durch Faktoren begünstigt, die die Kirche strukturell ausmachen? Begünstigt also unser Umgang mit klerikaler Macht, begünstigt der Zölibat der Priester, begünstigt eine als rigide empfundene Sexualmoral, begünstigt der Ausschluss von Frauen aus den Weiheämtern den Missbrauch? Auch diese Fragen sind uns von der so genannten MHG-Studie, die wir veranlasst hatten, aufgegeben – und werden nun auch von vielen Menschen in und außerhalb der Kirche massiv an uns herangetragen. Allein das folgende Ergebnis verschiedener Studien nährt einen solchen Verdacht: Das Phänomen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen gibt es natürlich auch im Rest der Gesellschaft. Aber dort ist bei den Opfern das Verhältnis von Mädchen zu Jungen etwa bei 4:1. In der Kirche ist es dagegen in der Regel umgekehrt, also eher 1:4.

Macht, Zölibat, Sexualmoral

Das lässt uns zum Beispiel fragen: Wen zieht hier das „System Kirche“ an – und wie gehen wir damit um? Wie gelingt eigentlich priesterliches Leben heute unter so radikal veränderten gesellschaftlichen Bedingungen? Was bedeutet die für mich überraschende Einsicht der Studie, dass die Priester-Täter bei ihrer ersten Tat schon durchschnittlich 14 Jahre im Amt sind, ehe die Tat geschieht? Welche Rolle spielt dabei das Phänomen der gleichgeschlechtlichen Orientierung auch unter Priestern? Solche und andere Fragen fordern uns heraus. Die Bischofskonferenz hat sich daher jüngst in Lingen zum ersten Mal in einem offenen und intensiven Gespräch für drei dieser Fragenkomplexe in einen ernsthaften Dialog begeben: Was heißt Macht und Leitung in der Kirche, besonders klerikale Macht? Wie kann heute priesterliches Leben gelingen? Und lässt sich die katholische Sexualmoral „weiterentwickeln“?

Die Machtfrage

Persönlich bin ich überzeugt, dass wir besonders an den ersten beiden Themen intensiv arbeiten müssen. Ja, es gibt das Phänomen und die Versuchung, sich als Bischof oder Priester auf eine Machtposition zurückzuziehen und sich gegenüber den Gläubigen oder der Gesellschaft zu immunisieren – kraft des vor allem sakral begründeten Amtes. Ich glaube freilich auch, dass unser Herr Jesus Christus das ganze Volk Gottes mit der Vollmacht ausgestattet hat, Kinder Gottes zu werden (Joh 1, 12). Und dass er besonders den Amtsträgern die Vollmacht geschenkt hat, Menschen in die Gotteskindschaft hineinzuhelfen, durch den Dienst der Verkündigung und die Spendung der Sakramente – und auch durch den Dienst der Leitung. Aber solche „Macht“ ist zuerst geistliche Autorität im Dienst des Heils der Menschen. Und ja, wo immer Macht ausgeübt wird, kann sie auch missbraucht werden. Und ich bin überzeugt, dass wir heute einen anderen, vor allem partizipativeren Stil von Leitung in der Kirche brauchen als er noch vor wenigen Jahren oder Jahrzehnten möglich oder denkbar war. Auch einen Stil, der Frauen viel stärker mit einbezieht, als Kirche es über Jahrhunderte gepflegt hat. Papst Franziskus lebt von diesem Stil etwas vor. Und ja, darüber müssen wir uns neu verständigen im Volk Gottes.

Der Lebensstil der Priester

Auch das zweite Thema darf und muss intensiv besprochen werden, insbesondere mit den Priestern und Bischöfen selbst. Wie kann ein zölibatäres Leben unter heutigen Bedingungen gelingend gelebt werden? Ich glaube tatsächlich, dass so ein Leben gut möglich ist, aber womöglich kommt ein größerer Teil der Mitbrüder auch zu der Auffassung, dass ein zu häufiges Scheitern am Zölibat am Ende eher zum Gegenzeugnis wird als zum Zeugnis. Grundsätzlich halte ich das Leben in der Lebensform Jesu für einen großen geistlichen Schatz in unserer Kirche – und würde daher einen Abschied davon unter Priestern für einen großen geistlichen Verlust halten. Unsere Lebensform verweist schon auf das eigentliche, ganz von Ihm erfüllte Leben in der Wirklichkeit Gottes, in der nicht weniger sondern mehr und tiefer geliebt – aber eben nicht mehr geheiratet wird (Lk 20,35). Gelingendes zölibatäres Leben bezeugt eine Fruchtbarkeit, die vom Herrn kommt und die die rein biologische Fruchtbarkeit übersteigt. Sie trägt dazu bei, dass neue Kinder Gottes geboren werden (vgl. Joh 3,3). Außerdem: Der Mensch ist das einzige Wesen, das wir in dieser materiellen Welt kennen, das Versprechen halten kann. Und gerade das zeichnet uns als Personen aus. Wir wissen zugleich, dass wir alle immer wieder gerade bei unserer Kraft zur Treue versucht und herausgefordert werden und zur Untreue neigen. Aber sollten nicht gerade unsere Priester, die in ihrem Versprechen ganz auf Gottes Beistand bauen, dieses wunderbare Zeichen der Treue bewähren können – und damit ein herausforderndes Zeichen sein und bleiben für die Welt?

Die dramatisch veränderte Situation

Andererseits: Die Situation für heute lebende Diözesanpriester hat sich in wenigen Jahrzehnten drastisch verändert: zumeist leben sie ohne Kapläne, ohne Haushälterinnen, mit Internet und all seinen Herausforderungen, mit skeptischen Gemeinden, mit zahllosen Pfarreien, mit einer liberalen, sexualisierten Gesellschaft, die alle Lebensformen ganz „normal“ findet nur die priesterliche „unnatürlich“, und bisweilen auch ohne eine plausible und tief gehende eigene anthropologische und theologische Begründung für die eigene Lebensform. Das kann die Motivation für die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen aushöhlen und es braucht massive Stärkung, damit ein solche Lebensform froh und das Evangelium bezeugend gelingen kann. Meine Option ist daher: Alles versuchen, um die Lebensform Jesu auch als Lebensform der Priester zu bewahren. Aber auch: ehrlich hinsehen!

Die geistliche Substanz und die Zahl der Priester

Ich glaube übrigens auch, dass es einen direkten Zusammenhang gibt zwischen der geistlichen Substanz eines gläubigen Volkes und der geistlichen Substanz des priesterlichen Lebens und damit auch der Zahl der Priester, die der Herr dem Volk schenkt. Daher: Eine bloß am strukturellen „Bedarf“ orientierte Veränderung, in der Hoffnung, damit würden sich die zahlenmäßigen Probleme lösen, wäre aus meiner Sicht viel zu kurz gegriffen. Zudem: Würde der Zölibat zur „Auswahl“ gestellt werden, dann würde die zölibatäre Lebensform bei den Diözesanpriestern ziemlich schnell verschwinden – und auf die Klöster beschränkt werden – was man geschichtlich an den Ostkirchen sehen kann. Deshalb: Ja, wir müssen aufrichtig reden, wie diese Lebensform heute von der großen Mehrheit der Priester wirklich zeugnishaft und gelingend gelebt werden kann.

Gibt es „Weiterentwicklung“ in der Sexualmoral?

Beim dritten Thema, der Frage nach einer „Weiterentwicklung der Sexualmoral“ so die offizielle Diktion, habe ich große Fragen: Erstens würde Weiterentwicklung hier letztlich eine andere Anthropologie bedeuten – und nicht nur eine weiter entwickelte; eine Anthropologie nämlich, die sich nicht mehr am sogenannten Naturrecht orientiert und die zweitens zudem begründen müsste, warum das, was vorher Sünde war, jetzt nicht mehr Sünde ist, sondern womöglich sogar gesegnet (also gutgeheißen) werden könnte. Drittens sind hier die Fragen von Glaubens- und Sittenlehre so sehr im Kern berührt, dass es, wenn überhaupt, zugleich eine Entwicklung auf weltkirchlicher Ebene dazu geben müsste. Mancher erhofft sich zwar einen Anstoß von uns her aus Deutschland, der dann so intensiv und überzeugend sein würde, dass er sich weltkirchlich durchsetzen oder eben wegen regionaler Unterschiede nur bei uns gelten könnte. Beides halte ich für wenig realistisch. Und auch die Behauptung, die kirchliche Moral nehme zu wenig humanwissenschaftliche Erkenntnisse wahr, überzeugt mich nicht. Bislang jedenfalls habe ich hier wenig wirklich Substanzielles gehört. Auch in Lingen wurde auf „humanwissenschaftliche neue Erkenntnisse“ verwiesen – ohne sie eigentlich dazuzulegen. Viel eher bin ich der Überzeugung, dass insbesondere die von Papst Johannes Paul II. entfaltete „Theologie des Leibes“ überaus fundiert die Verfassung des Menschen als personales, beziehungsorientiertes, sexuelles Wesen entfaltet, zugleich unserer biblischen Tradition gerecht wird und meines Erachtens auch humanwissenschaftlich auf der Höhe ist oder besser: Selbst christliche (!) Humanwissenschaft im tiefsten Sinne des Wortes ist. Im Bereich „Weiterentwicklung der Sexualmoral“ würde ich also allzu große „Reformhoffnungen“ eher dämpfen wollen. Auch weil sonst die Frustrationen nachher nur wieder umso größer wäre und die Gefahr einer Spaltung ebenfalls.

Plausibilisierung der Schönheit der Lehre

Viel eher ginge es aus meiner Sicht in diesem dritten Bereich um die erneute und vertiefte Plausibilisierung der kirchlichen Lehre zum Thema – und ihrer Schönheit – da sie eben gerade nicht bloße Verbotsmoral ist. Dazu müsste sie freilich tatsächlich auch biblisch und jesuanisch verstanden werden. Und verstehbar wird sie im Grunde erst unter der Voraussetzung und der konkreten Erfahrung, dass die innere Verbundenheit mit dem Herrn tatsächlich zu einer Liebesfähigkeit führen kann, die anders ist als das, was Welt und Gesellschaft durchschnittlich für Liebe halten. Denn wenn das Vertrauen auf den Herrn, der Glaube an ihn, tatsächlich meine Liebesfähigkeit verändern und vertiefen kann, dann schließt das die Dimension der Sexualität immer mit ein und nicht aus – und führt aus meiner Sicht zu einer Sexualmoral, wie sie die Kirche eben lehrt.

Was ist der synodale Weg?

Was genau nun der von Kardinal Marx angekündigte und von der Bischofskonferenz beschlossene „synodale Weg“ zu diesen drei Themen bedeutet, ist noch nicht präzise formuliert. Er soll mit den Gläubigen des Gottesvolkes, besonders den Mitgliedern des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und anderen, ausgelotet werden. Und er soll zu „verbindlichen Ergebnissen“ führen, wie es heißt. Aber er soll – so die Bischöfe – zugleich „ergebnisoffen“ sein – die Ergebnisse sollen nicht schon feststehen. Gleichwohl klingt auch immer wieder vielstimmig durch: Es braucht „Veränderung“. Und auch wohin diese führen sollen, scheint – trotz aller Beteuerungen – für die allermeisten schon festzustehen. Das heißt, wir haben schon von vornherein eine große Spannung zwischen ergebnisoffen einerseits und den von vielen erwarteten Resultaten andererseits.

Veränderung kommt ohnehin

Für mich ist hier deutlich: Veränderung kommt in der Kirche ohnehin – wir sind mittendrin. Das Klima, in dem wir heute in Deutschland Kirche sind und sein wollen, hat sich dramatisch verändert. Menschen, die sich heute noch offen als katholisch bekennen, haben hohen Rechtfertigungsdruck und erleiden bisweilen sogar Nachteile – etwa im Berufsleben. Die Austrittszahlen steigen massiv – und ein Rückgang ist hier kaum zu erwarten im gegenwärtigen Klima. Auch bei unseren evangelischen Geschwistern sind die Abwanderungsbewegungen und Auflösungserscheinungen groß – insgesamt seit Jahrzehnten durchschnittlich höher als bei uns. Und ich sage das mit großem Bedauern, weil wir als Getaufte zusammengehören. Daher meine ich folgendes zu sehen: Durch die von vielen gewünschten Veränderungen – vor allem im Bereich der Sexualmoral – könnte sich unsere Kirche selbst womöglich aus der ständigen medialen Schusslinie bringen und entginge dem ständigen Rechtfertigungsdruck, warum man denn so altmodisch, konservativ sei und überhaupt nicht dem Stand der Zeit und der Wissenschaft entspreche. Schon lange denkt ja auch die überwiegende Mehrheit der Gläubigen, die veröffentlichte Meinung und inzwischen wohl auch mancher Amtsträger ohnehin einem solchen „Mainstream“ gemäß: Die Macht dürfe nicht mehr bei den männerbündischen Zölibatären liegen, der Zölibat gehöre ohnehin abgeschafft und die Sexualmoral schon längst verändert. Die Zahl dieser Menschen wächst – und mit ihnen auch die Zahl derjenigen, die sich von der Kirche abwenden, weil sich in diesen Themen „nichts tut“ – und bei der Frage nach der Frauenordination auch nicht. Freilich leiden auch nicht wenige andere unter Verunsicherung, vor allem solche, die treu zur überlieferten Glaubenslehre stehen wollen. Doch zahlenmäßig mehr Menschen hoffen wohl, dass eine Art „Nachgeben“ vor allem in den Themen der Sexualmoral dazu führen würde, dass sich dann insgesamt weniger abwenden und die Lehre irgendwie humaner, nachsichtiger und für alle akzeptabler wäre. Der Blick auf die evangelischen Geschwister lässt mich eine solche Hoffnung als trügerisch erahnen. Wir wären dann zwar vielleicht raus aus dem medialen Fokus. Zugleich würde aber wohl auch bei nicht wenigen auch die religiöse Gleichgültigkeit mitwachsen – wenn Kirche endlich so ist, wie eine liberale Gesellschaft sie gerne hätte. Die Glaubenslehre fordert dann ja kaum mehr jemanden heraus! Aber Wachstumsmöglichkeiten für die Kirche sehe ich darin kaum.

Die Treuen

Andererseits erlebe ich freilich auch, dass an so vielen Orten unseres Bistums, in Pfarreien, Verbänden, Einrichtungen, immer noch viele Menschen tief gläubig sind. Sie sind treu, sie beten, sie bleiben dabei, sie engagieren sich in vielen Bereichen, sie sorgen sich mit uns und sie bringen der Kirche und unseren Priestern und Haupt- und Ehrenamtlichen viel Vertrauen entgegen. Und sie tun es zurecht, weil wir viele qualifizierte, vertrauenswürdige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben. Dafür bin ich überaus dankbar.

Das Phänomen Wachstum

Zudem erlebe ich auch seit einigen Jahren das folgende Phänomen: Es gibt tatsächlich auch bei uns Wachstumsorte von Kirche, in einzelnen Gemeinden, Verbänden oder kleinen Gruppen vor Ort, wo sich Menschen sehr konkret zusammentun und ihren Glauben miteinander vertiefen oder auch neu entdecken wollen – durch gemeinsames Gebet, Gespräch, Hören auf Gottes Wort. Miteinander wächst das Gespür dafür, dass die eigene Glaubensstärke längst kein Selbstläufer mehr ist – und sie machen sich als Suchende und Fragende auf, neu zu entdecken, wie eigentlich heute Evangelisierung geht, für sich selbst, für andere und mit anderen zusammen. Und ebenso geschieht es in manchen neueren Phänomenen, Bewegungen, Kirchorten – wie verschieden sie auch sein mögen. Und diese Wachstumsorte haben im Grunde häufig etwas damit zu tun, dass Menschen, nicht selten gerade jüngere Menschen, erstmals oder neu anfangen aus der konkreten Erfahrung der Begegnung und der Freundschaft mit Jesus zu leben. Sie haben zu tun mit Menschen, die ernsthaft Jüngerinnen und Jünger Jesu sein wollen; die sich wünschen – bei all ihren Grenzen – dass der Herr auch wirklich der Herr ihres Lebens sein möge in allen Bereichen und existenziell. Sie freuen sich an den Sakramenten der Kirche und an glaubwürdigen Priestern, die die Sakramente spenden. Sie haben etwas erfahren und sich entschieden und wollen aus dieser Entschiedenheit leben. Sie wollen auch andere Menschen für den Herrn gewinnen. Sie lieben die Hl. Schrift, den Katechismus, die Texte der Konzilien und der Väter und die Soziallehre der Kirche. Sie halten die meisten dieser Texte für zeitgemäß verstehbar und wollen sie besser verstehen. Und sie haben oftmals wenig Probleme nachzuvollziehen, dass die Kirche in den so genannten Reizthemen ihre eigene Position hat und behält. Sie wollen anderen dienen, vor allem solchen in Not.

Einfach nur katholisch sein….

Im Grunde wollen viele treue Gläubige unter uns einfach nur katholisch sein – und den Glauben so empfangen und leben, wie ihn die Apostel, die Schrift, die Tradition und die Liturgie überliefern und feiern. Manche von den Jüngeren studieren Theologie, um eben diese große Glaubensüberlieferung besser zu verstehen und für heute fruchtbar zu machen. Ja, einige sprechen sogar ohne Scham und erfrischend offen darüber, dass der Wunsch Gottes für sie – wie für uns alle ist, heilig zu werden. Papst Franziskus hat dies erst kürzlich in dem schönen Text „Gaudete et exultate“ verdeutlicht: Heiligkeit ist der Ruf für jeden! Auch das gehört in die Herzmitte unseres Glaubens. Einfach nur katholisch sein – mit einem Glauben, der befreit, der heiligt, der angstfrei und unverkrampft ist – und offen ist für jedes Gespräch; mit einem Glauben, der zugleich demütig ist und die Not anderer im Blick hat – und der sich freut an unserer großartigen Überlieferung und dem tiefen Geheimnis der Kirche, die in Maria ihr Urbild hat. Mit einem Glauben, der Veränderung dort leben und erreichen will, wo sie zu größerer Treue zum Evangelium führt, zu tieferer Innerlichkeit im Leben mit Christus und zu größerer Dienstbereitschaft für andere. In diesem Sinn einfach nur katholisch sein und sich immer neu wandeln lassen: Das will ich selbst auch. Ich habe bei meinen Weihen zum Diakon, zum Priester und zum Bischof mehrfach versprochen, dass ich für eben diesen Glauben mit ganzer Überzeugung eintreten und für ihn kämpfen werde. Und ich bin sicher, dass der Herr alle segnet und auch seine Freude erfahren lässt, die sich auf diesen Weg einlassen – egal wie herausfordernd die Zeiten sind.

 


Zum Synodalen Weg

Bischof Stefan hat sich bereits in der Vergangenheit mehrmals zum Synodalen Weg geäußert. Eine Stellungnahme zu den einzelnen Bereichen finden Sie hier.