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Bärndütsch, wältwyt!

Bärndütsch performe u schrybe

Wir möchten auf diesem Blog eine neue Serie etablieren: «Bärndütsch performe u schrybe». 

In jeder Folge stellt sich – im Abstand von 3 bis 4 Wochen – ein/e Berndeutsch-Autor/in oder -Performer/in vor und beantwortet Fragen zur Rolle und Verwendung der Berner Mundart in seinen/ihren Werken – sei es in gedruckten oder in mündlich performten Texten. Den Anfang macht unser Team-Mitglied Hans Jürg Zingg


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Hans Jürg Zingg liest im Dezember 2014 in Thun. Foto: Samuel Hess (https://foto.hess.sh/

Umschreibe kurz, wie du «mys bärndütsch» verstehst, d.h. welche regionalen, sozialen und sprachbiografischen Einflüsse deine literarische Mundart geprägt haben.

Aufgewachsen in Thun, sozialisiert in einer Sekundarlehrersfamilie mit Wurzeln im Seeland (Vater) und der Stadt Bern (Mutter), habe ich früh eine Affinität zum Mattenenglisch (Grosspapa war ein «Mattegieu») und zu den Oberländer Mundarten (Kollegen im Gymnasium, Vaters Brienzer Witze u.a.m.) entwickelt. 

Da ich seit über 50 Jahren im Unteren Emmental wohne und in Bern studiert habe, dann während 34 Jahren an einem Stadtberner Gymnasium Deutschlehrer war, kann ich meine Sprachheimat als das Dreieck beschreiben, das von den Städten Thun, Bern und Burgdorf gebildet wird.


Warum und wann schreibst/performst du Hochdeutsch, wann Berndeutsch?

Hochdeutsch schrieb ich vor allem als Autor von Kolumnen und Satiren mit Bezug zur Schule. Auch unter den frühen Kabarett-Nummern sind mehrere in Standardsprache verfasst, wohl der damals gängigen Vorbilder wegen. 

Bei den Schultheaterstücken sowie den Kaktus-Satiren wählte ich die Sprache nach Bedarf. Bei den Liedern hingegen dominierte von Anfang an die Mundart, bei den Wörtersack-Gedichten sowieso, hier nenne ich sie in Anlehnung an Kurt Marti «bäärner umgangsschpraach». 

Der im Entstehen begriffene Adoleszenzroman «schwander schül» ist ebenfalls in Berndeutsch geschrieben, allerdings verwende ich dort nebst Französisch auch einen Oberländer Dialekt sowie andere Deutschschweizer Mundarten, und dort, wo es hingehört (z.B. wenn es um Szenen in der Schule geht), auch die Standardsprache.


Schreibst du ein homogenes Berndeutsch, oder benutzest du ab und zu auch andere regionale Färbungen, Soziolekte oder ev. sogar andere Mundarten? – Wenn ja, welche und wozu?

Vgl. Antwort 2.

Roman «schwander schül»: Die Grund-Erzählsprache ist «mein» Berndeutsch (vgl. Frage 1). Doch mir ist es wichtig, andere Berndeutsch-Varianten (z.B. Biel) oder auch andere Deutschschweizer Mundarten (z.B. Basel, Thurgau) einfliessen zu lassen, damit der Text lebendig, authentisch wirkt. Wenn ich mich in einer Mundart zu wenig sicher fühle, frage ich eine Gewährsperson um Rat.

Im Marionettenstück «Peter Schlemihls merkwürdigi Gschicht» lasse ich eine Figur Sankt Galler Mundart sprechen – man darf raten, ob es sich um eine sympathische oder eine unsympathische handelt…


«spoken word»: Würdest du dich als spoken word-Autor bezeichnen? Inwiefern wird dein Mundart-Schreiben durch die Vorstellung, dass der Text vorgelesen wird, beeinflusst?

Als ich Ende 2012 mit Poetry Slam anfing, war «my wörtersack» noch im Entstehen. Rasch merkte ich, dass sich mit Sequenzen meiner berndeutschen Gedichte sogar Slams gewinnen liessen. Ich schrieb dann 2014 als Untertitel zum Wörtersack «spouken wöörd» dazu. Das heisst zweierlei: erstens sind die Gedichte tatsächlich am wirksamsten, wenn man sie vorliest. Anderseits habe ich von Anfang an (d.h. seit 1962) hauptsächlich für die Bühne geschrieben, auch die Lieder natürlich, deshalb schrieb und schreibe ich andauernd mit dem Ohr. 

So gesehen hat «spouken wöörd» auch etwas Ironisches: Man sagt jetzt so, aber eigentlich galt für mich das Prinzip schon lange vor der Erfindung dieses Begriffs. Deshalb schreibe ich im Gedicht «spoukenrittenritt» (vgl. Video unten) «spouken wöörd isch ritten wöörd u ritten wöörd isch spouken wöörd» und nenne ein paar Vorbilder, für die das «schnureryff schrybe» schon immer gegolten hat: Lessing, Lenz, Goethe, Gotthelf, C.A. Loosli, Martin Frank und andere.



Gibt es für dich richtiges / falsches Berndeutsch?

Das ist eine heikle Frage, weil man sofort als rückwärtsgewandter Sprachbewahrer abgestempelt wird, wenn man jemandem «falsches» Berndeutsch vorwirft. Ben Vatter hat das sehr elegant gelöst, indem er sich als «Bärndütsch-Psychopapscht» bezeichnet, er hat sich damit eine Narrenkappe aufgesetzt, unter welcher er falsches Berndeutsch kritisieren darf, ohne dass man ihm böse sein kann, vgl. etwa sein «Bratwurst»-Lied

Mein Prinzip ist, das Berndeutsch, welches für mich gilt, klar und deutlich zu vertreten, ohne es aber andern aufzwingen zu wollen. Einige Wörtersack-Gedichte sind diesem Thema gewidmet, ich versuche dort, Veränderungen im Gebrauch von Wörtern auf humoristische Art zu beschreiben, so dass ein Lerneffekt entsteht, der nicht belehrend im schulmeisterlichen Sinn wirken soll. Ein Beispiel: «viu schpaass»:

viu schpaass

gschpass apaartig
itz mau ooni seich
das cha o ne euteren ämmitaaler
nume no i aafüerigs- u schlusszeiche säge

i meinen eine
wo no viiu vergnüege seit
u sech aafüerigs- u schlusszeiche dänkt
wen im öpper viiu schpaass bim jasse wünscht

iim het das wörtli schpaass
nie würklech vergnüege gmacht
o mit der schpaassgseuschaft
het äär nid viiu am huet

u glych verchlemmt er sech
ds naserümpfe
u ds gchlöön
da wäärd üses bäärndütsch verhunzet

wen im öpper seit
är heig schpaass a sym pruef
fragt er hööchschtens zrügg
jä – im äärnscht?

wüu schliesslech u ooni seich
verschteit är ja gschpass


Legst du Wert auf bestimmte Prinzipien der Schreibung oder lässt du das deine LektorInnen machen?

Ich entwickle meine Berndeutsch-Schreibung selbst, lasse mich aber gerne von Lektoren/Lektorinnen beraten und auf Inkonsequenzen hinweisen. Eine Rechtschreibung konsequent einzuhalten, ist etwas vom Anspruchsvollsten beim Mundart Schreiben. Nicht zuletzt, weil sich die Mundartschreibung, auch meine eigene, in den fünf Jahrzehnten, da ich sie benütze, relativ stark verändert hat.


Wenn du deine Schreibung selbst pflegst, welche Regeln sind dir besonders wichtig?

Inspiriert u.a. von Christian Schmid schreibe ich nach dem Dieth-Prinzip «schreibe wie du sprichst». Dabei versuche ich so konsequent wie möglich auf Vokallängen zu achten, die ich mit Doppelvokalen schreibe (Ausnahme: Fremdwörter und Eigennamen). 

Das geschlossene «i» schreibe ich wie viele andere mit y, verzichte aber aus ästhetischen Gründen auf dessen Verdoppelung. Das stumpfe «i» ist bei mir ein «i» («Bire»), das es auch als Länge gibt: «ii» («ziirpe», «tschiirgge»). 

Schriftsprachnahe Lesehilfen wie das Dehnungs-h finden sich bei mir nicht, bzw. nicht mehr, denn meine Schreibweise hat sich, insbesondere seit dem Schreiben am Roman, verändert. Und schliesslich benütze ich auch keine spielerischen Verfremdungen à la Walter Vogt («hani xeit», «pfögu»).


Gibt es Berndeutsch-Schreibungen bei andern, die dich aufregen? Nenne Beispiele und begründe kurz.

Auf facebook gibt es Berndeutsch-Gruppen, wo alle sehr bedacht darauf sind, dass man schreiben dürfe, «wi eim dr Schnabu ggwachsen isch». Und wehe, man würde jemandem einen «Fehler» ankreiden, das hätte sofort ein Shitstürmlein zur Folge: Hört auf zu schulmeistern!! Es gibt schliesslich keine Berndeutsch-Regeln!!!

Ich aber ertrage dieses laisser-faire in Sachen Schreibweise nur mit Mühe, wahrscheinlich war ich zu lange Deutschlehrer! Am auffälligsten und nervigsten ist die Verwechslung von «ds» und «z»: «I bi ds Bärn gsy», «z Vreni het gseit, …»


Kultivierst du besondere Wörter, hast du Lieblingswörter? Gib ein paar Beispiele!

Zufällig beginnen sie alle mit «g»: gäbig, ggäggele, ggänggele … Aber auch «wüeschti Wörter» gehören dazu, man lese das SCHNUDERBUECH, das letzte im «wörtersack»!


Was für Wörterbücher konsultierst du? – Hast du auch schon mal www.berndeutsch.ch benützt?

Ich bin Mundart-Autor und nicht Mundart-Spezialist mit dem Gelehrtenwissen eines Christian Schmid, Markus Gasser und den andern Herren von der Schnabelweid oder gar dem Idiotikon. Ich benütze vor allem das Berndeutsch-Wörterbuch von Bietenhard-von Greyerz, nach Bedarf auch das Online-Idiotikon. Und an www.berndeutsch.ch arbeite ich selbst, deshalb bin ich stolz darauf, dass es so viele Benutzer dieses Wörterbuchs gibt.