WM-Kolumne „Nachgetreten“ :
Ist dies das Abschlussende?

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Deutsche Fans nach dem Spiel gegen Mexiko
Nationalität ist bei weitem nicht das interessanteste Kriterium für Sympathie. Ein Ausscheiden in der Vorrunde hätte seine Vorzüge: Endlich ginge es um Fußball.

Was passiert, sollten die Deutschen am Samstag nicht gegen Schweden gewinnen? Es wäre gewiss ein nationales Desaster. Aber würde uns kollektive Verzweiflung erfassen wie die Brasilianer vor vier Jahren? Sprachloses Entsetzen wäre es jedenfalls nicht; die Sätze, die fallen würden, sind schon formuliert. Es käme zu Debatten über Özilgate und darüber, dass von Beginn an ein Schatten auf der Mannschaft lag. (Dass zwei Spieler, die sich törichterweise mit einem Diktator ablichten lassen, schlimmer sind als eine WM, die unter Komplizenschaft der Fifa mit einer Diktatur stattfindet, was keinen Özilkritiker davon abhält, sich die Sachen anzuschauen, ist Stoff für eine Psychologie der Selbstgerechtigkeit). Gewiss würde irgendjemand auffallen, dass Joachim Löw diesmal seinen Vertrag vor der WM verlängert hat. Andererseits würden Statistiken bemüht, dass schon fünfmal ein Weltmeister in der Vorrunde scheiterte. Das seltsame Wort „Neuanfang“ – so etwas wie „Abschlussende“ – würde viel benutzt.

Doch würde die Weltmeisterschaft dadurch uninteressanter werden? Im Fußball hilft es, einer der beiden Seiten den Sieg zu wünschen. Es lenkt die Aufmerksamkeit, erzeugt Spannung. In der Mehrzahl der WM-Spiele mag das aber so wenig aufgrund der eigenen Herkunft tun wie Leute, die von Frankfurt aus einem Ägypter, der derzeit in Liverpool spielt, die Daumen gegen einen Deutschen bei Madrid drückten. Das ganze Gündogandurcheinander mit kritisierten, für normal oder für verzeihlich gehaltenen Zweitrollen – auch Zidane aus Marseille sang einst die Marseillaise nicht mit – dokumentiert zusätzlich, dass, wer strikt auf Identität besteht, zu Recht nicht darüber nachdenkt, was genau das heißen soll.

Die Zeichnung von Philip Waechter ist dem Buch „Lob des Fussballs“ von Jürgen Kaube (C.H. Beck, 2018) entnommen.
Die Zeichnung von Philip Waechter ist dem Buch „Lob des Fussballs“ von Jürgen Kaube (C.H. Beck, 2018) entnommen.Philip Waechter

Nimmt dadurch nicht die Chance zu, das Spiel als solches zu betrachten und sich über die Deutschen zu ärgern, nicht, weil sie die eigenen Leute sind, sondern weil sie schlecht gespielt haben? Oder, wie gerade bei Iran gegen Spanien, während des Spiels gar nicht zu wissen, zu wem man halten soll: natürlich für den Außenseiter; nein, natürlich für die Mannschaft mit Iniesta; nein, mehr für die zähen Verteidiger; halt, lieber doch für das Bemühen, durch ein destruktives 8:2-System durchzudringen; nein, der iranische Ausgleich wäre doch zu schön, zumal das Tor so unglücklich fiel und sie auf einmal zu spielen anfingen; ach, verflucht, schon wieder ein Videobeweis...

„Auch dieses Spiel war keine Werbung für den Fußball“, schreibt die „Sportschau“. Doch, Dummköpfe, gerade für den Fußball war es eine Werbung, denn genau so ist er, „sehr kompliziert“ (Fernando Hierro), ständiges Scheitern, ständige Aufforderung, genau hinzuschauen, ständiges Umschlagen von Erwartungen, unter denen die nationalen nicht zu den ergiebigsten gehören.