Betriebsratswahlen:Hier kämpft der Oberarzt

Betriebsrat

Nummer eines Betriebsratszimmers.

(Foto: dpa)

In Krankenhäusern und anderswo: Von diesem Donnerstag an werden in Betrieben wieder die Arbeitnehmervertreter gewählt. In ganz Deutschland zwar, jedoch noch längst nicht überall.

Von Detlef Esslinger

Zum Beispiel der Flugzeugbauer in Speyer: Wer dort arbeitet, kann seine Arbeitszeit für ein, zwei Jahre reduzieren oder sich ganz freistellen lassen - und trotzdem gibt es weiterhin 75 Prozent des Gehalts.

Zum Beispiel die Baufirma in Jever: Dort ist inzwischen Schluss mit einer jahrelangen, überaus eigenartigen Praxis - dass der Chef automatisch eine Kopie jeder ein- und ausgehenden Mail erhält.

Zum Beispiel das Klinikum in Wiesbaden: Die Pfleger kennen jetzt wenigstens ihre Rechte - und wissen, dass man sie an ihrem freien Tag nicht einfach so anrufen und in den Dienst bestellen darf, nur weil gerade irgendwo Not ist.

Manchmal sind es scheinbare Selbstverständlichkeiten, die man aus einem Betrieb berichten kann; manchmal, wie in Speyer, scheint gar das Paradies wahr geworden zu sein. Von diesem Donnerstag an, bis Ende Mai, werden in ganz Deutschland die Betriebsräte neu gewählt. Es sind keine Wahlen, die es in die Fernsehnachrichten oder auch noch in eine der Quasselrunden dort schaffen würden; es werden dazu auch nicht die Innenstädte mit Plakatwänden von Kandidaten dekoriert. Aber es sind Wahlen, deren Ergebnisse den Alltag von Millionen Menschen mindestens ebenso prägen, wie es Stadtrats- oder Bundestagswahlen tun.

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Von den Nazis verboten, von den Alliierten wieder eingeführt: Das Bild zeigt ein Plakat für Betriebsratswahlen 1948 in der britischen Zone.

(Foto: Friedrich-Ebert-Stiftung)

Was sind es für Menschen, die diesen Job machen? Sie sind hartnäckig - und sie helfen gern

Theoretisch sollten die allermeisten Arbeitnehmer in Deutschland in einem Betrieb arbeiten, in dem es einen Betriebsrat gibt. Das Betriebsverfassungsgesetz legt umstandslos fest: In Betrieben mit mindestens fünf Arbeitnehmern "werden Betriebsräte gewählt". Tatsächlich ist dieses Gremium jedoch alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Im Westen kommt im Schnitt 43 Prozent der Beschäftigten in der Privatwirtschaft ein Betriebsrat zugute, im Osten sogar nur 34 Prozent. Studien gelangen zu dem Ergebnis, dass Betriebe mit Betriebsrat familienfreundlicher sind als andere, mehr ausbilden, mehr Urlaub gewähren, innovativer sind und weniger zulasten der Arbeitnehmer tricksen, indem sie Gesetze umgehen.

Die Studien stammen zwar fast alle von gewerkschaftsnahen Forschern. Sie mögen ein Interesse haben, Betriebsräte positiv darzustellen. Dennoch sind ihre Ergebnisse plausibel. Von alleine kommt ein kontrollwütiger Chef nicht auf die Idee, die Lektüre aller E-Mails zu unterlassen; und es hat auch nicht jeder Planer in jeder Klinik ein Interesse, Pfleger über ihre Rechte an freien Tagen aufzuklären. So etwas müssen Betriebsräte übernehmen, wo sie fehlen, fehlt es an Gegenmacht.

Dieter Pohland, 64, ist ein Betriebsrat, der für sich sogar noch schärfere Bezeichnungen gefunden hat: "Störfaktor" und "Widerständler". Man trifft ihn im Betriebsratsbüro des Helios-Klinikums in Wiesbaden, und sein Selbstbild mag durchaus erstaunlich sein: Bevor Pohland sich als Betriebsrat freistellen ließ, war er Oberarzt in der Anästhesie. Oberärzte reden normalerweise nicht derart kämpferisch, aber dieser hier fand mit der Zeit, es sei medizinisch nicht mehr verantwortbar, "wie wenig Pfleger wir derzeit auf Station haben". Nur: Wenn er dies als Oberarzt sage, heiße es irgendwann, man sei hier nicht der richtige Mann. "Diese Wehrlosigkeit macht einen verrückt", sagt Pohland. "Als Betriebsrat hingegen ist es mein Job, gegen Missstände vorzugehen."

Wer mit Betriebsräten redet, egal welchen Alters, egal in welcher Branche, dem fällt rasch eine Gemeinsamkeit auf: Es handelt sich bei ihnen um Menschen, denen eine gewisse Hartnäckigkeit sowie ein gewisser Widerspruchsgeist zu eigen ist - und es sind Menschen, die gerne helfen.

"Es macht Spaß mitzuerleben, wenn eines Tages Kollegen den Mut finden zu sagen: Das mache ich jetzt nicht mehr mit", sagt Christin Jakob, 54, ebenfalls Betriebsrätin bei Helios.

"Wenn man für andere etwas tun kann, geht's einem gut", sagt Werner Rieder, 52, Betriebsratsvorsitzender bei PFW-Aerospace in Speyer, diesem Paradies.

"Die einzige Gefahr bei der Tätigkeit ist, dass man Schicksale zu nah an sich heran lässt", sagt Jens Ehrlinger, 46, Vorsitzender beim Süddeutschen Verlag in München (in dem die SZ erscheint).

Auf einen Deal wie den beim Flugzeugbauer in Speyer muss ja erst mal jemand kommen

Was das Verhältnis zwischen Betriebsräten und Geschäftsführungen betrifft, gibt es drei Varianten: gut; geht so; gar keins - letzteres überall dort, wo Betriebsräte gar nicht existieren. Es gibt Firmen, in denen die Arbeitnehmer noch nie Anlass sahen, eine Wahl zu initiieren. Und es gibt Firmen, in denen die Chefs mal kreativ, mal skrupellos sind, um die Gründung eines Betriebsrats zu verhindern. In jeder Gewerkschaft kursieren Dutzende Geschichten, wie Chefs mit Drohungen, Abmahnungen, Kündigungen, Hausverboten oder auch Bestechung versuchen, ihre Beschäftigten davon abzubringen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) schätzt, dass Arbeitgeber versuchen, jede sechste Gründung eines Betriebsrats zu verhindern. Besonders gut sind deren Chancen dort, wo ein Betrieb klein ist, wo relativ viele Beschäftigte in Teilzeit oder nur befristet arbeiten. Oft sind dies nämlich zugleich die Betriebe, in denen nur wenige Beschäftigte einer Gewerkschaft angehören. Die aber braucht es für die Gründung eines Betriebsrats; nicht de jure, aber de facto: Wer in eine Gewerkschaft eintritt, der signalisiert, dass er sich grundsätzlich nicht alles gefallen lässt; der ist auch viel eher bereit, sich auf Kämpfe einzulassen als jemand, der keine Organisation hinter sich weiß. Werner Rieder, der Betriebsratsvorsitzende aus Speyer, sagt, wären bei PFW-Aerospace nicht neun von zehn Arbeitnehmern zugleich in der IG Metall - nie hätte er zum Beispiel die Regelung durchgesetzt, nach der man noch 75 Prozent des Gehalts bekommt, egal, wie sehr man seine Arbeitszeit reduziert.

Der Vergleich mit dem Paradies war natürlich journalistische Übertreibung. In Wahrheit besteht die Regelung aus einem Deal. Wenn man später in seinen Vollzeitjob zurückkehrt, erhält man für seine 100 Prozent Arbeit eine Zeit lang weiterhin nur 75 Prozent Geld - bis das Arbeitszeitkonto wieder ausgeglichen ist. Es handelt sich um eine Regelung, die beiden Seiten nutzt. Eine Firma, die keinen Betriebsrat hat, hat auch niemanden, mit dem sie solche Vereinbarungen treffen kann.

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