Kommentar zur Spiegel Online Berichterstattung

Am Tag danach: Die Branche muss handeln

Auch am Tag dannach rauft sich noch mancher die Haare
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Auch am Tag dannach rauft sich noch mancher die Haare
Noch haben sich die Wogen um die Betrugsvorwürfe bei Telefonanbietern nicht geglättet. Die erwähnten Institute schweigen. Der Imageschaden ist nicht absehbar. Spiegel Online legt mit weiteren Artikeln nach, aber ohne neue Enthüllungen. Die Branche bebt und wartet auf die angekündigte Sendung auf RTL und die gedruckte Ausgabe des Spiegels.
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Einmal mit einem Bild im "Spiegel" erscheinen. Einmal zum Gesprächsthema werden. Einmal bekannt sein. Diesen Traum hat sich Martin Thöring jetzt erfüllt. Der ehemalige Mitarbeiter der Feldinstitute CSI aus Dortmund und ACE aus Köln hat ausgepackt, hat seine Betrügereien aus Jahrzehnten gebeichtet und nebenbei den Ruf einer ganzen Branche, zumindest einiger Institute aufs Spiel gesetzt. Das kann man machen. Aber es bleibt die Feststellung, dass Thöring nach eigenem Bekunden Umfragen selber ausgefüllt hat, statt Konsumenten telefonisch zu befragen. Ob er daher als Testimonial für ein großes Nachrichtenmagazin taugt, ist zumindest zweifelhaft.


Aber ja, es stimmt. Es gibt solche Praktiken. Das ist bekannt. Bei einer Umfrage im Netzwerk für betriebliche Marktforscher sagte niemand, das habe er noch nie gehört. Unklar ist, wie groß das Problem ist. Handelt es sich um die berühmten schwarzen Schafe? Ein Marktforscher macht deutlich, dass es sich um einen fließenden Übergang handelt: „Der Interviewer, der leichtes Geld wittert, der Studienleiter, der einen Fehler vertuschen will, der Institutsleiter, der bewusst täuscht…“
Erfahrene Marktforscher in Unternehmen und Instituten – Auftraggeber der Telefonumfragen – wissen um die Fallstricke. Ob sie auf einen Betrug hereinfallen, ist eine andere Frage. Schließlich werden die Ergebnisse auf vielfältige Weise geprüft. Telefongespräche werden mitgehört, es gibt Zeitstempel für Reports und nicht zuletzt werden die Ergebnisse auf Plausibilität gerpüft. Wie viele Studien wiederholt werden müssen, weil es Unregelmäßigkeiten gab, dazu gibt es keine Daten. Aber es kommt vor. Transparenz in der gesamten Kette von Auftraggebern und Dienstleistern ist in solchen Fällen wichtig, um das Vertrauen zu erhalten.

Viel zu tun hat das Auftreten von Betrug wohl mit der mangelnden Bereitschaft für die verlangte Leistung adäquat zu zahlen. Die auf Spiegel Online angeführte Studie von Carglass hat schon bei manch einem Anbieter auf dem Schreibtisch gelegen. Der angebotene Preis für die Telefoninterviews war einfach zu niedrig, berichten mir Felddienstleister, die den Auftrag abgelehnt haben.

Ja, die Branche muss sich dem Thema Qualität in der Felddienstleistung, denn nur um diesen Aspekt der Marktforschung geht es hier, stellen. Betrugsfälle, wie die in Spiegel Online genannten oder andere, die in der Branche kursieren, müssen nachhaltiger aufgeklärt werden. Es reicht nicht, sich hinter vorgehaltener Hand auf Branchenevents darüber auszutauschen. Wenn angeblich jeder weiß, dass Institut XY nicht zuverlässig arbeitet, dann müssten dem Unternehmen doch eigentlich die Kunden wegbleiben und es wäre nicht überlebensfähig. Wenn es dennoch wirtschaftlich weiter arbeiten kann, gibt es entweder doch noch zu viele unwissende, unerfahrene Auftraggeber oder der Betrug wird willentlich in Kauf genommen. Dann läge Spiegel Online mit seiner pauschalen Verurteilung der Branche nicht ganz falsch. 

In beiden Fälle sind auch die Branchenverbände gefragt. ADM, BVM, DGOF und ASI haben sich am Freitag getroffen und das Thema Qualität stand auf der Tagesordnung. Das war keine blitzschnelle Reaktion auf die Enthüllungen der Presse, sondern geplant. Wir sind gespannt, was dort beschlossen wurde. Die bisherigen Instrumente, wie der Rat der Marktforschung, scheinen gegen solche Entwicklungen nicht so effektiv zu greifen, wie gedacht. Das Gremium hat im vergangenen Jahr 19 Beschwerden verhandelt, zu einer öffentlichen Rüge ist es nicht gekommen. Auch der immer wieder geforderte Ausschluss von unlauteren Playern aus den Verbänden ADM und BVM könnten ein Mittel sein. Denn für viele Auftraggeber gilt die Mitgliedschaft dort als ein Auswahlkriterium.

Ein probates Mittel wären mehr kompetente Marktforscher in den Unternehmen. Nicht zu übersehen ist die Tendenz, dass die entsprechenden Abteilungen in Firmen eingestellt oder dezimiert werden. Wenn der Auftraggeber aber keine Ahnung hat, kann er weder beurteilen, ob das Preis-Leistungsverhältnis des Angebotes stimmt, noch die erhobenen Daten richtig prüfen oder interpretieren. Die zweite Tendenz ist, dass Marktforschungsleistung am Markt eingekauft wird wie Bleistifte und Kopierpapier. Abgekoppelt von der Fachabteilung wird rein nach dem Preis entschieden. Hier steckt also eine Menge Optimierungspotenzial.

Dies gibt es sicherlich auch bei Instituten und bei Felddienstleistern aber auch in der Berichterstattung bei Spiegel Online. Wer diese aufmerksam liest, findet abgesehen von Pauschalisierungen und Übertreibungen jede Menge Widersprüche, Falsches und Ungereimtes. Aber inzwischen steht auf der Webseite von Spiegel Online längst ein anderer Skandal an erster Stelle. Der Marktforschungsbranche hingegen bleibt die Aufgabe, die Qualität in der Branche zu verbessern.

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