Kommentar :
Digitaler Boom für die Berater

Tillmann Neuscheler
Ein Kommentar von Tillmann Neuscheler
Lesezeit: 3 Min.
Auch das treibt die Digitalisierung: Livedaten aus dem Ethereum-Netzwerk.
Unternehmensberater machen glänzende Geschäfte. Allein mit Schaumschlägerei und Denglisch ist ihr Höhenflug nicht zu erklären.

Wer sich über Unternehmensberater lustig machen will, hat es nicht besonders schwer. Er braucht bloß über deren Sprachfloskeln zu spotten: Unternehmensberater arbeiten nicht einfach so, sondern sie bieten „Lösungen“ an, und die sind natürlich stets „maßgeschneidert“. Die Arbeitsabläufe werden nicht verbessert, sondern „Prozesse optimiert“. Nichts ist einfach, sondern „keine Rocket Science“. Niemand lernt schnell, sondern hat eine „steile Lernkurve“.

Einfälle sind nicht einfach Ideen, sondern kommen gleich in der Luxusversion der „Out-of-the-Box-Idee“ daher. Und dann muss immer von irgendwem noch brav gefragt werden, ob die Idee auch „skalierbar“ ist, sonst ist sie womöglich nicht „disruptiv“ genug für das Unternehmen, das auch dringend noch „agiler“ werden muss.

Allein mit Schaumschlägerei ist der Erfolg der Berater nicht zu erklären

Aber Hand aufs Herz: In vielen anderen Branchen wird inzwischen ähnlich geredet – zu viel Häme ist daher unangebracht. Um im Jargon zu bleiben: Die Berater haben ihr sprachliches „Alleinstellungsmerkmal“ verloren. Sie exportierten ihre Sprechblasen erfolgreich in andere Branchen. Auch sonst haben die Unternehmensberater Erfolg.

Allein mit Schaumschlägerei und Denglisch ist ihr Höhenflug nicht zu erklären. Die Branche wächst in Deutschland nun immerhin schon das achte Jahr in Folge. Mehr als 30 Milliarden Euro gaben Unternehmen hierzulande im vergangenen Jahr für Unternehmensberater aus – oft für ganz handfeste Aufträge wie die IT-Beratung. Im vergangenen Jahr ist der Umsatz der Berater um 8,5 Prozent gestiegen. Das ist fast viermal so stark wie das Bruttoinlandsprodukt.

Die Erfolgswelle verblüfft selbst manche altgedienten Berater, denn vor einigen Jahren wurde der Branche keine besonders rosige Zukunft vorausgesagt. Deutschland sei für Berater ein „gesättigter Markt“, hieß es damals. Doch das war eine Fehleinschätzung. Den Boom hat die Branche auch nicht nur der guten Konjunktur zu verdanken – der Erfolg hat tieferliegende Gründe: Für einen ungeheuren Schub sorgt seit Jahren die Digitalisierung. In dieser Debatte wimmelt es auch nur so von Floskeln, aber viele Unternehmen brauchen hier wirklich Hilfe. Manchen Unternehmen bricht ihr altes Geschäftsmodell weg, weil in ihrem angestammten Gebiet plötzlich neue Wettbewerber wie Amazon, Google oder junge Start-ups wildern.

Viele Branchen werden von der Digitalisierung erfasst

Die Branchen, die traditionell das meiste Geld für Berater ausgeben (Autohersteller und Banken), stehen vor fundamentalen Umbrüchen und werden von der Digitalisierung voll erfasst. Die Autohersteller müssen sich auf das selbstfahrende Auto umstellen und gleichzeitig auf den Elektroantrieb. Auch die ganze Zulieferindustrie ist betroffen. In der Finanzbranche müssen sich die Banken gegen junge Fintechs wehren. Die Maschinenbauer statten immer mehr Maschinen mit Sensoren aus – aber die Schätze, die in den Datenmassen schlummern, müssen auch gehoben werden. Dafür holen sich die Manager Berater von McKinsey und Co. ins Haus. Die Ausbreitung der großen amerikanischen Internetunternehmen und die Künstliche Intelligenz bringt sie unter Zugzwang. „Wie können wir genauso intelligent mit Daten umgehen wie Amazon?“, sei eine häufige Frage seiner Kunden, erzählt der Berater einer großen Strategieberatung. Die Verunsicherung durch den digitalen Umbruch ist der Boden, der das Wachstum der Berater nährt. Hinzu kommt, dass Manager ihre Entscheidungen zunehmend gegen Angriffe absichern wollen.

Auch der Staat bucht häufig die Dienste der Unternehmensberater. Alle großen Beratungsunternehmen haben inzwischen eigene Teams für Staatsaufträge aufgebaut. In zehn Jahren hat sich der Umsatz der Berater mit der öffentlichen Hand fast verdoppelt, obwohl es anfangs Vorbehalte gab. Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse warnte einst vor „magischen Guru-Beratern“, als sich Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) von Roland Berger beraten ließ. Mittlerweile sorgen Berater in Behörden kaum mehr für Aufsehen. Die Boston Consulting Group berät die Bundesagentur für Arbeit; McKinsey, Roland Berger und EY beraten die Migrationsbehörde Bamf. Das Beratungshaus Oliver Wyman half erst der Bankenaufsicht Bafin und später der Europäischen Zentralbank bei Banken-Stresstests.

Nicht nur in Unternehmen, sondern auch in Behörden sind die Probleme oft so komplex geworden, dass man Spezialisten zu Hilfe ruft. Ihre Dienste lassen sich die Berater teuer bezahlen. Tagessätze von mehreren tausend Euro sind keine Seltenheit. Mit den beim Staat üblichen Gehältern bekommt man diese Spezialisten nicht. Wo der Weg hinführen könnte, zeigt ein Blick nach Amerika: Dort erwirtschaften die Berater rund 30 Prozent ihrer Umsätze im öffentlichen Sektor, in Deutschland sind es bislang erst 10 Prozent. Vor allem für das Pentagon arbeiten seit Jahren Heerscharen externer Berater – etwa der frühere Edward-Snowden-Arbeitgeber Booz Allen Hamilton. Wenn jetzt vermehrt über die Probleme der Bundeswehr geredet wird, hören die Berater daher ganz genau hin.