AktuellEuropaÖsterreichStandpunkte

„Das eigentliche Schwein ist und bleibt das kapitalistische Wirtschaftssystem“

Wort zum Sonntag: Die Rede von Kaplan Franz Sieder bei der 12-Stunden-Demonstration des Österreichischen Gewerkschaftsbundes am 12. Oktober 2018 vor der Industriellenvereinigung in Wien

Ich rede hier vor der Industriellenvereinigung und ich rede als katholischer Priester im Namen unserer Kirche und auch auf dem Hintergrund der Katholischen Soziallehre.

Die Wirtschaft, so wie sie sich real darstellt, ist kein neutrales Gebilde. Der Wirtschaftsmechanismus funktioniert im Rahmen des neoliberalen kapitalistischen Wirtschaftssystems. Dieses Wirtschaftssystem ist ein geldgerechtes und kein menschengerechtes System. Das Ziel dieses Systems ist nur die Profitmaximierung und nicht der Mensch. Darum sagt auch Papst Franziskus mit Recht, dass „diese Wirtschaft tötet“ und dass in dieser Wirtschaft Menschen wie Müll entsorgt werden. Wenn es die Gewerkschaft nicht gäbe, dann würde die Wirtschaft noch brutaler und menschenfeindlicher agieren. Wir würden uns dann in sklavenhaften Zuständen befinden. Alles, was die Arbeiterinnen und Arbeiter heute an sozialen Errungenschaften haben, das wurde ihnen niemals von oben geschenkt, das haben sie sich alles im gewerkschaftlichen Kampf erkämpft. Das eigentliche Schwein für die Unmenschlichkeit in unserer Welt, für unmenschliche Arbeitsbedingungen, für die weltweiten Flüchtlingsströme ist und bleibt das neoliberale, kapitalistische Wirtschaftssystem.

Einige, die in der Industriellenvereinigung sitzen und mich hören, werden mir vielleicht sagen: Ja, aber der Kapitalismus hat uns auch unseren Wohlstand gebracht. Ich antworte ihnen: Unser Wohlstand besteht aus der Ausbeutung der Dritten Welt. Wir sind reich, weil die anderen immer ärmer werden, weil dieses ungerechte System bewirkt, dass weltweit die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird. Weltweit besitzt ein Prozent der Menschheit genau so viel wie die 99 Prozent anderen. Das ist ein Skandal und zutiefst unsozial und unchristlich. Gerechtigkeit entsteht nicht durch Almosen und Spenden – nicht durch Licht ins Dunkel und durch Caritas – Gerechtigkeit entsteht durch gerechte Wirtschaftsstrukturen – durch Strukturen, wo der Mensch das Ziel ist und alle Menschen der Erde die gleichen Chancen haben – durch Strukturen, die es verhindern, dass Menschen Millionäre(-innen) und Milliardäre(-innen) werden: Wir spielen momentan weltweit auf einem schiefen Fußballfeld – die einen müssen immer bergauf spielen und die anderen spielen bergab. Wir in Österreich gehören zu denen, die bergab spielen. Alle sollen auf einem ebenen Fußballfeld spielen können – das ist Gerechtigkeit.

Wenn wir hier demonstrieren gegen den 12-Stunden-Tag und gegen die 60-Stunden-Woche – dann muss ich sagen, dass dieses neue Gesetz ein Ausdruck der Unmenschlichkeit ist, weil man mit diesem Gesetz über die Menschen drüberfährt und man damit möchte, wenn eine Profitsteigerung möglich ist, dann muss der Arbeiter/die Arbeiterin mitspielen – auch wenn dadurch seine/ihre Gesundheit zerstört wird und er oder sie keine Zeit mehr hat für die Familie. Als katholischer Priester muss ich auch sagen, dass man mit diesem Gesetz auch über das drüberfährt, wofür Kirchen und Gewerkschaft jahrelang schon gemeinsam kämpfen – nämlich über den arbeitsfreien Sonntag, der uns heilig ist. Wenn der Herr Kurz ständig seine Christlichkeit betont, dann muss ich sagen, dass wir ihm allein schon auf Grund dieses Gesetzes seine christliche Maske herunterreißen müssen. Diese neue Regierung ist ein williger Vasall der neoliberalen Wirtschaft. Die türkis-blaue Regierung macht ganz bewusst eine Politik für die Reichen und nicht für die Schwachen der Gesellschaft. Diese Politik widerspricht daher auch ganz und gar der Intention des Evangeliums, denn Jesus ist immer auf Seite der Schwachen und Zukurzgekommenen gestanden.

Eines möchte ich zum Schluss noch hier vor der Industriellenvereinigung sagen. Die Katholische Soziallehre, das sind vor allem die Sozialrundschreiben der Päpste, sagt klar und eindeutig, dass die Arbeit immer Vorrang haben soll, vor dem Kapital, weil die Arbeit immer mit dem Menschen selbst zu tun hat, während das Kapital nur instrumentellen Charakter hat. In der Konsequenz hieße das, dass die ArbeitnehmerInnenvertreterInnen die Bestimmenden über die Wirtschaft sein sollen nicht die KapitaleigentümerInnen. Diese Veränderung würde die Grundfesten des Kapitalismus erschüttern – aber mit dem Kapitalismus hat die Welt keine Zukunft. Wir müssen nicht nur der schwarzblauen Regierung, sondern auch der neoliberalen Wirtschaft den Kampf ansagen.

Kaplan Franz Sieder ist em. Betriebsseelsorger in Amstetten und in der Friedensbewegung, bei Pax Christi, bei der Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialdemokratie (ACUS) und bei der Katholischen ArbeiternehmerInnenbewegung (KAB) aktiv.

Artikel teilen/drucken:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.