WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
Reise

Hej, god dag!

Prächtiger Mittsommer, rote Häuschen, Holzpferde und Knäckebrot – das alles ist Dalarna. Die Region gilt als „Schweden in Miniatur“

Auf der Fahrt durch dichte Wälder taucht plötzlich ein brechend voller Parkplatz auf, so groß wie fünf Fußballplätze. Shuttlebus um Shuttlebus kommt an, öffnet Tür um Tür und entlässt Besucherstrom um Besucherstrom. Bewaffnet mit Sitzkissen und Decken pilgern die Grüppchen wie Lemminge auf ein Nadelöhr zu. Dahinter taucht im sanften Licht der Mittsommersonne, die kaum unterzugehen scheint, ein riesiger Krater auf. Es ist die einzigartige Freilichtbühne Dalhalla im stillgelegten Kalksteinbruch nahe Rättvik am Siljansee. Ein 400 Meter langes, 175 breites und 55 Meter tiefes Loch mit einer Akustik, die kein Echo zulässt.

Seit gut 20 Jahren finden hier Konzerte statt. Ob Sting, Norah Jones, José Carreras oder ZZ Top – alle waren sie hier. Heute gibt’s ABBA. Nicht das Original, sondern als Cover. Egal. Vor allem aber wird die Mittsommernacht gefeiert. Es wird gesungen und geschwoft. Sektgläser klirren, Kaffeetassen scheppern, obwohl es mittlerweile 22 Uhr ist. Herrlich, es ist alles so schön schwedisch hier!

Die Region Dalarna, in der man wie hier im Steinbruch den Mittsommer besonders authentisch erleben kann, gilt als „Schweden in Miniatur“. Drei Viertel ganz Schwedens sind bewaldet – rund 31 Millionen Hektar, eine Fläche fast so groß wie Deutschland. In Dalarna ist das Verhältnis Mensch zu Baum ähnlich. Die Region ist etwa viermal so groß wie Bayern, hat aber gerade mal knapp 280.000 Einwohner, rund neun pro Quadratkilometer (in Bayern sind es etwa 180). Weiter im Norden kann es noch einsamer werden, wo der Wald dichter wird, sich Berge erheben und dazwischen Seen ausbreiten. Im Süden wird es etwas voller – vor allem jetzt, zur Reisesaison.

Denn Dalarna gehört zu den beliebtesten Ferienregionen der Schweden selbst. Vieles, was wir untrennbar mit dem Land assoziieren, kommt ursprünglich von dort. Das bekannte hölzerne Dala-Pferd oder das Rot der schwedischen Holzhäuschen, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Die Farbe, „Faluröd“ (Falunrot) genannt, hat ihren Ursprung in einem Bergwerk der Gegend. Der Name geht auf das rote Pigment der Kupfergrube von Falun zurück. Im 17. Jahrhundert war dies die größte Kupfermine der Welt, etwa 3000 Menschen arbeiteten dort. Die 1992 stillgelegte Bergbauanlage auf der Liste des Unesco-Welterbes kann man heute auf Führungen besichtigen. Vor dem Abstieg bitte kurz fluchen, pfeifen und dreimal beherzt auf das Holz über dem Eingang klopfen – alles wichtig, um den Berggeist wohlwollend zu stimmen. Dann geht es 67 Meter in die Tiefe, 400 Stufen. Ein verwirrendes Labyrinth aus niedrigen, engen Gängen, beim Abschalten der Grubenlampe dann absolute Dunkelheit.

Nicht nur Klaustrophobiker beschleicht ein mulmiges Gefühl. Im großen Schacht baumelt ein Eimer. In solchen Behältern gelangte das abgebaute Erz nach oben. Waghalsige Arbeiter hangelten sich kopfüber das 200 Meter lange Seil nach unten, wenn es mal schneller gehen sollte. Wie viele dabei ihr Leben verloren, ist nicht übermittelt. Fakt ist, dass für die verwendeten Seile, die aus Ochsenleder gefertigt wurden, pro Jahr circa 10.000 Tiere draufgingen. Das anfallende Fleisch wurde natürlich nicht weggeworfen, sondern für Schwedens berühmte Wurst „Falukorv“ verwendet. Schon das zweite Nebenprodukt des Bergbaus, das es wie „Faluröd“ zu einem typischen schwedischen Markenzeichen gebracht hat. Die Rohstoffvorräte des seit 1764 abgebauten Original-Schwedenrot reichen etwa noch 100 Jahre, erfährt man während der Führung. So lange kann in der Fabrik auf dem Grubengelände noch Farbstaub gebrannt werden, der schließlich als Anstrich an den Häuschen landet.

Rot und ebenfalls typisch schwedisch ist das Dala-Pferd. Ein Exemplar des mit farbenfrohen Fantasiegewächsen aus übergroßen Blumen und Blättern bemalten Holzpferdes repräsentierte das Land 1939 auf der Weltausstellung in New York. Das Handwerk geht auf Waldarbeiter im 18. Jahrhundert zurück, die fernab von ihren Familien ihr Geld verdienten und abends am Feuer kleine Holzpferdchen für ihre Kinder zu Hause schnitzten. Echte Dala-Pferde werden nur in Dalarna gefertigt. Zum Beispiel von Nils Olsson im Örtchen Nusnäs. In seiner Werkstatt erklärt der Schnitzer, warum es etwa zwei Wochen dauert, bis ein Pferdchen fertig ist. Konturen sägen, schnitzen, leimen, schleifen, in Farbe tunken, trocknen, polieren, verzieren, das alles braucht Zeit. So viel Handarbeit hat ihren Preis: Etwa 25 Euro kostet ein 13 Zentimeter kleines „Dalahäst“ für die Fensterbank.

Günstiger, aber eben industriell gefertigt, gab es Holzpferdchen auch bei Ikea schon zu kaufen. Überhaupt lassen sich Designer des schwedischen Möbelriesen gerne von der Kreativszene in Dalarna inspirieren. Carl Larsson war und ist einer der beliebtesten Künstler des Landes. Nach seinem Schaffen in Frankreich lebte er bis zu seinem Tod 1919 in Sundborn. Nicht nur einmal durchstöberten Ikea-Mitarbeiter sein Wohnhaus, um auf Ideen zu kommen. Larssons Schlafzimmer (aus dem 19. Jahrhundert) ähnelt zum Beispiel sehr der Schlafzimmerserie Hemnes.

Eine andere Tradition in Form einer Knäckebrotfabrik rettete ABBA-Sänger Benny Andersson in die Gegenwart. 2013 sollte der Laden in Stora Skedvi dichtgemacht werden, man stellte die Produktion ein und riss schon die alten Öfen raus. Dann betrat Andersson den Plan, erzählt Chef Anders Åkerberg. Der Musiker startete eine Crowdfunding-Aktion und hatte schnell die 60.000 Euro für den Kauf der Fabrik zusammen. Heute hält Andersson, bekennender Fan des Skedvi Bröd, zehn Prozent der Firmenanteile. In zwölf Holzöfen wurde in der Backstube früher das traditionelle Brot handgefertigt, heute sind es nur noch drei. Einen davon hat Åkerberg auf eBay-Kleinanzeigen gefunden. In sein Skedvi Bröd kommen nur Roggen, Wasser, Salz, Hefe – und ganz viel Liebe.

Anzeige

Die Liebe spielt auch bei dem schwedischsten Fest aller Feste eine wichtige Rolle. Mittsommer, das in ganz Schweden zur Sommersonnenwende Ende Juni gefeiert wird, gilt auch als magische Nacht der Liebenden – und war früher eine gute Gelegenheit, andere Heiratswillige zu treffen. Die Mädchen müssen der Legende nach auf dem Heimweg sieben verschiedene Blumen von sieben verschiedenen Wiesen pflücken und diese unters Kopfkissen legen. Wenn sie dabei ganz still waren, über einen Zaun geklettert sind und am nächsten Tag keinem ihren Traum verraten, dann erscheint ihnen im Schlaf ihr künftiger Ehemann. Bei den traditionellen Mittsommerfesten in Dalarna werden Blumenkränze geflochten, Maistangen geschmückt und aufgestellt. Es wird gegessen, getrunken, getanzt, musiziert und gesungen – in jedem Dorf und in jeder Stadt, und das nicht nur an einem Tag, sondern ganze drei Wochen lang. Besonders schön ist es am Siljan. Rund um den siebtgrößten See des Landes, den man aus Inga-Lindström-Filmen kennen kann, gibt es traumhafte Rad- und Wanderwege – etwa den berühmten Vasaloppsleden. Er endet in der Messerstadt Mora, nördlich des Siljan, die im Winter auch Ziel des größten Skilanglaufwettbewerbs der Welt ist – des Vasaloppet. Zehntausende Wintersportler machen sich Ende Februar ab Sälen auf die 90 Kilometer lange Strecke, ganz wie König Gustav Vasa, der 1521 auf Ski vor den Soldaten des dänischen Königs flüchtete. Im Sommer bewältigt man die Strecke mit dem Mountainbike oder zu Fuß – am Stück oder in einzelnen Tagesetappen. Unverschlossene Hütten warten am Wegesrand auf müde Wanderer. Gegen eine freiwillige Spende kann man mit dem Schlafsack dort übernachten.

Ein schwedisches Idyll ist das Dorf Fryksås Fäbod. Fäbod heißt so viel wie Sennerei oder Sommeralm. Von denen gibt es noch viele in Dalarna. Aber die Aussicht von Fryksås ist unschlagbar. Auf einer Höhe von 503 Meter liegt einem der Orsasee zu Füßen. Einige der rund 200 Berghütten gehen bis auf das 16. Jahrhundert zurück. Viele sind heute zu Ferienwohnungen umfunktioniert. Aus der Ferne hört man Gebrüll aus dem Raubtierpark in Grönklitt. Oder war es doch aus dem Wald? Nein, zum Glück ist es kein Bär, der hinter dem Dorf zwischen den Bäumen wartet. Im Licht des wolkenverhangenen Abends grast ein Elch keine zehn Meter neben dem Trampelpfad. Auch wenn es nur eine flüchtige Begegnung mit dem sofort Reißaus nehmenden Tier ist – schwedischer geht es nicht.

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Visit Sweden. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter axelspringer.de/unabhaengigkeit

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant