Wie der Entwicklungschef von Google Deutschland arbeitet – und wie er die Zukunft der Arbeit sieht
Die Legowand in der Google Zukunftswerkstatt. (Foto: Google/Sonja Herpich)

Wie der Entwicklungschef von Google Deutschland arbeitet – und wie er die Zukunft der Arbeit sieht

Durchgestartet ist eine wöchentliche Kolumne über die Tech- und Startup-Welt. In dieser Woche: Ein Gespräch mit Wieland Holfelder, Leiter des Entwicklungszentrums von Google Deutschland, über seine Zeit im Silicon Valley und die Fähigkeiten, die in Zukunft gefragt sein werden. Außerdem: Amazon und Whole Foods vs Google und Walmart.

Entwicklungschef bei Google Deutschland klingt ziemlich cool, finde ich. Aber wie kriegt man so einen Job? Was macht man da den ganzen Tag? Welche Einblicke hat diese Person in die technologische Zukunft? Und welche Rolle spielt Google bei der (Aus-)Bildung der nächsten Generation?

Diese Fragen habe ich mir bei einem Besuch in Googles Zukunftswerkstatt von Wieland Holfelder beantworten lassen, der das deutsche Entwicklungszentrum von Google in Deutschland leitet. Er hat mir von seiner Zeit im Silicon Valley und seinem ersten Computer (mit Folientastatur!) erzählt, warum er im Job nicht mehr programmieren darf und welche Fähigkeiten auch in Zukunft noch gefragt sein werden.

Wie wird man denn Entwicklungschef von Google Deutschland?

Die Grundvoraussetzung dafür ist ein Informatikstudium und dass man etwas von Software-Entwicklung versteht. Ich habe in Deutschland studiert und wollte nach meinem Diplom ins Silicon Valley. Das war die Zeit, zu der es gerade wirklich spannend wurde, 1992/1993.

Damals war es gar nicht so einfach, direkt nach dem Diplom einen Job im Silicon Valley zu bekommen. Mein damaliger Professor sagte: „Wenn du bei mir promovierst, kriegen wir das hin.“ So bin ich mit einem DAAD-Stipendium an die US-Universität Berkeley gekommen, habe dort anderthalb Jahre einen Teil meiner Promotion gemacht, und bin dann wieder zurück nach Deutschland.

Wie der Zufall so will, wollte ein Silicon-Valley-Startup die Software lizenzieren, die ich damals für meine Doktorarbeit geschrieben habe, und ein Produkt daraus machen. Das war zur damaligen Zeit völlig ungewöhnlich, es gab noch kein UnternehmerTUM – das Zentrum für Innovation und Gründung an der TU München – oder kein LMU Entrepreneurship Center.

Die Universität war völlig überfordert damit, dass jemand Geld für die Idee eines Studenten zahlen wollte. So bin ich also nach der Doktorarbeit wieder zurück ins Silicon Valley, und zwar mit meiner jetzigen Frau, und habe bei dem Startup angefangen.

Das war superspannend, aber dann ist die Dotcom-Blase geplatzt und meine Firma wurde aufgekauft.

Wieland Holfelder leitet heute das Entwicklungszentrum von Google in München. (Foto: Google)

Ich bin zu einer deutschen Firma im Silicon Valley gewechselt – für mich genau das Richtige – und habe bei Mercedes-Benz die Forschung und Vorentwicklung im damals noch relativ kleinen Labor übernommen. Nach fast zehn Jahren war die Abteilung auf 200 Leute angewachsen.

Dann hat Google entschieden, auf der ganzen Welt Entwicklungszentren aufzumachen, unter anderem auch hier in München. Google war der Meinung, wenn ich sowas für Mercedes im Silicon Valley gemacht habe, könne ich das bestimmt auch für Google in Deutschland. So habe ich quasi eine 180-Grad-Wende gemacht und hier angefangen, damals noch mit einem ganz kleinen Team aus 12 Leuten.

Wie viele Mitarbeiter sind es mittlerweile?


Wir sind hier am Standort München etwas über 500 Mitarbeiter. Ein Großteil davon sind Software-Entwickler. München ist der Entwicklungsstandort für Google in Deutschland.

Wie war das für Sie, als Google angerufen hat? War Ihnen sofort klar, dass Sie den Job machen wollen? 

Nein, war es nicht. Es hat drei Versuche gebraucht, bis dieser Job kam – dann war es aber sofort klar. Ich hatte vorher schon zweimal mit Google Kontakt, beide Male hatte es aber nicht geklappt. Zu dem Zeitpunkt ist die Firma so schnell gewachsen, dass sie sagten: „Wir wollen dich einstellen, wir wissen aber noch nicht genau für was, aber das wird schon passen.“

Diesen Ansatz von Google konnte ich noch nicht richtig greifen, dazu war ich damals noch nicht bereit. Außerdem hatte ich bei Mercedes einen etablierten Job. Erst als dann ein relativ konkretes Angebot von Google kam – „wir brauchen in Deutschland jemanden, der einen Standort aufbaut und Software-Entwicklung macht“ – war das zu gut, um nein zu sagen.

Einen Standort aufbauen klingt ja vergleichsweise vage. Wie sieht der berufliche Alltag aus? 

Das ist ganz unterschiedlich. Am Anfang haben wir uns die Frage gestellt, was wir in Deutschland entwickeln können, das für Google weltweit relevant ist. Wir programmieren ja nicht die deutsche Google-Suche oder das deutsche Gmail, sondern Projekte mit weltweiter Verantwortung.

Themen, die ich schnell neu aufgebaut habe, waren Datensicherheit und Datenschutz. Zu der Zeit gab es noch kein dezidiertes Entwicklungsteam, das sich um diese Sachen gekümmert hat. Zunächst mussten wir uns überlegen, was wir inhaltlich machen können und welches Personal man dafür braucht.

Sobald ein Team für einen Aufgaben- bzw. Themenbereich steht, geht man in die Planung für das nächste Thema. So geht das immer weiter und so ändern sich die Aufgaben. Dazu kam immer mehr öffentliches Interesse. Es liegt mir viel daran, zu erklären, was wir hier machen. Gerade beim Thema Datenschutz und Datensicherheit ist das sehr wichtig.

Wir arbeiten auch viel am Google-Browser Chrome und stellen dafür etwa die Javascript-Engine bereit, die die ganzen interaktiven Elemente im Browser darstellt. Das ist für unsere Entwickler unheimlich spannend: Es ist ein Open-Source-Projekt, sie schreiben ein paar Zeilen Code, kompilieren das, kurze Zeit später wird es veröffentlicht und zwei Milliarden Nutzer auf der ganzen Welt nutzen es – und sie können offen darüber reden.

Programmieren Sie auch noch selber?

Nein, in der Firma programmiere ich nicht mehr, dafür aber zu Hause privat.

Fehlt es Ihnen manchmal, im Job auch zu programmieren?

Ja, sicherlich, aber ich muss einfach einsehen, dass die jungen Leute an dieser Stelle inzwischen schneller, besser und tiefer in der Materie drin sind als ich. Die Opportunitätskosten, um mir einen halben Tag oder ganzen Tag frei zu nehmen, um zu programmieren, sind im Vergleich zu dem, was ich sonst mache, leider so, dass ich wieder auf meine eigentlichen Aufgaben zurückfalle.

In der Google Zukunftswerkstatt dürfen Kinder mit Technologie experimentieren. (Foto: Google/Sonja Herpich)

Als Sie acht Jahre alt waren: Was hätten Sie gedacht, was Sie beruflich tun würden – und hat das noch irgendwas mit dem zu tun, was Sie jetzt machen? 

Mit acht wusste ich noch gar nicht, was ich machen will, da habe ich nur Fußball gespielt...

Und mit 15? 

Da hatte ich schon Interesse an Mathematik, Physik und Informatik, aber das Berufsbild war noch nicht so ausgeprägt. Ich habe Wirtschaftsinformatik studiert und habe mich erst in der Promotion auf Informatik fokussiert. Mit meinem allerersten Computer, das war ein ZX81, habe ich viel programmiert, zum Beispiel Pac-Man. Ich habe das nie wirklich gespielt – die Herausforderung war immer, das Spiel zu erschaffen.

Ich habe meinem Vater auch ein Warenwirtschaftssystem programmiert, das er dann bei sich in der Firma seinem Chef vorgelegt hat. Aber das war damals noch mit Folientastatur und Tonbandkassetten als Datenspeicher, und ich glaube, wir hatten eine 128-KB-Memory-Extension hinten an den Computer geklebt, die extrem teuer war.

Darüber lachen wir jetzt, aber wenn wir 20 Jahre nach vorne schauen, ist das, was wir heute an Technik haben, wahrscheinlich genauso altmodisch wie heute für uns eine Folientastatur. 

Ich will das nicht dramatisieren, aber es wird noch schneller gehen. Wir sehen eine exponentielle Technologieentwicklung. Das, was in den vergangenen 10 oder 20 Jahren passiert ist, wird in den nächsten fünf Jahren passieren. Das ist teilweise auch die Herausforderung. Die Leute können sich das schwer vorstellen.

Es ist ganz wichtig, ein bisschen aus sich herauszugehen, kreativ zu sein und sich zu trauen, da mitzugehen. Wenn wir uns im Silicon Valley umschauen, sind die, die das tun, oft die Typen, von denen wir sagen, sie spinnen. Aber im Prinzip machen sie oft nichts anderes, als es ein bisschen laufen zu lassen. In Deutschland brauchen wir mehr solche Köpfe!

Aber wie bekommt man diese Köpfe? Was sollten etwa Schüler machen, die sich überlegen, wo es später beruflich hingehen soll? Was hat überhaupt noch Zukunft? 

Wir nennen das Computational Thinking. Ich erwarte nicht, dass jeder Software-Entwickler wird. Aber es ist wichtig zu verstehen, was Algorithmen und Computer Science alles können, was Data Analytics, Machine Learning und Künstliche Intelligenz bedeutet. Das wird sich auf jedes Berufsfeld auswirken – egal ob ich Bäcker, Landwirt oder Schreiner bin. Wenn ich nicht verstehe, wie ich diese technologischen Werkzeuge als Hilfsmittel einsetzen kann, werde ich im Beruf nicht erfolgreich sein.

Natürlich würde ich mir noch mehr Software-Entwickler wünschen, denn am Ende gilt: Code is Law. Was in Software festgeschrieben wird, ist das, was auf unseren Handys passiert. Als Entwickler kann man so viel gestalten und kreativ sein, das ist ein toller Beruf! Wir müssen in Deutschland noch viel daran arbeiten, dass das Berufsbild des Software-Ingenieurs – wir nennen das absichtlich nicht Programmierer – attraktiver gemacht wird.

Die Google Zukunftswerkstatt wurde im Juli in München eröffnet. (Foto: Google/Sonja Herpich)

Wir sitzen gerade in der noch recht frischen Zukunftswerkstatt, nebenan wird gerade ein Kurs gegeben. Wie sehr müssen Unternehmen wie Google an dieser Zukunft mitarbeiten? 

Wir sehen uns – gemeinsam mit der ganzen Branche – in der Verantwortung. Die Zukunft von Deutschland wird davon abhängen, dass wir besser ausgebildete Menschen haben. Dazu wollen wir unseren Teil beitragen. Hier in der Zukunftswerkstatt begrüßen wir alle möglichen Zielgruppen, angefangen bei Schülern und Lehrern über gemeinnützige Vereine hin zu Selbstständigen.

Wir haben im Juli in München das erste permanente Schulungszentrum eröffnet und werden in Hamburg Anfang 2018 das zweite eröffnen, das dritte Ende 2018 in Berlin. Außerdem zieht unsere Zukunftswerkstatt derzeit über die Lande und bietet wochenweise Programm an. Bis 2020 wollen wir durch das Programm der „Google Zukunftswerkstatt“ zwei Millionen Menschen in Deutschland erreichen und hoffen, dass wir damit einen Teil dazu betragen können, Deutschland fit für die Zukunft zu machen.

Was fehlt denn Deutschland aktuell  abgesehen von den Software-Ingenieuren? 

Lust auf Neues ist eine Grundvoraussetzung. Deutschland ist das Land der Tüftler und Erfinder, bislang waren wir sehr stark im maschinellen und industriellen Bereich. Im Bereich Industrie 4.0 passiert gerade sehr viel. Deutschland und ganz Europa realisieren, dass es eine Riesenchance ist, diese Industrie auf die nächste Ebene zu bringen.

Auch da ist es wichtig, ein breites Verständnis dafür zu haben, was Digitalisierung bedeutet und dass man keine Angst davor haben muss, dass ein Industrie 4.0-System mit Machine Learning und Datenverarbeitung Prozesse optimiert. Das ist ein Vorteil – und wenn wir das nicht in Deutschland können, fallen wir zurück.

Deals und Zahlen: Amazon darf Whole Foods kaufen. Rocket Internet hat 2017 schon in mehr als 100 Unternehmen investiert. Gruner+Jahr kauft Plattform für kulinarische Stadtführungen. Deutschland wird als Gründer-Standort attraktiver. Quartalszahlen von Uber, Salesforce und Tencent (WeChat).

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Personal: Foodora-Gründer Stefan Rothlehner verlässt das Startup. Jeff Immelt, der frühere CEO von GE, könnte neuer Uber-CEO werden. Blake Irving, CEO von GoDaddy, hört zum Jahresende auf, auf ihn folgt COO Scott Wagner. GitHub CEO Chris Wanstrath will ebenfalls aufhören – sobald er einen Nachfolger gefunden hat.

Meinungen: Elon Musk und 115 weitere Technologie-Experten fordern ein Verbot von tödlichen autonomen Waffen.

Produkte: Google und Walmart arbeiten gemeinsam an Voice Shopping – und treten so gegen Amazons Alexa an. Apple fährt seine Pläne für ein autonomes Auto zurück. Samsung stellt das Galaxy Note 8 vor und arbeitet an einem smartem Speaker. Das Essential Phone ist da. Googles neue Pixel-Telefone kommen angeblich am 5. Oktober.

Volkswagen baut (endlich) einen E-Microbus. Happy Birthday, Hashtag! IBM will mit Blockchain Lebensmittel verbessern. Die neue Android-Version heißt Oreo. Facebook arbeitet an einer Augmented-Reality-Brille. Elon Musk zeigt den ersten SpaceX Raumanzug:


Auf LinkedIn: Wie Tesla die Autowelt in Atem hält. So wird Bildung in der digitalen Zukunft aussehen. Fünf Branchen, die aus Tech-Sicht interessant für Investitionen sind. Social Shopping mit Amazon Spark. Wie Walmart und Google Shoppen vereinfachen wollen, erklärt vom Walmart.com-CEO. Warum Marc Cuban in Cryptowährungen investiert.

Außerhalb von LinkedIn: Sexismus im Silicon Valley, erlebt und aufgeschrieben von Ellen Pao. Lebensrettende Künstliche Intelligenz. Wie der Verkehr der Zukunft aussehen könnte. Der 15-Jährige, der eine Agentur für YouTube-Stars leitet. Durch "Link in Bio" bleibt Instagram so schön. Wie Apple die Konkurrenz kopiert und so das iPhone perfektioniertMinesweeper für mehr Kreativität! Unsere größten digitalen Ängste – in einer handlichen Matrix.

Eigenwerbung: Ich habe darüber geschrieben, warum man ab 35 unglücklich im Job wird – und wieso uns die Arbeit egal sein sollte.

Gute Idee: Den 97-jährigen Opa im Tesla mitnehmen.

Gute Ideen: Die Startups, die beim Y Combinator Demo Day präsentiert haben.



An dieser Stelle fasse ich jeden Freitag die wichtigsten Tech- und Startup-Themen der Woche zusammen: Worüber wird in der Branche geredet? Welche Texte sollten auf Ihrer Leseliste stehen? Welche neue Idee ist besonders spannend? Teilen Sie Ihre Meinung zu den Themen der Woche in den Kommentaren mit mir, folgen Sie mir, um keine Folge zu verpassen oder abonnieren Sie die Kolumne als Newsletter.

Dr. Karsten Machholz

Professor/advisory board member/ CEO - Transforming SCM/Procurement into sustainable, resilient and agile Ecosystems

6y

... ich hoffe, dass ich mit 97 auch noch so neugierig auf die Zukunft sein werde, wie dieser "knuffige" Grandpa

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Alexander Hoffmann

Geschäftsführer bei COOK and CODE GmbH

6y

Schönes Interview! Wir bieten übrigens am 4.9. ein kostenfreies Coding-Camp für Kinder ab 10 Jahren an und haben noch fünf Plätze frei!! https://andcode.de/webdesign-sommercamp

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