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Behörden wissen nicht, wer im Land ist

Minderjährige Asylbewerber haben ein Anrecht auf bessere Unterkünfte, intensivere Betreuung und auf Schulunterricht.

Seit einigen Jahren hat die Zahl der minderjährigen Asylbewerber sprunghaft zugenommen, die ohne ihre Eltern oder andere Erziehungsberechtigte einreisen. Seit 2007 registrierte das Staatssekretariat für Migration (SEM) rund 8000 sogenannte unbegleitete minderjährige Asylbewerber oder Uma, wie sie im Beamtenjargon heissen.

Dies geht aus der Antwort des Bundesrates auf eine Interpellation von Barbara Steinemann hervor. Die Zürcher SVP-Nationalrätin wollte wissen, bei wie vielen dieser Minderjährigen die Identität klar ist. Wie der Bundesrat schreibt, hätten von 8000 Uma, die seit 2007 in die Schweiz gekommen sind, 6123 Personen keine Identitätspapiere eingereicht.

Nur in 305 Fällen zweifelsfrei

Nur gerade 414 der unbegleiteten Minderjährigen hätten bei der Einreise einen Pass vorgewiesen, 502 eine Identitätskarte und 1104 andere Ausweispapiere. «In den letzten zehn Jahren stand die Identität bei 305 unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden zweifelsfrei fest», schreibt der Bundesrat weiter. Das heisst bei über 96 Prozent der minderjährigen Asylbewerber haben die Behörden keine Ahnung, wen sie ins Land gelassen haben. Zwar übermittelt das SEM nach eigenen Angaben Dossiers von Asylbewerbern dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB), sofern es Hinweise dafür gibt, dass sie ein Risiko für die innere und äussere Sicherheit der Schweiz darstellen könnten. Wie wirkungsvoll dies ist, wenn bei der Mehrheit der Uma die Identität unklar ist, bleibt dahingestellt.

Dass die meisten ohne Papiere in die Schweiz kommen, gilt nicht nur für die Uma, sondern ganz generell im Asylwesen. Während 2007 «nur» rund 38 Prozent der Asylbewerber keine Papiere vorlegten, waren es 2016 rund 70 Prozent. Auf die Nachfrage, wie es sein kann, dass jemand ohne Identitätspapiere durch mehrere Länder reist, bevor er in der Schweiz ein Asylgesuch stellt, heisst es beim SEM nur: «Die Erfahrung zeigt, dass es durchaus möglich ist, dass Asylsuchende jeglichen Alters mehrere Länder ohne Identitätsdokumente oder mit gefälschten Identitätsdokumenten transitieren können.»

Vorteil Minderjährigkeit

Zwar können die Behörden Asylbewerber sanktionieren, die bei der Identitätsfeststellung nicht kooperieren. Dazu, wie oft in den letzten zehn Jahren ein Gesuch aus solchen Gründen abgeschrieben wurde, gibt es beim SEM indes keine Statistik.

«Das ist eine Katastrophe», kommentiert Barbara Steinemann die Zahlen in der Interpellationsantwort des Bundesrates. «Wir nehmen die unbegleiteten Minderjährigen aus humanitären Gründen auf und unterstützen so das Geschäftsmodell von Grossfamilien, die ihre Kinder in die Hände von kriminellen Schleppern geben.» Hinzu kämen die hohen Kosten, die die Minderjährigen hier verursachten. Denn sie gelten als besonders verletzlich und haben daher anders als erwachsene Asylbewerber ein Anrecht auf bessere Unterkünfte, intensivere Betreuung und auf Schulunterricht.

Jeder Dritte log bei Altersangabe

Asylbewerber, die nicht volljährig sind und es bis hierher geschafft haben, haben zudem den Vorteil, dass die Schweiz für ihr Asylverfahren zuständig ist, wobei die Chancen auf Erfolg grösser sind als bei erwachsenen Personen. Für minderjährige Asylbewerber gilt die Dublin-Verordnung nicht, wonach jenes Land für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig ist, indem ein Gesuchsteller erstmals registriert worden ist. Deshalb dürfen Uma nicht nach Italien oder Griechenland abgeschoben werden, wo die meisten von ihnen zum ersten Mal europäischen Boden betreten haben.

Gemäss SEM kommen die meisten der unbegleiteten Minderjährigen aus Afghanistan, Eritrea, Syrien und Somalia. Weil die Identitätspapiere meist fehlen, bleibt die Herkunft letztlich unklar.

Bei Zweifeln stellen die Migrationsbehörden Fragen zu den Länderkenntnissen, oder sie geben bei externen Sprachexperten eine linguistische Herkunftsanalyse in Auftrag. Aufgrund der fehlenden Papiere ist auch unklar, ob die Altersangaben der jungen Asylbewerber korrekt sind. Auffällig ist, dass die Mehrheit von ihnen angibt, 16 oder 17 Jahre alt zu sein. So waren von den 490 letzten Herbst im Kanton Bern untergebrachten Uma 146 Personen 16 und 197 Personen 17 Jahre alt.

In Dänemark hatten die Behörden grosse Zweifel an den Angaben und beauftragten deshalb letztes Jahr das rechtsmedizinische Institut der Universität Kopenhagen, Röntgenalterstests durchzuführen. Das Resultat: In 75 Prozent der Fälle bestätigte sich der Verdacht, dass die Person über 18 Jahre alt und damit volljährig war (die BaZ berichtete).

Als die norwegischen Behörden 2014 damit begannen, Alterstests durchzuführen und 75 Prozent der unbegleiteten minderjährigen Asylbewerber genauer unter die Lupe nahmen, stellten sie fest, dass jeder Dritte bei der Altersangabe gelogen hatte. Wie die NZZ unlängst schrieb, ging in Norwegen nach der Einführung routinemässiger Alterskontrollen die Zahl der minderjährigen Flüchtlinge markant zurück – einen ähnlichen Effekt soll auch Grossbritannien verzeichnet haben.

Auch die rot-grüne Regierung Schwedens gab im Mai grünes Licht für Alterstests bei mehr als 18'000 Personen. Es sei «höchste Zeit, Ordnung ins System zu bringen», hatte der schwedische Justizminister Morgan Johansson erklärt. Dies auch vor dem Hintergrund, dass kriminelle Asylbewerber oft angegeben hatten, zum Tatzeitpunkt minderjährig gewesen zu sein und deshalb nach dem milderen Jugendstrafrecht beurteilt worden waren.

Umstrittene Methode

Zwar sind die Diagnosemethoden der medizinischen Altersbestimmung wie das Röntgen des Skeletts oder der Zähne vor allem bei Ärzten und Kinderärzten aufgrund des grossen Fehlerbereichs umstritten. In Schweden entschied jedoch das Oberste Gericht, dass für die Altersbestimmung eine Röntgenaufnahme des Gebisses genügt.

In der Schweiz ordnet das SEM in Verdachtsfällen zwar Altersuntersuchungen an. Wie der Bundesrat bereits in früheren Interpellationsantworten ausführte, müssen die Behörden dabei alle Indizien berücksichtigen und dürfen sich nicht allein auf medizinische Diagnosen stützen.

Interessant wäre zu wissen, in wie vielen Fällen die Altersangabe der Asylbewerber falsch waren. Doch wie stets bei heiklen Themen im Asylbereich gibt es auch dazu keine Statistik.