ZEIT ONLINE: Frau Borchert, das Silicon Valley hat vor Kurzem mit einem sexistischen Schreiben auf sich aufmerksam gemacht. Ein Google-Mitarbeiter behauptet darin, dass es weniger weibliche Programmierer gibt, habe biologische Gründe. Google könne sich seine Vielfalt-Bemühungen deshalb sparen. Sie sagten kürzlich öffentlich, Europa könne beim Thema Diversität viel vom Silicon Valley lernen. Wie passt das zusammen?

Katharina Borchert: Die Tech-Industrie hat ein Diversity-Problem. Es gibt deutlich mehr Männer, vor allem im technischen Bereich und in den Führungsetagen. Und wie man am Beispiel von Google sieht, wird die Debatte erbittert und nicht unbedingt frei von Vorurteilen geführt. An der Diskussion in Deutschland stört mich aber, dass man jetzt mit dem Finger aufs Silicon Valley zeigt. Dabei gibt es dort dieselben Probleme. Im Valley wird Diversität außerdem viel breiter thematisiert und nicht nur auf den Anteil von Männern und Frauen im Unternehmen reduziert. Insofern ist das Valley Europa um einiges voraus.

"Es gibt Studien, die nahelegen, dass der Code von Frauen besser abschneidet, wenn man nicht weiß, von welchem Geschlecht er geschrieben wurde."
Katharina Borchert

ZEIT ONLINE: Zum Beispiel?

Borchert: Beim wissenschaftlichen Umgang damit. Hier arbeiten fast alle Unternehmen mit wissenschaftlichen Instituten zusammen, und es werden nur Maßnahmen umgesetzt, deren Wirksamkeit mit Studien belegt wurde. Wenn wir bei Mozilla etwas ausprobieren, lassen wir es wissenschaftlich begleiten und messen. In einem deutschen Medienhaus habe ich das noch nie erlebt. Da wird ein Seminar für weibliche Führungskräfte eingeführt und das wird zehn Jahre lang so gemacht. Ob danach mehr Frauen im Chefsessel sitzen, misst niemand. Und selbst, wenn man das tun würde: Es reicht nicht aus, zu sagen: Schaut, wir haben 35 weibliche Führungskräfte. Wenn ich 50 Prozent Frauen im Team habe, aber die Diskussion in den Konferenzen zu 70 Prozent von Männern geführt wird, bringt mir das auch nichts.

ZEIT ONLINE: Sie waren selbst jahrelang oft die einzige Frau am Tisch. Erst bei der WAZ, dann bei Spiegel Online. Mussten Sie lernen, sich durchzusetzen?

Borchert: Bevor ich zu Spiegel Online kam, hatte ich einen Coach. Da habe ich gelernt, wie wichtig Körpersprache ist,  wie man sich größer macht und mehr Raum einnimmt. Aber das ist nicht mein Stil. Überhaupt gehen solche Trainings in Deutschland im Medienumfeld meist in die Richtung: Wie kann ich mich als Frau besser in einer Männerwelt zurechtfinden? Ich finde den ganzen Ansatz absurd. So viele von uns, und das schließt Männer mit ein, erleben die Unternehmenskultur doch als negativ. Warum muss ich dann noch mehr Leuten beibringen, anderen ins Wort zu fallen, lauter zu reden und sich noch mehr in den Vordergrund zu drängen?

ZEIT ONLINE: Was muss sich also in Deutschland ändern?

Borchert: Die Diskussion in Deutschland dreht sich vor allem um Regulierungsfragen: Wird es eine Quote geben oder nicht? Und oft klingen Gleichberechtigungsdiskussionen so: Wir nehmen den Männern etwas weg und geben das den Frauen, weil das moralisch richtig ist. Aber das ist der falsche Ansatz. Was in Deutschland fehlt, ist die Vision einer gerechteren, aber auch produktiveren Welt. Wir müssen den Menschen, also vor allem den Männern, klarmachen, dass wir ihnen nichts wegnehmen mit der Gleichberechtigung, sondern dass alle davon profitieren.

ZEIT ONLINE: Sie sagen, Gleichberechtigung ist gut fürs Geschäft?

Borchert: Vielfalt im Unternehmen ist ein wichtiger Erfolgsfaktor, das sollte Arbeitgeber antreiben. Eine McKinsey-Studie von 2015 zeigt, dass Unternehmen mit divers besetzten Teams eine um 35 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit haben, finanziell erfolgreicher im Markt zu sein als der Branchenschnitt. Für Großbritannien fand McKinsey sogar eine noch stärkere, lineare Entwicklung: Zehn Prozent mehr Frauen auf der Führungsebene korreliert mit 3,5 Prozent höherem Betriebsergebnis. Ich finde das nicht besonders überraschend. Wenn ich ein Produkt an eine breite Zielgruppe verkaufen will, dann muss ich auch verstehen, was die Bedürfnisse der Leute sind. Wir brauchen also Frauen, Einwanderer, kreative, analytische und verspielte Menschen im Team – alleine schon, weil all diese Menschen unser Produkt kaufen sollen.