Plötzlich ist das Virus wieder da. Und Peking steht wieder still. Mehr als dreihundert neue Covid-19-Fälle sind dort inzwischen bekannt, die Regierung hat erneut Schulen geschlossen, Reisen verboten, Tests ausgeweitet. Aber etwas ist anders als noch im Januar, als das neue Coronavirus Teile Chinas lahmlegte: das Virus selbst. Das zumindest sagt der Epidemiologie Zeng Guang, Mitglied der Nationalen Gesundheitskommission. Nach ersten Ergebnissen handle es sich bei den Infektionen in Peking um eine neue Variante von Sars-CoV-2. Der Erreger sei mutiert. In anderen Worten: Das Virus ist nicht mehr das gleiche wie das, das noch in Wuhan umging. 

Aber was genau bedeutet das? Müssen wir damit rechnen, dass das neue Coronavirus weiter mutiert, also sein Erbgut verändert? Und sind Mutationen ein Grund zur Sorge, weil sie Viren ansteckender oder tödlicher machen können? 

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Zunächst: Dass Viren mutieren, ist etwas ganz Normales. Hat ein Sars-CoV-2-Virus eine Wirtszelle gefunden, zum Beispiel eine Schleimhautzelle im Rachen eines Menschen, benutzt es die Werkzeuge dieser Zelle, um sich fortzupflanzen. Die Wirtszelle kopiert das Erbgut des Virus, fertigt seine Hülle und Stacheln an und setzt das Virus zusammen. Doch beim Kopieren des Erbguts, der RNA, läuft häufig etwas schief. An einer bestimmten Stelle wird ein Baustein durch einen anderen ersetzt. Das nennen Virologinnen und Virologen Mutation.

Was wie eine Schwachstelle scheint, ist ein evolutionärer Vorteil. Indem sich Viren ständig verändern, erstellen sie unzählige Varianten ihrer selbst, die sich alle ein klein wenig voneinander unterscheiden. Diese wachsende genetische Vielfalt erleichtert es den Viren, sich an ihre Umgebung anzupassen – um dann zum Beispiel fester an den Rezeptor einer Wirtszelle zu binden oder länger in einem Wirt zu überdauern.   

Derartige Veränderungen werden nicht gezielt gesteuert. Ein Virus, wie der neue Covid-19-Erreger, mutiert über viele Generationen nach dem Zufallsprinzip. In den meisten Fällen geschieht dadurch gar nichts, weil die kleinen Kopierfehler weder Aussehen noch Funktion des Virus beeinflussen. Falls eine Mutation doch mal ein Protein, also ein Eiweiß verändert, beschädigt sie es eher und schwächt die nächste Virusgeneration. Solche schwachen Linien fallen der natürlichen Selektion zum Opfer und verschwinden.

Sars-CoV-2: stabiler als viele andere Viren

Viel unwahrscheinlicher ist, dass ein Virus gestärkt aus einer Mutation hervorgeht, zum Beispiel widerstandsfähiger wird. Hierfür müssen besonders geeignete Gene mutieren oder mehrere Mutationen zusammenkommen. Und das passiert eben selten – zumindest gerechnet auf einen einzelnen Viruspartikel. Je stärker ein Virus allerdings weltweit im Umlauf ist, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwann eine Variante mit nützlichen neuen Eigenschaften auftritt. Wenn sich das Virus dann ungehindert ausbreiten kann und viele Wirte befällt, setzt sich eine solche starke Linie früher oder später durch. Eine natürliche Folge der Evolution.

Die alles entscheidende Frage ist also nicht, ob das aktuelle Pandemie-Virus weiter mutieren wird – das ist sicher. Sondern wie es mutiert. Wird es immer aggressiver und damit noch tödlicher für Menschen? Richard Neher vom Biozentrum Basel zumindest glaubt das nicht. "Per se ist erst einmal nicht davon auszugehen, dass das Virus durch einzelne Mutationen gefährlicher wird", sagte er im Gespräch mit ZEIT ONLINE. 

Einer der Gründe dafür: Das neue Coronavirus ist vergleichsweise stabil. Insgesamt entstand in den vergangenen Monaten trotz weltweiter Verbreitung im Schnitt nur alle zwei Wochen eine neue Mutation. RNA-Viren wie Sars-CoV-2 mutieren zwar häufiger als solche, deren Erbgut aus DNA besteht. Verglichen mit anderen RNA-Viren wie Influenza (Grippe also) mutiert das neue Coronavirus aber relativ träge. Das liegt unter anderem daran, dass es einen Korrekturapparat besitzt, der einen Teil der Kopierfehler sofort wieder rückgängig macht.

Dass sich das Coronavirus im Laufe seiner Evolution dennoch verändert, heißt nicht zwingend, dass es für den Menschen auch gefährlicher wird. Es könnte im Gegenteil ein evolutionärer Vorteil für das Virus sein, harmloser zu werden. Denn Viren haben das Ziel, sich zu vermehren. Und dafür müssen sie viele Wirte befallen. Harmlos zu sein, könnte ihm dabei sogar nützen. Denn jemand, der mit einem Schnupfen weiter zur Arbeit geht, U-Bahn fährt und seine Oma besucht, überträgt einen Erreger auf mehr Menschen, als jemand, der mit einer Lungenentzündung im Isolierzimmer liegt oder an einer Infektion stirbt. Ein ähnliches Beispiel nennt der Berliner Virologe Christian Drosten in seinem NDR-Podcast