Ein Bauwerk will gekrönt sein, eines wie dieses allemal. Richtkrone war gestern, Christenkreuz ist heute. Und für alle Zeit? Über dem durch Wiederaufbau imaginierten und imitierten Berliner Stadtschloss thront seit wenigen Tagen ein Goldenes Kreuz. Zusammen mit der Laterne streckt es den Bau auf eine Höhe von gut 70 Metern. Was sagt uns das?
Am Himmel über Berlin werden Weltanschauung und Ideologie zelebriert. Soviel Schloss wie möglich, soviel Humboldt-Forum wie nötig? Die demnächst im Inneren gezeigten Ausstellungen zu den Kulturen und nicht minder den Religionen der Welt dürfen sich eines Überbaus sicher sein. Der ordnet ein, definiert und dominiert. Nur gebraucht wird er nicht. Oder?
Auf jeden Fall hat sich damit die Camouflage erledigt,
ie Camouflage erledigt, mit deren Hilfe bisher suggeriert wurde: Hier wird nicht nur der Architekturgeschichte Berlins Genüge getan, hier soll vor allem ein Gemäuer auferstehen, das zu einem der bedeutendsten Zeugnisse des Barock jenseits der Alpen gehörte – die DDR-Führung hat sich daran vergangen, als sie 1950 in ideologischer Verblendung vom Schloss sprengen ließ, was nach dem Krieg davon übrigblieb.Das mag alles sein, aber es wird eben auch und nicht nur nebenher die Rückeroberung eines signifikanten Ortes der deutschen Geschichte vorangetrieben. Mit dem Kreuz auf der Kuppel erhärtet sich der Eindruck, dass in einer Stadt ohne Zentrum an einem zentralen Ort die restaurative Obsession Vorrechte genießt, denen der Hang zum Demonstrativen schwerlich bestritten werden kann. Nicht nur, weil mit diesem Schloss einst die Hohenzollern auf repräsentative und reale Macht bedacht waren, sondern im Hintergrund ein Vorspiel rumort. Mit dem Abriss des „Palastes der Republik“ konnte schließlich ein gestürzte System noch einmal gestürzt werden.Triumphale Geste Und das nicht irgendwo, sondern dort, wo die DDR gleichfalls Geschichte schreiben und Präsenz zeigen wollte. Das am einstigen Marx-Engels-Platz errichtete „Haus des Volkes“ konnte für sich einen besseren Ruf in Anspruch nehmen als die Gesellschaft, die sich damit in Szene setzte. Einen solchen Bau über Jahre hinweg in aller Öffentlichkeit zu schleifen und ihn einzutauschen gegen die Reanimation des Vorgestrigen, spricht Bände. Von der davon ausgehenden Demütigung für den Osten ganz zu schweigen.Für die triumphale Geste der historischen Revanche ließ sich jedenfalls kaum ein geeigneterer Ort finden, um zurückzuholen, was zeitweilig an die „Plebejer“ verlorenging. Unter dem Kreuz können sich die Schloss- und Schirmherren nun heimisch fühlen. Sie müssen nicht länger bestreiten, worauf es ihnen ankam. Immerhin wird auf das Zeichen eines in Deutschland stets auch staatskirchlichen Christentums zurückgegriffen, das willig segnete, was es zu segnen galt: brutale Kolonialpolitik, die Ausrottung eines Volkes in Südwestafrika, Aggression und Verbrechen im Ersten Weltkrieg, Zivilisationsbruch und Massenmord des NS-Regimes (Stichwort: „Deutsche Christen“). So unerschütterlich und stolz, wie nun Kreuz und Schloss vereint ihre Botschaft aussenden, sieht das mitnichten nach Abbitte aus. Im Gegenteil.Sollte da der Bundestag als maßgebliche Autorität der Schlosserweckung nicht umgehend Einspruch erheben? Sich zumindest düpiert fühlen und das kundtun? Eine Mehrheit des Hohen Haus hat 2002 lediglich einen Nachbau der barocken Fassaden beschlossen. Von exzessiver Symbolik zur Feier des christlichen Abendlandes war nicht die Rede. Dies hinzunehmen oder gar zu leugnen, bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als einer reaktionären Vereinnahmung des gesamten Projektes Humboldt-Forum Vorschub zu leisten.„Allergräßlichstes Gesinde“Dass ausgerechnet der Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. und sein Gebot an die Untertanen „im Namen Jesu sich beugen“ mit einem Schriftzug unter dem Kreuz verewigt werden, kann kein Missgriff sein. Auch dies zeugt vom Willen zur historischen Mission. Jener Herrscher hatte bis ans Ende seiner Tage daran zu tragen, dass ihn die Berliner Bürger zwangen, am 19. März 1848 auf dem Schlossplatz den Hut vor den aufgebahrten Toten des Aufstandes am Vortag zu ziehen. („Allergräßlichstes Gesinde“ sei das gewesen, wie der König in einem Brief befand.)Seine Soldaten hatten mit Kanonenfeuer mitten in der Stadt die Aufständischen „niedergemacht“, wie es General Prittwitz seinem König meldete. Kein Grund, es diesem Monarchen zu verwehren, vom Schloss erneut Gehorsam und Gottesfurcht verkünden zu dürfen?Es steht zu befürchten, das Humboldt-Forum hat bereits einen Ruf verloren, bevor es sich überhaupt einen verschaffen kann. Das Kreuz zu demontieren, wäre ein Eklat. Es erscheint kaum möglich. Wo sollte der politische Wille dazu herkommen? Vom Schloss als Schloss sollten sich die künftigen Nutzer nun freilich erst recht emanzipieren.