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Stefan Rahmstorf

Analyse des IPCC Was der neue Bericht des Weltklimarats für uns bedeutet

Stefan Rahmstorf
Ein Gastbeitrag von Stefan Rahmstorf
Steigende Meeresspiegel, häufigere Wetterextreme – mehr als 200 Fachleute haben die Lage des Klimas auf der Erde analysiert. Was uns in den kommenden Jahren bevorsteht – und worauf es jetzt ankommt.
»Der neue IPCC-Bericht folgert, dass es seit mindestens 2000 Jahren keinen vergleichbaren Temperaturanstieg gegeben hat«

»Der neue IPCC-Bericht folgert, dass es seit mindestens 2000 Jahren keinen vergleichbaren Temperaturanstieg gegeben hat«

Foto: Richard Drury / Getty Images

234 Forscher haben jahrelang mehr als 14.000 Fachpublikationen durchforstet, bewertet und diskutiert, um den neuen Bericht des »Weltklimarats« IPCC  zu verfassen – ehrenamtlich, versteht sich. Die umfassenden Sachstandsberichte des IPCC zum Klima erscheinen seit 1990 alle fünf bis sieben Jahre – dieses Mal hat es seit dem letzten Bericht sogar acht Jahre gedauert, wegen der Coronapandemie.

An den lange etablierten Grundfakten zum Klima hat sich dabei nichts geändert, doch es gibt nach acht Jahren weiterer Messdaten und weiter verfeinerter Computermodelle deutliche Erkenntnisfortschritte – zum Beispiel beim Thema Wetterextreme.

Ich war selbst als Leitautor am Kapitel zu den Klimaveränderungen der Erdgeschichte des 4. IPCC-Berichts von 2007 beteiligt. Damals waren wir Paläoklimatologen noch die Exoten. Diesmal leitete meine damalige Mitautorin, die französische Physikerin und Paläoklimatologin Valerie Masson-Delmotte , den IPCC-Bericht – Erkenntnisse aus der Erdgeschichte sind durchgehend berücksichtigt.

Seit Jahrtausenden keinen vergleichbaren Temperaturanstieg

Das beginnt mit der ersten Grafik der Zusammenfassung für Entscheidungsträger, die die Temperaturentwicklung über die vergangenen zweitausend Jahre zeigt. Als vor zwanzig Jahren im dritten IPCC-Bericht die erste derartige Rekonstruktion für die vergangenen tausend Jahre von meinem US-Kollegen Michael Mann erschien, wurde sie zum beliebten Angriffsziel  der selbst ernannten »Klimaskeptiker«. Doch inzwischen ist dieser Klimaverlauf, der an einen »Hockeyschläger« erinnert, längst vielfach unabhängig bestätigt.

Grafik aus der Zusammenfassung für Entscheidungsträger: Temperaturentwicklung über die vergangenen zweitausend Jahre

Grafik aus der Zusammenfassung für Entscheidungsträger: Temperaturentwicklung über die vergangenen zweitausend Jahre

Foto: IPCC

Der neue IPCC-Bericht folgert, dass es seit mindestens 2000 Jahren keinen vergleichbaren Temperaturanstieg gegeben hat – und dass die Temperaturen heute bereits höher liegen dürften als in der wärmsten Phase des Holozäns vor 6000 Jahren. Nach Stand der Daten muss man rund 125.000 Jahre zurückgehen, bis in die Eem-Warmzeit vor der letzten Eiszeit, um global ähnlich hohe Temperaturen zu finden.

Die beste Abschätzung der globalen Erwärmung von 1,1 Grad seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zu den Jahren 2011 bis 2020 deckt sich mit der besten Abschätzung der vom Menschen verursachten Erwärmung. Anders gesagt: Die Erderhitzung seit dem 19. Jahrhundert ist praktisch komplett vom Menschen verursacht. Ich halte das übrigens für eine gute Nachricht, denn so sind wir nicht hilflos ausgeliefert, sondern können etwas dagegen unternehmen.

Meeresspiegel steigt immer schneller

Der Ozean hat sich im abgelaufenen Jahrhundert rascher erwärmt als jemals seit dem Ende der letzten Eiszeit vor 11.000 Jahren. Dies ist eine wichtige Erkenntnis der Paläoklimatologie, denn der Ozean bedeckt 70 Prozent der Erdoberfläche. Er speichert bei Klimaänderungen die größten Wärmemengen (über 90 Prozent der modernen Erderwärmung). Am Meeresgrund lagern sich ständig Sedimente ab, an denen man die vergangenen Temperaturen ablesen kann. Wenn der Ozean sich seit 11.000 Jahren nicht so stark erwärmt hat wie zuletzt, dann gilt das sehr wahrscheinlich auch für die globale Mitteltemperatur.

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Aus der Erwärmung folgt logisch der Meeresspiegelanstieg durch die thermische Ausdehnung des Meerwassers und durch das dahinschmelzende Landeis. Der IPCC folgert erstens, dass der Meeresspiegel seit 1900 rascher gestiegen ist als in jedem Jahrhundert zuvor seit mindestens 3000 Jahren (aufgrund von Forschung, zu der auch ich etwas beigetragen habe ). Und der IPCC warnt, dass der Anstieg sich immer mehr beschleunigt – in den vergangenen fünfzehn Jahren stieg der Meeresspiegel bereits dreimal so schnell wie vor 1971.

Für die Zukunft hat der aufgrund des Konsensverfahrens oft übervorsichtige IPCC sich ehrlich gemacht über die vollen Gefahren des Meeresspiegelanstiegs. Bei einem 1,5-Grad-Szenario, also der Einhaltung des Pariser Abkommens, kann der weitere Anstieg bis 2100 wahrscheinlich auf unter einen halben Meter begrenzt werden. Doch bei weiter stark steigenden Emissionen lässt sich ein Anstieg um bis zu zwei Meter bis 2100 und gar fünf Meter bis 2150 nicht ausschließen. Das wäre eine Katastrophe von planetarem Ausmaß durch den Stabilitätsverlust großer Kontinentaleismassen.

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Fotos [M]: Getty Images (6); Julia Steinigeweg

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Doch auch im günstigeren Fall, wenn die Eismassen zunächst stabil bleiben, wird der Meeresspiegel sehr lange unaufhaltsam steigen, nur eben langsamer. Selbst bei nur 1,5 Grad Erwärmung steigt er um zwei bis drei Meter über die kommenden zweitausend Jahre. Große Meeresspiegelveränderungen haben auch die früheren Klimaveränderungen der Erdgeschichte begleitet – nach der letzten Eiszeit stieg der Meeresspiegel um rund 120 Meter, und es gibt noch genug Eis für weitere 65 Meter auf der Erde.

Es ist eingetreten, was lange vorhergesagt wurde

Beim Golfstromsystem rechnet der IPCC bei allen Emissionsszenarien mit einer »sehr wahrscheinlichen« Abschwächung und formuliert etwas vage, er habe »mittleres Vertrauen«, dass es vor 2100 nicht zu einem abrupten Kollaps kommt. Das finde ich nur mäßig beruhigend, gerade auch angesichts der neuen Studie meines PIK-Kollegen Niklas Boers, die vergangene Woche Schlagzeilen gemacht hat und naturgemäß vom IPCC noch nicht berücksichtigt wurde.

Was Wetterextreme betrifft, zeigt der IPCC-Bericht, dass das eingetreten ist, was lange vorhergesagt wurde. Natürlich hat extreme Hitze dramatisch zugenommen. Aber auch bei Starkregen ist inzwischen mit hoher Sicherheit die Zunahme auf den meisten Landgebieten belegt, für die es hinreichend gute Daten für eine Trendanalyse gibt. Davon betroffen sind auch Nordeuropa, West- und Mitteleuropa sowie Osteuropa. Für West- und Mitteleuropa ist außerdem die Zunahme von Dürre belegt.

Der menschliche Einfluss hat seit den 1950er-Jahren auch die Wahrscheinlichkeit von kombinierten Extremereignissen erhöht. Das sind gleichzeitige Hitzewellen und Dürren, Feuerwetter und Überflutungen. Erstmals konstatiert der IPCC auch, dass der Anteil starker Hurrikans zugenommen hat.

Die Zukunftsaussichten sind für Wetterextreme alles andere als beruhigend. Es ist zum Beispiel »sehr wahrscheinlich, dass Starkniederschlags-Ereignisse in den meisten Regionen mit der weiteren globalen Erwärmung intensiver und häufiger werden«, folgern die Forscherinnen und Forscher – und dass die Sturmstärken der stärksten Tropenstürme weiter zunehmen.

Verhindern, dass es noch viel schlimmer wird

Was jeder verstehen sollte: Auch bei der Einhaltung des Pariser Abkommens wird es mit den Wetterextremen nicht besser, sondern wir können nur noch verhindern, dass es noch viel schlimmer kommt. Die Erde wird auch dann bis mindestens Ende des Jahrhunderts wärmer sein als heute. Und mit jedem bisschen zusätzlicher Wärme nehmen die Extreme an Häufigkeit und Intensität zu. Wie der IPCC weiter schreibt: »Viele Veränderungen, die auf vergangene und künftige Treibhausgasemissionen zurückzuführen sind, sind für Jahrhunderte bis Jahrtausende unumkehrbar.«

Die kommende Legislaturperiode dürfte die letzte sein, in der Deutschland noch das Ruder beim Klimaschutz herumreißen und einen angemessenen Beitrag zum Erreichen der Paris-Ziele leisten kann. Es ist daher höchste Zeit, dass die Bundesregierung auf das von ihr selbst eingesetzte Beratungsgremium hört, nämlich den Umweltrat, wenn es um ein für Deutschland angemessenes Emissionsbudget geht. Und auf ihr eigenes Umweltbundesamt, was einen angemessenen Preis  für CO2-Emissionen angeht, der die entstehenden Schäden einpreist.

Alles andere ist eine Subventionierung der Klimakatastrophe, die wir Steuerzahler bezahlen müssen. Es ist unfassbar, dass im Jahr 2021 immer noch Parteien mit dem Versprechen Wahlkampf machen, die Subventionierung von Billigflügen und dem Fahren mit Verbrennungsmotoren beizubehalten.

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