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Diskussion um Zugang zu Kultur Warum junge Leute kaum mehr ins Theater gehen – und wie man das ändern könnte

Ein leerer Theatersaal
Ein leerer Theatersaal. Wenn nicht viele junge Zuschauer nachrücken, könnte dieses Bild bald Realität werden.
© Peter Lewicki / Unsplash
Die Theater wünschen sich mehr junge Zuschauer. Wenn die nicht kommen, werden schnell Äußerlichkeiten dafür verantwortlich gemacht. Dabei gehen auch Jugendliche in erster Linie wegen der Stücke ins Theater – wenn die nicht interessieren, gibt’s offenbar ein Problem.

Ich muss etwas gestehen. Die letzten – lasst mich überlegen – ungefähr fünf Male, die ich im Theater war, war ich nicht wegen Theater im Theater. Sondern für Veranstaltungen, die eben im Theater stattfanden. Drei Lesungen und zwei Konzerte waren das. Alle gut. Ich fand das schön, denn ich gehe gerne ins Theater. Ich habe nur lange nicht mehr selber Karten für ein richtiges Theaterstück gekauft. Warum eigentlich nicht?

Darüber grübelte ich nach, als ich heute Vormittag meine Wohnung aufräumte und nebenher im Radio Deutschlandfunk lief (das könnte jetzt intellektuell klingen, Deutschlandfunk lief aber nur, weil ich inzwischen keine Nerven mehr für dudelnde Chartsmusik habe). Um die Zeit zwischen den Nachrichten zu füllen, wurde dort über den Zugang zu Kultur für junge Menschen diskutiert. Ihr wisst schon, diese Diskussion, die es bereits seit Jahrzehnten gibt.

Nicht der Dresscode hält junge Menschen fern

In der (insgesamt wirklich sehr interessanten) Talkrunde wurde an der Frage geknabbert, warum junge Menschen heute kaum noch ins Theater gehen. Schließlich würde das klassische Abonnenten-Publikum immer älter – und als Theater müsse man jetzt Audience Development betreiben, um auf Dauer bestehen zu können. Zum ersten Mal hörte ich auch den Begriff "Nichtnutzerforschung". Und viele Ideen und Vermutungen, was die jungen Menschen vom Theater fernhalte.

Zum Beispiel die Tatsache, dass man sich dafür schick machen müsse. Was für ein merkwürdiges Argument! Erstens: Solche Regeln sind Jugendlichen so unfassbar egal. Zweitens: Muss man nicht. In keinem Haus wird einem der Eintritt verwehrt, nur weil man als Besucher kaputte Jeans und Turnschuhe trägt. In keinem. Und ich war zumindest in Hamburg in allen namhaften Theatern. Drittens: Für eine nicht unerhebliche Zahl junger Menschen ist gerade dieser Aspekt erstmal das Interessanteste am Theaterbesuch.

Oder dass die wichtigsten Probleme von Jugendlichen heutzutage Mobbing, oder wer sich nicht das neueste Handy leisten könne, seien. Und darüber habe ja noch niemand Theaterstücke geschrieben. Erstens: hat bestimmt jemand. Es würde mich wirklich überraschen, wenn es zu genau diesen Themen nicht schon eine ganze Reihe hipper Jugendtheater-Skripte gäbe. Zweitens: Haltet junge Menschen nicht für blöd. Ja richtig, Schiller und Beckett kannten noch keine Smartphones und kein Mobbing im modernen Sinn. Aber auch sie kannten Neid, Außenseitertum, Angst um die eigene soziale Stellung – und haben Stücke darüber geschrieben. Das kapieren auch Pubertierende.

Muss die Kulturbildung mit 15 beginnen?

Dass die aber in der Regel ganz andere Sorgen haben als den Theatergenuss, ist vermutlich einfach eine biologische Tatsache. Wer glaubt, man müsse 15-Jährige (metaphorisch) ins Schauspielhaus prügeln und bestenfalls noch so lange (metaphorisch) weiterprügeln, bis sie a) begriffen haben, was sie da überhaupt sehen und b) behaupten, es gut zu finden, ist auf einem echten Holzweg. Lasst doch die armen Kinder mit Hochkultur in Ruhe, solange ihre durchdrehenden Gehirnsynapsen ohnehin verhindern, dass sie diese wertschätzen können. Aber sorgt dann bitte dafür, dass ihr ihnen relevante Stücke anbietet, wenn sie alt genug dafür sind.

In der sechsten oder siebten Klasse sollten wir uns mit unseren Klassenlehrern Goethes "Faust" im Theater anschauen. Wir, ein unzähmbarer Haufen, der nach Axe und Zwiebelringen stank, in der vielleicht schlimmsten Phase seines Lebens. Der Schauspielerin, die das Gretchen spielte, hatten sie komische klobige Holzschuhe angezogen. Und immer, wenn sie ein paar Schritte gehen musste, sah das nicht nur merkwürdig plump aus, sondern machte auch "klock", "klock", "klock". Immer, wenn sie ein paar Schritte gehen musste, brüllten wir vor Lachen. Klopften uns auf die Schenkel und gegenseitig auf die Schultern. Sechsundzwanzig höchst amüsierte Monster. Arme Frau, ey. Das passiert, wenn man glaubt, Teenies würden durch Kultur, die sie nicht interessiert, bereichert. Wir haben es noch geschafft, alle um uns herum zu ent-reichern!

Die erste Theaterkarte, die ich mir selbst gekauft habe, war für eine Vorstellung von "Hair" im Stadttheater. Nein, das war nicht in den 70ern, sondern ca. 2003. Ich war 17, ging tatsächlich mit Freunden ins Theater. Wir fanden das cool. Weil da ein Stück lief, das gleichzeitig relevant, ein bisschen provokant und sehr unterhaltsam war. Und am Ende war uns allen ganz beiläufig klar geworden, dass Krieg und Zwangswehrdienst richtig schlechte Ideen sind. Liebe Theatermacher, ihr weint jetzt wahrscheinlich, aber: Stücke könnten gern öfter wie "Hair" sein.

Hassen die Macher ihr Publikum eigentlich?

Theatermacher hadern in meiner Vorstellung stets mit dem Drang, dem (zahlenden) Publikum gefallen zu wollen, und dem Wunsch, es so sehr wie möglich vor den Kopf zu stoßen. Wenn man ihnen dann zuhört, gibt es für das Vor-den-Kopf-Stoßen auch immer richtig gute Gründe. Gar nicht ironisch gemeint. Ich höre ihnen gern zu, wenn sie ihre Arbeit besprechen. Ich bin überhaupt ganz ehrlich fasziniert von allem, was im Theater hinter der Bühne vor sich geht. Ich beobachte unheimlich gern den Prozess, die Proben, bestaune das Talent der Schauspieler. Ich interessiere mich bloß höchst selten für das, was am Ende auf der Bühne passiert. Und ich habe die vage Vermutung, dass das vielen so geht. Eine Show, in der der Regisseur seine Motivation erzählt und man den Schauspielern und Mitarbeitern der verschiedensten Bereiche ein bisschen beim Vorbereiten zugucken könnte, liefe vermutlich besser als jede fertige Produktion, bei der dann keine Verbindung mehr zwischen Publikum und den Machern ensteht.

Ich habe Stücke gesehen, die angeblich gerade für junge Leute relevant sein sollten. Darin krabbelten die Darsteller in Plastikmasken über die nicht beleuchtete Bühne, um Drogensucht zu symbolisieren. Ich habe Stücke gesehen, in denen sich halbnackte Darsteller auf einer Bühne, die komplett mit Burgerbrötchen ausgelegt war, wälzten, während auf großen Videowänden Clips liefen, die sie beim Kotzen zeigten. Und die meinten das ernst. Keine Ironie, nirgends. Hat mich das verstört? Total. Hat es mich klüger gemacht? Hm. Habe ich später noch drüber nachgedacht? Über die Burgerbrötchen ja – die eigentliche Message des Stücks habe ich längst vergessen.

Was will Theater sein? Was soll es sein?

Theater ist inzwschen oft eher Aktionskunst als Geschichtenerzählen. Das ist total okay für die Menschen, die das mögen und ich möchte dieses interessante Kulturreservat niemandem wegnehmen. Im totalen Gegensatz dazu spielen viele Privattheater, die ohne Subventionen auskommen und die Zuschauer zum Kauf von Tickets bewegen müssen, vor allem launige Komödien. (Auch das ist völlig okay, an sich.) Ich finde keines von beidem optimal, und keines von beidem reizt mich. Kann es da kein Mittelding geben?

Denn ja – auch das wurde in der Deutschlandfunk-Runde besprochen – wir alle zahlen über Steuern die Subventionen für staatliche Theater mit. Und es ist absolut richtig, dass wir das tun – denn sonst gäb's ja nur noch launige Komödien. Es wäre aber auch richtig, wenn man sich dann als Theater nicht nur einem Nischen-Nischen-Nischen-Publikum widmet, sondern auch mal U- und A-Kultur auf derselben Bühne passieren lässt – womöglich gar vermengt in einem Stück.

Ich wünsche mir ein back to basics: Erzählt mir eine Geschichte! Und erzählt sie mir so, dass sie mich interessiert. Erst dann berührt es mich ja wirklich, wenn unerwartete Wendungen oder dramatische Dinge passieren. Wenn da von Anfang an weiß geschminkte Nackte auf der Bühne stehen und mich anschreien, denke ich nicht darüber nach, was wohl in der Kindheit der Charaktere Schlimmes passiert ist. Dann denke ich darüber nach, ob ich trotz des teuren Ticketpreises in der Pause nach Hause gehe.

Und wer sind diese jungen Menschen?

Junge Menschen sind nicht blöd. Sie sind auch nicht anti. Die meisten haben erstmal total Bock auf Kultur. Also: nicht mit 15. Aber dann mit 17.

Was sie haben: Netflix und viel zu tun. Was sie nicht haben: Zuviel Zeit und zuviel Geld. Wenn man jetzt als Theatermacher diese Zeit verschwendet, weil man beim Kunstschaffen so gar nicht an die Bedürfnisse des Publikums denkt, und das auch noch für saftige Ticketpreise, dann verprellt man sie spätestens beim zweiten oder dritten Versuch. Dazu kommt, dass das Publikum heute nicht mehr dankbar jeden Brocken Entertainment annimmt, den man ihm hinwirft (hallo, lineares Fernsehen!), sondern von hochwertigen Serien oder sogar Podcasts inzwischen komplexes, zügiges und packendes Erzählen gewohnt ist.

Noch eine These: Junge Menschen wollen Stücke sehen, keine Inszenierungen. Die feiern nicht, wenn die Schauspieler pinke Ritterrüstungen tragen und die Handlung auf den Mond verlegt wurde, die wollen einfach den verdammten Shakespeare sehen – und eigentlich am liebsten möglichst originalgetreu. Da könnte sich manch Regisseur vielleicht mal ein bisschen zurücknehmen.

Es ist keine Lösung, sein Publikum zu umschmeicheln – um auf das Audience Development zurückzukommen. Man sollte sein Publikum aber weder ignorieren noch verachten. Und als Theatermacher vielleicht mal überlegen, was man selber sehen wollen würde, wenn man nur zwei Mal im Jahr ins Theater ginge und nicht jeden Tag.

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