Ein Koffer voller Ekel vor RTL

Medien Bei einer Reality-Soap von RTL kann man sich daran ergötzen, wie arme Familien beim Versuch scheitern, sich selbst am Schopf aus dem Armutssumpf zu ziehen
Ausgabe 31/2018
Natürlich ist ein Koffer voller Geld nicht die Lösung, wenn man seit Jahren ohne Job am Existenzminimum lebt
Natürlich ist ein Koffer voller Geld nicht die Lösung, wenn man seit Jahren ohne Job am Existenzminimum lebt

Foto: Imagebroker/Imago

Ein junger Mann erzählt unter Tränen, wie seine vier Geschwister und er zum Monatsende Fastenphasen einlegen, weil das Geld seiner alleinerziehenden Mutter nicht fürs Essen reicht. Eine Familie heizt ihr baufälliges Haus mit Holz, da Hartz IV nichts anderes ermöglicht. Zwei Akademiker-Eltern zerren ihren Sohn vor dem Schaufenster eines Buchladens weg – das von ihm gewünschte Bilderbuch können sie sich nicht leisten.

In einem reichen Land mit starker Wirtschaft wie Deutschland möchte man angesichts solcher Szenen Neoliberalismus und Sozialsystem verteufeln und die Erhöhung der Hartz-IV-Sätze sowie bessere Hilfen bei der Jobsuche fordern. Alternativ kann man den Leuten aber auch die Unterstützung für ein Jahr in Geldscheinen in einem Koffer vor die Tür stellen und sich daran ergötzen, wie sie beim Versuch scheitern, sich selbst am Schopf aus dem Armutssumpf zu ziehen. Genau diesen Plan verfolgt RTL mit der Reality-Soap Zahltag! Ein Koffer voller Chancen.

Drei Familien wurden dafür gecastet, die vom Amt leben und keine Perspektive sehen. Sie erhalten auf einen Schlag zwischen 25.000 und 33.000 Euro in bar, um sich damit eine neue Existenz aufzubauen. Für vermeintlich fachkundige Beratung sorgen Cindy-aus-Marzahn-Darstellerin Ilka Bessin (war auch mal auf Hartz IV), der gut geföhnte Gründungsberater Felix Thönnessen, der sonst in der Vox-Gründer-Sendung Höhle der Löwen abhängt, sowie Heinz Buschkowsky. Der SPD-Politiker war einst Bürgermeister in Berlin-Neukölln und gilt bei RTL als „Brennpunktspezialist“. Seine Kommentare offenbaren ihn aber vor allem als Thilo-Sarrazin-Abklatsch. Denn natürlich ist ein Koffer voller Geld nicht die Lösung, wenn man seit Jahren ohne Job am Existenzminimum lebt.

Besonders gut (inszeniert) demonstrieren das Andrea und René aus Sachsen. Beide adipös, er zudem mit Vokuhila, bewohnen sie mit zwei Kleinkindern eine Bauruine, in die auch das Messie-Team von RTL2 hätte einrücken können. Mit dem Geld wollen sie einen Laden für Kinderkleidung aus zweiter Hand eröffnen. Doch erst mal wird vollgetankt, bei McDonald’s gespeist und die Bruchbude mit neuer Couch und Kühlschrank aufpoliert. Nach drei Wochen haben sie die Hälfte ausgegeben – für Alltagskram, nicht für die Zukunft.

„Wenn du noch nie so viel Geld hattest, glaubst du, dass 25.000 Euro für immer reichen“, erklärt Bessin verständnisvoll, während Buschkowsky die goldrandbebrillten Gesichtszüge entgleisen. Sich nach Jahren des Verzichts im Moment etwas gönnen zu wollen, statt in eine abstrakte, ferne Zukunft zu investieren – der SPD-Politiker kann dieses urmenschliche Verhalten einfach nicht fassen.

Dabei ist das Scheitern nicht Schuld der Hartz-IV-Empfänger. Es ist in diesem Setting vorprogrammiert. Der Ausweg aus der Armut soll in die Selbstständigkeit führen; der Koffer voller Geld ist als Anschub gedacht. Doch nicht jeder ist zum Unternehmer geboren, und wer seit Jahren keinen geregelten Arbeitstag hatte, für den ist der Einstieg doppelt schwer. Erst recht in einer Branche, von der man keine Ahnung hat. Zudem muss das Geld noch für den Alltag reichen, denn Hartz IV gibt es bei so viel Barvermögen nicht länger.

So ist bei RTL alles wie immer: Die Zuschauer weiden sich am Scheitern der Anderen; unbedarfte Menschen werden vorgeführt. „Selbst schuld, diese Hartzies“ wird als Subtext vermittelt. FDP-Wähler mag das freuen. Armen in Deutschland hilft man so nicht.

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