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Fußball-WM Mit Frankreich feiern

Gemeinsam mit dem besten Freund zum Erfolg: Warum die Deutschen begreifen sollten, dass sich die (Fußball-)Welt verändert hat - und der WM-Triumph der Franzosen auch für sie ein großes Glück ist.
Anhänger der französischen Mannschaft jubeln auf dem Roten Platz in Moskau

Anhänger der französischen Mannschaft jubeln auf dem Roten Platz in Moskau

Foto: Pavel Golovkin/ dpa

Frankreich feiert, Frankreich glänzt, Frankreich überzeugt mit einer auf ungewöhnliche Art erfolgreichen Fußballmannschaft, angefeuert von einem ungewöhnlichen Präsidenten, der am Abend des Finales in Moskau eher in die Fankurve gepasst hätte als auf eine Ehrentribüne.

Doch wie kommen die Reaktionen in Deutschland daher? "Mittendrin immerhin zwei Bundesligaprofis: Benjamin Pavard (Stuttgart) durfte von Beginn an ran, Corentin Tolisso (Bayern) als Joker. Mehr hatte das WM-Finale mit uns diesmal nicht zu tun," trauert die "Bild"-Zeitung. Dazu passt, dass ZDF-Fernsehkommentar Béla Réthy die französischen Weltmeister Paul Pogba und Kylian Mbappé bei ihrer Siegfeier als schwer erziehbare Jugendliche charakterisiert, denen man noch ihren "Quatsch im Kopf" und andere Unsitten austreiben möchte. Fehlt nur noch, dass man Präsident Macron um mehr Anstand auf der Tribüne bittet. Freude über den Sieg des Nachbarlandes? Fehlanzeige.

Schließlich war sich Fußball-Deutschland schon ziemlich einig gewesen, dass nach dem Ausscheiden der eigenen Mannschaft die WM in Russland zu der schlechtesten aller Zeiten degenerierte: ohne große Stars, ohne schöne Tore, mit Schwalbe und Eigentor im Endspiel, und was es sonst noch alles zu bemängeln gab.

Die deutsche Übellaunigkeit nach dem eigenen Fehlauftritt aber wäre nicht weiter schlimm, wenn sie nicht auf so tragische Weise die Erfolge Frankreichs übergehen würde. Und wenn sich das gleiche Phänomen nicht schon seit über einem Jahr in der Politik spiegeln würde.

Den Elan des Nachbarn nutzen

Er werde eines Tages ein Buch über all die verpassten Gelegenheiten schreiben müssen, bei denen Deutschland versäumte, auf die europäischen Reform-Vorschläge Macrons zu reagieren, soll der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier im Mai bei der Übergabe des Aachener Karlspreis an den französischen Präsidenten im privaten Kreis gesagt haben. Bei der Preisübergabe an Macron im Mai versäumte die deutsche Politik, und Bundeskanzlerin Angela Merkel als Preisrednerin vorneweg, das gleiche, was gestern die Fußballnation Deutschland versäumte: Mitfeiern, den Nachbarn loben, den Elan des anderen für sich selbst nutzen.

Früher gelang das dem deutschen Fußballnationaltrainer Joachim Löw mit Blick auf den spanischen Fußball. Früher gelang das Bundeskanzlerin Merkel mit Blick auf die USA. Doch die beiden und mit ihnen die meisten Deutschen haben bis heute nicht verstanden: Der beste Freund heißt Frankreich. Um so mehr, weil sich die Welt, sogar die Fußballwelt schwer verändert hat.

Wie Frankreich mit seinen Pogbas und Mbappés umgeht, wie selbstverständlich und unvoreingenommen das Land die beiden Finaltorschützen, noch dazu den jüngsten seit dem großen Pelé, zu seinen Helden kürt, sollte der im Streit um ihren deutsch-türkischen Nationalspieler Mesut Özil erstarrten deutschen Fußballöffentlichkeit eine Lehre sein. Es geht eben nicht mehr oder nur schlechter ohne Multikulti im Fußball.

Macron feiert mit den Jungs aus der Vorstadt

Also kümmert man sich gerade um die Jungs, deren alte Freunde in den Pariser Vorstädten heute zu den Terroristen zählen könnten. Macron war übrigens der erste, der nach den Pariser Attentaten vor drei Jahren warnte, der Terror sei hausgemacht. Am Sonntag in Moskau war er der erste, der mit den Jungs aus der Vorstadt ihren WM-Sieg feierte.

Macrons Erfolge, seine vorpreschende, direkte Art, die gestern im Stadion zu besichtigen war, aber sind vielen Deutschen offenbar immer noch nicht geheuer. Schon seine Wahl zum Präsidenten im vergangenen Jahr löste bei den deutschen Kommentatoren allerorts Erleichterung, aber nur selten Freude und Zustimmung aus. Nur die deutschen Philosophen machen da eine Ausnahme: Jürgen Habermas preist Macron bei jeder seiner Reden für seine weitsichtigen europäischen Ideen, und Peter Sloterdijk nennt ihn eine Chance, die einmal in hundert Jahren kommt - also muss man sie nutzen.

Könnte nicht der WM-Sieg Frankreichs Anlass sein, endlich auf die Philosophen zu hören? Zu begreifen, welches Glück Deutschland mit dem Nachbarn Frankreich hat? Nein, der WM-Pokal ist gestern nicht verloren gegangen. Nein, dieses WM-Finale hatte mehr mit uns zu tun, als wir denken. Frankreich heißt der Sieger. Er aber kann in allen wichtigen Fragen des Lebens, außer im Fußball, genau so wenig allein gewinnen wie Deutschland. Nichts anderes versucht Macron den Deutschen seit einem Jahr zu erklären. Noch aber hören hierzulande zu viele weg - weil ihnen die Bundesliga wichtiger ist.