Fassadenbegrünung
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Klimakrise

Architektur stößt an ihre Grenzen

Wetterextreme wie Hitzewellen werden durch die fortschreitende Erderwärmung häufiger – eine Entwicklung, die auch Architektinnen und Architekten vor Herausforderungen stellt. Vor allem in den Städten gilt es, für Abkühlung zu sorgen. Die technischen Möglichkeiten dafür sind vorhanden, sagen Fachleute – mit kluger Architektur alleine werde man den Folgen der Klimakrise aber nicht beikommen. Sie fordern ein großes Umdenken.

Weite Teile Europas haben bereits die zweite Hitzewelle dieses Sommers hinter sich gebracht. Die Temperaturen kletterten vielerorts auf über 40 Grad Celsius, an zahlreichen Orten auf dem ganzen Kontinent wurden neue Rekorde verzeichnet. Besonders unter der Hitze zu leiden haben Menschen in den Städten. In den Ballungsräumen ist es stets um einige Grad wärmer als im Umland. Asphalt und Beton speichern die Wärme, weswegen es auch in der Nacht heiß bleibt.

Österreichs Städte versuchen gegenzusteuern. Wien setzt auf Sprühnebelduschen („Sommerspritzer“) und mobile Bäume, in Linz wird im Rahmen eines EU-Projekts an Lösungen für „Hitzeinseln“ wie den Hauptplatz geforscht. An anderer Stelle kommt die Architektur ins Spiel: Gesimse und Dachvorsprünge können als Schattenspender genutzt werden; die Auswahl der Bau- und Dämmmaterialien bestimmt das Klima in den Innenräumen entscheidend mit; die Nachrüstung älterer Gebäude mit Außenrollos und Fensterläden bietet effektiven Schutz vor der Sonneneinstrahlung.

„Feigenblattpolitik“

Zum Sinnbild für klimaangepasstes Bauen sind grüne Fassaden und Dächer geworden. Die Pflanzen verdunsten Wasser und verbrauchen dabei Energie, die entstehende Verdunstungskälte kühlt die Umgebung – so werden Zufluchtsorte in den städtischen „Hitzeinseln“ geschaffen. Wirksamkeit und Notwendigkeit dieser Maßnahme stünden außer Zweifel, sagt Daniel Fügenschuh, Bundesvorsitzender der Architekten- und Vizepräsident der Ziviltechnikerkammer, gegenüber ORF.at.

Doch gerade bei der Fassadenbegrünung laufe man Gefahr, „Feigenblattpolitik“ auf den Leim zu gehen. „Fassaden und Dächer zu begrünen reicht nicht. Es braucht ein großes Umdenken“, sagt der Tiroler Architekt. Dieses Umdenken muss laut Fügenschuh auf politischer Ebene stattfinden und zwei zentrale Aspekte umfassen: Die Reduktion des Autoverkehrs in den Städten und die Neuordnung der Raumplanung, was vor allem den ländlichen Raum betrifft.

Parkplatz am Land
ORF.at/Roland Winkler
Der Bodenverbrauch ist nach wie vor ein drängendes Problem in Österreich

Ungenutzte Flächen

Den jüngsten Zahlen des Umweltbundesamtes zufolge ist der Flächenverbrauch in Österreich zwar zurückgegangen, liegt aber weiter auf hohem Niveau. Österreich sei „Europameister im Bodenverbrauch“, kritisierte Raumplaner Reinhard Seiß gegenüber dem „Kurier“.

Die Österreichische Hagelversicherung warnte, das Land verliere „jährlich 0,5 Prozent seiner Agrarfläche“. Schreite diese Entwicklung fort, könnte es „in 200 Jahren“ so gut wie keine landwirtschaftlichen Flächen mehr in Österreich geben. Auf der anderen Seite stehen Industriebrachen, ungenutzte Gewerbegebiete und leerstehende Häuser. Zusammen bedecken sie Schätzungen zufolge eine Fläche von 40.000 Hektar.

„Rechtlich ungünstige Situation“

„Die Möglichkeiten, die Architekten beim Bauen haben, sind begrenzt. Die Raumplanung spielt eine viel größere Rolle“, sagt Fügenschuh. Das Problem sei die „rechtlich ungünstige Situation in Österreich“. Die Raumplanung liegt hauptsächlich bei den Gemeinden. „In anderen Ländern sind es sinnvollerweise überregionale Ebenen, die entscheiden“, sagt Fügenschuh.

In Österreich passiere daher immer noch, was in der Schweiz schon lange nicht mehr möglich sei: „Grünland wird in Bauland umgewidmet. Dann muss man mit der Infrastruktur nachziehen. Das bedeutet den Bau von Straßen, also Oberflächenversiegelung. Das Nachziehen der Infrastruktur ist nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch bedenklich.“

„Es bringt nichts, unter enormem Energieaufwand und dem Verlust von Naturraum ein Passivhaus auf die grüne Wiese zu stellen“, erklärt Fügenschuh, „Die CO2-Werte im Verbrauch des Hauses sind zwar in Ordnung, aber man berücksichtigt nicht, dass es dazu dann zwei Autos braucht, um die Kinder in die Schule zu bringen oder in die Arbeit zu fahren.“

Fügenschuh plädiert für „qualitätsvolle Nachverdichtung“ im ländlichen Raum, sprich: die effizientere Nutzung bereits bestehenden Baulands. In Sachen Raumplanung sollte es Konzepte auf Bundes- und Länderebene geben. Als Positivbeispiel in diesem Bereich nennt der Tiroler Architekt Vorarlberg: „Da haben wir Grünlandstreifen, die sich über die Gemeindegrenzen hinwegziehen, wo Gemeinden im Anlassfall nicht so einfach Änderungen durchführen können.“

Gesamtstrategie fehlt

Auch im städtischen Bereich spiele Raumplanung eine größere Rolle als etwa die Nachrüstung älterer Gebäude mit Außenjalousien, sagt Fügenschuh. Wesentlich sei ein Umdenken in Verkehrsfragen. Viele europäische Städte haben den Autoverkehr aus ihren Zentren verbannt und auch in den Außenbezirken Beschränkungen für Pkws und Lkws erlassen.

Fassadenbegrünung
ORF.at/Christian Öser
Begrünte Fassaden: Wirksam, aber kein Allheilmittel gegen die Folgen der Klimakrise

„Der Straßenverkehr ist Hauptgrund für die Erhitzung der Städte. Und auch der CO2-Ausstoß in der Stadt wird hauptsächlich vom Verkehr verursacht“, sagt Fügenschuh. Als mögliches Gegenmittel schlägt er eine Stadtplanung vor, die kurze Wege zwischen Arbeitsplatz, Wohnort und genutzten Freizeitanlagen schafft, sodass man möglichst auf das Auto verzichten kann.

Der Stadtklimatologe Simon Tschnanett kritisiert das Fehlen einer Gesamtstrategie im Umgang mit der Klimakrise. Für eine fundierte klimafreundliche Stadtplanung bedürfe es zunächst einmal einer Stadtklimaanalyse, so Tschanett gegenüber Ö1. Wenn man wisse, von wo frische Luft in die Stadt strömt oder wo „Hitzeinseln“ entstehen, könne man umsichtig reagieren. „Da geht es zum Beispiel um das Erkennen von Frischluftschneisen – wo kommt also frische, kühle Luft in die Stadt hinein, in Wien zum Beispiel durch den Wienerwald, in Linz durch die Haselgraben“, so Tschannett – mehr dazu in science.ORF.at.