Trumps Handelskriege, Erdogans Wirtschaftskrise, Armut und Elend in Ursprungsländern der Lieferketten: Die Warenbeschaffung wird immer komplexer und komplizierter – und zu einer Frage der Moral.

Ein echter Scheiß mit der Globalisierung, wohin man schaut, gibt es nur Probleme. Ein durchgeknallter Egomane in den USA, der sich frei von Vernunft und Sachverstand mit jedem und allen anlegt, der den Klimawandel leugnet, nach Gusto Wirtschaftskriege anzettelt und komplette Märkte mit Steuern und Import-Restriktionen überschüttet, ohne zu kapieren, was er dem Globus, der Menschheit und selbst seiner eigenen Klientel mit ihrem beschränktem Weltbild antut. Wer mit diesen USA „Deals“ macht, hat keine Ahnung, wohin die Reise geht. Denn was heute gilt, wird morgen ins Gegenteil zurecht gelogen.

Fast schadenfroh könnte man meinen, dass es wenigstens mit den US-Sanktionen gegen das türkische Regime von Erdogan den Richtigen trifft. Nein, ganz sicher soll an dieser Stelle kein Wasser auf Erdogans Mühlen gegossen werden. Denn Trumps scheinbar heroischer Kampf für einen in der Türkei gefangenen Priester ist nicht die Ursache für die in ihren Ausmaßen noch nicht absehbare Krise am Bosporus. Hyperinflation und die extreme Verunsicherung bei Anlegern hat sich das Regime Erdogan selbst eingebrockt. Die US-Sanktionen verschärfen das Ganze nur noch.

Neue Konsumtempel in der Türkei

Dabei galt die Türkei zumindest bei westlichen Investoren noch bis vor Kurzem als lukrativer Markt. In kaum einem anderen Land entstanden in so kurzer Zeit so viele neue Shoppingmalls wie in der Türkei, wie eine Analyse des Immobiliendienstleisters CBRE zeigt.  Allein in der Türkei wurden laut CBRE im ersten Halbjahr 2017 rund 300.000 Quadratmeter neue Flächen in Einkaufszentren fertiggestellt. In der Pipeline befänden sich weitere 2,2 Millionen Quadratmeter, hieß es vor einem Jahr.

Andreas Chwallek, Chefredakteur von Der Handel und etailment.de
© Aki Röll
Andreas Chwallek, Chefredakteur von Der Handel und etailment.de
Wer dort künftig alles einkaufen soll, steht in den Sternen. Der Kaufkraftverlust in der Bevölkerung durch den Verfall der Lira dürfte sämtliche Planziele für die neuen Konsumtempel über den Haufen werfen. Und nicht nur für diese. 

Die Auswirkungen spüren über kurz oder lang Unternehmen in weiten Teilen der Welt. Denn ganze Wertschöpfungsketten hängen von der Türkei ab, in Handels- und Industrieunternehmen. Etwa Ferrero bezieht den Großteil der Haselnüsse für Nutella und Hanuta aus der Türkei, etliche Textilprodukte stammen von dort.

So hat sich die "TextilWirtschaft" jüngst zu den möglichen Auswirkungen der Krise in der Türkei auf die Beschaffung umgehört. Dass dabei meist diplomatische und vorsichtige Einschätzungen herauskamen, wundert nicht. Schließlich will man dort noch länger Geschäfte machen. Abgesehen davon gilt es bei Erdogan inzwischen bereits als "Terrorpropaganda", wenn man überhaupt von einer Krise spricht.

Produzenten stoppen Verkauf ihrer Waren

Die TW wurde dennoch fündig und zitiert Mustafa Kurgen, Geschäftsführer des Online-Shopping-Club-Lieferanten tPandora mit Sitz in Augsburg und Istanbul. "Der Schaden für die Unternehmen ist groß, weil sie Rohstoffe wie Baumwolle importieren müssen. Dafür müssen sie wegen des Lira-Verfalls deutlich mehr zahlen als bisher."  Viele Produzenten hätten deswegen den Verkauf ihrer Waren gestoppt. "Sie müssen erst neue Preise festlegen. Es ist unklar, wie lange das dauert, da sich die Situation täglich ändern kann."

Genau diese Unwägbarkeiten auf Seiten der Produzenten könnten den Textilstandort Türkei mittel- bis langfristig nach unten ziehen, befürchten Branchenbeobachter. Wenn der einheimischen Industrie die Gewinne wegbrechen und die Kreditaufnahme immer schwieriger wird, könnte das Geld für Investitionen fehlen, um im Wettbewerb mit anderen Sourcing-Märkten mitzuhalten.

Noch kein Kakaoanbau in Deutschland

Also neue Sourcing-Märkte suchen, oder auf "alt Bewährtes" zurückgreifen? Das geht nicht in allen Branchen so einfach. Trotz deutlich sichtbarer Folgen des Klimawandels bietet der Anbau von Kaffee und Kakao in Deutschland immer noch keine Alternative. Also lieber wegschauen, wenn man im Netz oder im Laden Billigschokolade kauft. Solange die Kindersklaven auf den afrikanischen Plantagen rechtzeitig vor der Kontrolle weggesperrt werden, muss der deutsche Kunde  auch gar nicht erfahren,  dass es so etwas immer noch gibt.  

Textilproduktion ist in ihrer internationalen Arbeitsteilung hingegen viel komplexer als Kaffee, Kakao oder Bananen. Nur der Rohstoffanbau ist an klimatische Bedingungen geknüpft. Die Weiterverarbeitung folgt dann dem Prinzip der billigsten Löhne und kostengünstigsten Standortauflagen, etwa beim Umweltschutz. Das macht es noch schwieriger, die Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards von den Plantagen bis in die Fabriken sicher zu stellen   

Umso besser und ehrenhafter, wenn der Bundesentwicklungsminister Gerd Müller voller Inbrunst bei der internationalen Fairtrade-Konferenz in Berlin verkündet, dass Fairtrade zum Standard werden müsse. Sein Engagement für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Dritten Welt nimmt er offensichtlich ernst.

Nur die Hälfte im Textilbündnis

Und so muss  man auch das "Textilbündnis" verstehen, dass er 2014 eilig iaus der Taufe hob, nachdem die Welt fassungslos auf das eingestürzte Fabrikgebäude Rana Plaza in Bangladesch schaute, wo 1.135 Menschen den Tod fanden. Vier Jahre später haben die Mitglieder des Bündnisses einen ambitionierten Katalog mit Maßnahmen verabschiedet, damit es den Menschen und der Umwelt in Bangladesch, Indien oder Äthiopien besser gehen soll.

Das klingt alles gut und wirkt so entschlossen wie nie zuvor. Doch dem Bündnis fehlt immer noch die Durchschlagskraft. Müller wollte mit den Mitgliedern 75 Prozent des deutschen Textilmarktes abdecken – aktuell sind es nur noch knapp 50 Prozent. Von einst 200 Mitstreitern sind 128 übrig geblieben. Doch das spricht nicht gegen so eine Initiative, es spricht gegen Händler und Hersteller, die immer Gründe finden, sich nicht oder nicht mehr zu beteiligen. Bezeichnenderweise gerade jetzt, da es ernst wird mit verbindlichen Zielen und Transparenz.

Hier sind es Mitgliedschaften in internationalen Initiativen, die angeblich das Engagement beim deutschen Bündnis erschweren. Dort klagt der Mittelstand über die vermeintlich zu hohen Auflagen.  Gründe, um  sich heraus zu lavieren, finden sich immer. Dabei könnte man ja auch sagen: Wir wollen es möglich machen, denn es geht um Menschen, die Umwelt, letztlich auch darum, dass niemand gezwungen ist, aus seiner Heimat wegen Armut und Hunger zu flüchten – mit all den Problemen, die damit zusammenhängen.

Nachhaltigkeit kostet Geld

Sicher sollen die Gegenargumente immer verschleiern, worum es wirklich geht: ums Geld.

Ja, Nachhaltigkeit hat ihren Preis. Ja, dann muss der deutsche Verbraucher eben für ein T-Shirt mehr bezahlen, 10 statt 9 Euro. Na und? Wenn Handel und Industrie hier erklären könnten, dass eine bessere Welt auch etwas kostet, wäre allen mehr geholfen. Das wäre weit besser als sich heute wortreich aus der Affäre zu ziehen, aber bei der nächsten Katastrophe in einer Fabrik Betroffenheit zu heucheln.

Viele Konsumenten interessiert das ohnehin nicht über den Tag der Katastrophe und Empörung hinaus.  Dass billiges Einkaufen und das eigene Konsumverhalten etwas mit den Arbeits- und Lebensbedingungen in anderen Teilen der Welt zu tun hat, blenden die meisten im Alltag aus. Fragt man jedoch Menschen in der Fußgängerzone, ob sie bereit wären, mehr Geld für eine bessere Welt ausgeben zu wollen, dann sagt fast jeder ja. Der tägliche Einkaufsbon spricht dagegen eine völlig andere Sprache.

Bis auf vergleichsweise wenige engagierte Menschen werden die Konsumenten das Thema also nicht voranbringen. Auch bei manchem engagierten Globalisierungsgegner sollte man besser nicht fragen, wo und zu welchem Preis er seine Klamotten gekauft hat.

Wenn der Shitstorm aufzieht

Oder vielleicht doch bei Trigema, garantiert aus deutscher Produktion? Der Ansatz ist ehrenhaft, aber wenn alle so denken, hilft das keiner Familie in Bangladesch.

Also müssen Hersteller und Händler gemeinsam mit der Politik die aktive Rolle übernehmen. Sicher, der Wettbewerb wird immer härter. Doch langfristig werden nur dort die Beschaffungsmärkte sicher, wo menschenwürdige und deshalb stabile Verhältnisse herrschen.

An der Volatilität von Beziehungen zwischen Ländern können einzelne Unternehmer sicher nichts ändern. Doch am Ende ist eine saubere Lieferkette auch eine Frage der Moral. Und wer schon keinen Wert darauf legt, morgens mit einem guten Gewissen in den Spiegel schauen zu können, der kann sich durch Fairness in der Wertschöpfungskette wenigstens vor dem nächsten Shitstorm im Netz schützen.

Selbst wenn die Umfragen in Fußgängerzonen meist nicht ernst zu nehmen sind – beim Shitstorm wird es bitterernst.
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