Kundenbindung ist im flüchtigen Onlinehandel ein hohes Gut. Der Übergrößen-Versender Sheego wählt den direkten Austausch mit der Zielgruppe. In Workshops beschreiben die Frauen ihre Sorgen und Nöte beim Modekauf und liefern damit unschätzbare Erkenntnisse für die Sortimentsgestaltung.

So klingt es, wenn man sich etwas zum Anziehen kaufen will und der eigene Körper nicht dem gängigen Mode-Ideal entspricht: "Wenn es untenrum passt und obenrum nicht hält, dann bringt es nichts." Oder: "Warum soll ich nicht ins Schwimmbad gehen, nur weil ich dick bin?" Man merkt schnell, dass eine Frau, die Mode in Übergrößen sucht, andere Probleme hat als eine herkömmliche Modekundin, die sich einfach nur etwas Schickes kaufen möchte. Wer jedoch Textilien in einer Konfektionsgröße 46 und aufwärts benötigt, braucht etwas, was Form und Funktion vereint, etwas, das die Hüfte kaschiert, einen Badeanzug, der den Körper strafft oder einen BH mit breiten Trägern, um die Büste zu stabilisieren.

Generalinspektion für Sheego

Und darum geht es jetzt im Showroom von Sheego, Versender von Übergrößen-Mode für Frauen. Neun Frauen sind gekommen zum mittlerweile sechsten Workshop, den Sheego für Kundinnen veranstaltet mit dem Ziel, tief in ihre Seelen einzudringen. "Wir müssen verstehen, welches Produkt am besten für sie ist", sagt Sven Axel Groos, seit Mai 2017 Chef der Otto-Tochter Schwab-Versand, zu dem wiederum Sheego gehört.
Schwab-Chef Groos: "Ein Internethändler muss anfassbar sein"
© Sheego
Schwab-Chef Groos: "Ein Internethändler muss anfassbar sein"
Groos hat Sheego einer Generalinspektion unterzogen. Es gab sozusagen Ölwechsel und neue Stoßdämpfer, und es wurde Überflüssiges abmontiert. Wie etwa das bisherige stationäre Geschäft. Fünfzig Läden betrieb Sheego, bevor Groos kam, seine Vorgängerin Sabine Tietz hatte noch 2016 davon gesprochen, dieses Netz auf 200 Filialen auszuweiten.

Schlanke Frauen sollen woanders einkaufen

Ende März dieses Jahres wurden dann sämtliche Shop-in-Shop-Aktivitäten eingestellt - alle Kraft dem Onlinehandel heißt es jetzt. Groos straffte das Sortiment auf die Kernzielgruppe, und das sind Frauen mit Mode der Konfektionsgrößen 44 bis 58. Was darunter liegt, flog raus, denn für schlanke Frauen gibt es Alternativen genug. "Wir müssen uns positionieren", sagt Groos. Sheego soll Modeheimat sein für Frauen, die keine Idealmaße haben.  
Und dieser Markt ist enorm, auf ein Umsatzvolumen von rund 3,5 Milliarden Euro schätzt ihn die GfK. Hier gewinnt der, der eine machtvolle Kundenbindung schafft, eine der großen Herausforderungen im flüchtigen E-Commerce. Selbstverständlich führt auch Sheego die üblichen Befragungen über App, Website und Newsletter durch. Algorithmen ermitteln dann, welche Bluse gefragt ist, welche nicht.

Die Kundin als Model

Die aktuelle Marketing-Kampagne heißt #nobodyisthesame, mit der üppiger Körperbau als Teil der Individualität und nicht als Defizit verkauft wird. Die fünf Models dafür sind alles "echte" Frauen, so wie die Models auf der Sheego-Website auch.

Doch es geht um mehr: "Internethändler müssen anfassbar sein", sagt Groos. Also sitzt er an diesem Montag mit im Workshop und hört den neun Frauen zu, die gekommen sind, um über Mode zu reden. Groos hat diese regelmäßigen Treffen in der Hanauer Sheego-Zentrale eingeführt, per Newsletter lädt das Unternehmen ein, maximal zwölf Interessierte werden ausgewählt. Ziel ist, dabei einen guten Querschnitt durch die Sheego-Kundschaft zu bekommen, die vor allem zwischen 30 und 55 Jahre alt ist. Wie viele aktive Kundinnen bei dem Versender einkaufen, verrät das Unternehmen allerdings nicht.

Dem Boss freundlich die Meinung geigen

Sechs bis acht solcher Treffen stellt sich Groos jährlich vor. Er weiß, dass das aufwendig ist, viel Arbeit macht, und dass diese viele andere Onlinehändler scheuen. Er weiß aber auch, dass solche Workshops unschätzbare Erkenntnisse für seine Arbeit bringen. Denn die Kundinnen spüren, dass sie ernst genommen werden, dass sie ein Sortiment beeinflussen können, das passformkritisch ist, wie es Groos so schön formuliert.

Und – weil sie nicht nur den Boss von Sheego, sondern auch die Einkaufs- sowie die Marketingchefin kennenlernen und es zum Abschluss noch ein nettes Fotoshooting gibt. Präsenz bei Social Media, Kundenbewertungen auf der Website, eine App – das ist Pflicht für Onlinehändler. Aber dem Unternehmensboss freundlich die Meinung geigen dürfen, das ist die Kür.

Keine Tupper-Partys, hier gehts ans Eingemachte

Vier Stunden dauert so ein Abend in Hanau, und sie sind mehr als lustige Tupper-Partys mit Schnittchen und Cocktails. Hier geht es ans Eingemachte, es geht um die Sehnsucht nach gutem Aussehen, nach Klamotten, die nicht nur die Nacktheit verbergen, es geht um Farben, Stoffe, Schnitte und letztlich auch um den Wunsch an gesellschaftlicher Teilhabe.
Der Kundin so nahe: Die Sheego-Mitarbeiterinnen Claudia Geier (Produktmanagerin), Katrin Egner (Marketing, Marktforschung) und Kirsten Berg (Qualitätsmanagerin) mit zwei Workshop-Teilnehmerinnen.
© Sheego
Der Kundin so nahe: Die Sheego-Mitarbeiterinnen Claudia Geier (Produktmanagerin), Katrin Egner (Marketing, Marktforschung) und Kirsten Berg (Qualitätsmanagerin) mit zwei Workshop-Teilnehmerinnen.
"Unsere Kundin fühlt sich nicht von den Marken abgeholt", sagt Sheego-Chef Groos, "und das ist genau unsere Chance". Er weiß, dass ein Abend mit acht oder 12 Frauen keine flächendeckende Marktforschung ersetzt. Aber wenn allesamt sagen, dass dieser Badeanzug oder jene Bluse nicht gefallen, dann lässt sich so ein Urteil schon auf die gesamte Kundschaft hochrechnen – und das Sortiment entsprechend neu justieren. 

Es geht nicht nur um Geschmacksfragen

Denn dieser Zielgruppe werden nicht nur Geschmacksfragen gestellt. Es geht auch um Handfestes, wie etwa das Problem zu kurzer Ärmel bei T-Shirts, weswegen die Oberarme nicht gut verdeckt werden. Mit den Hanauer Workshops erreicht Sheego immer etwa zwei Dutzend Frauen aus dem Rhein-Main-Gebiet.

Start von Pop-up-Stores

Ab Herbst wird die Reichweite der Kundinnenansprache vergrößert. In Hamburg und München wurden Pop-up-Stores mit jeweils 300 Quadratmeter Fläche angemietet für große Events. "Wir wollen intensiv mit den Kundinnen arbeiten", nennt Groos das Ziel. Es geht also nicht nur um ein bisschen Modenschau-Chi-Chi mit Sektchen und so, es geht um unmittelbare Markforschung. Mit gut 2.000 Frauen wird jeweils gerechnet, Groos ist selbstverständlich dabei, denn der Chef muss auch vor Ort sein als Internethändler, der seine Kundinnen verstehen will.

Comeback der stationären Präsenzen als Vision

Vielleicht sind diese Pop-up-Stores der Anfang vom Comeback des stationären Geschäfts, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass es irgendwann auch wieder Sheego-Läden geben wird. "Wir glauben weiter an die Relevanz stätionärer Präsenz für Sheego und werden unsere Erkenntnisse zu gegebener Zeit in die Weiterentwicklung eines neuen Stationärkonzeptes einfließen lassen", sagt Sven Axel Groos. Dabei kann er sich Flächen bei Karstadt oder Kaufhof genau so gut vorstellen wie Partnerschaften mit kleinen Händlern. 

Aber das ist alles noch weit weg. Erst einmal muss noch die Kundenbindung im Onlinehandel optimiert werden. Und hier helfen Instagram-Postings einer Teilnehmerin am Workshop in der Sheego-Zentrale. "Es war ein toller Abend mit tollen Frauen. Endlich kommen mal die Kundinnen zu Wort. Und dafür nehme ich gerne ein wenig Schlafverlust in Kauf."

Mehr Kundenbindung ist kaum noch zu schaffen, und deswegen wird man auch zum besten Online-Shop in der Kategorie "Fashion Große Größen" beim Focus Deutschland Test 2018.

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