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Nach Rausschmiss des Zentralbank-Chefs Erdogan will türkische Zentralbank massiv umbauen

Weil er niedrigere Zinsen ablehnte, feuerte Erdogan den Chef der türkischen Zentralbank. Jetzt will der Autokrat die eigentlich unabhängige Institution komplett umkrempeln. Die Zentralbank wird zur politischen Geisel des Präsidenten, kritisiert die Opposition. Erdogan bedeute für die türkische Wirtschaft ein enormes Risiko, warnen Experten.
Stellt nicht nur politische Gegner kalt: Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei

Stellt nicht nur politische Gegner kalt: Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei

Foto: Adem ALTAN / AFP

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kapert die türkische Zentralbank. Nachdem er am Wochenende Zentralbankchef Murat Cetinkaya wegen des Streits um die richtige Zinspolitik gefeuert hatte, kündigt der Autokrat nun einen Radikalumbau der Bank an. Geschehe dies nicht, könnte die Türkei in ernsthafte Schwierigkeiten geraten, sagte Erdogan der Zeitung "Habertürk" (Mittwoch).

"Die Zentralbank ist das wichtigste Element in der Finanzsäule der Wirtschaft. Wenn wir sie nicht vollständig überarbeiten, wenn wir sie nicht auf ein solides Fundament stellen, dann könnte es geschehen, dass wir mit ernsthaften Problemen leben müssen." Erdogan ersetzte Cetinkaya durch dessen Vize Murat Uysal, der als Befürworter einer lockeren Geldpolitik gilt.

Cetinkaya habe nicht für Vertrauen in die Märkte gesorgt. "Seine Kommunikation mit den Märkten war nicht gut", sagte Erdogan. Der türkische Präsident setzt die Notenbank schon länger unter Druck und fordert niedrigere Zinsen, um die inzwischen in einer Rezession steckende Wirtschaft anzukurbeln.

Erdogan macht die Notenbank zur Geisel

Mit dem spektakulären Schritt vom Wochenende ruft Erdogan auch massive Kritik hervor. Die Absetzung Cetinkayas untergrabe die Unabhängigkeit der Zentralbank, erklärte ein hochrangiger Banker aus Istanbul, der nicht genannt werden wollte. Die Opposition warf Erdogan vor, die Notenbank als Geisel für die eigene Machtpolitik zu nehmen.

Cetinkaya stand seit April 2016 an der Spitze der Notenbank und hat die Zinsen im vergangenen Jahr um insgesamt 6,25 Prozentpunkte auf 24 Prozent erhöht, um die schwächelnde Landeswährung zu unterstützen. Die türkische Wirtschaft befindet sich mit einem Rückgang von 2,6 Prozent im ersten Quartal in einer Rezession, die türkische Lira verliert weiter an Wert und die Inflationsrate ist hoch.

"Erdogan riskiert Ruin der türkischen Wirtschaft"

Nach Ansicht des 85 Milliarden Dollar schweren Vermögensverwalters und Schwellenländer-Spezialisten Ashmore Group riskiere Erdogan, die türkische Wirtschaft in den Abgrund zu treiben, wie es das Regime in Venezuela unter Nicolás Maduro getan habe.

Die Türkei sei zwar diversifizierter als Venezuelas ölabhängige Ökonomie, befinde sich jedoch derzeit auf einem sehr ähnlichen Weg politischer Fehltritte, die "wahrscheinlich zum Ruin" führten, erklärte der Vermögensverwalter laut einem Bericht der Finanznachrichtenagentur Bloomberg .

Jan Dehn, in London ansässiger Forschungsleiter bei Ashmore, erwartet in der Türkei als "nächsten logischen Schritt" Kapitalkontrollen, Verstaatlichung und andere Maßnahmen, die verhindern sollen, dass der Privatsektor Kapital und Vermögenswerte in Sicherheit bringt, sollte sich die Konjunktur weiter verschlechtern.

Das Problem aus Sicht des Wissenschaftlers: Sollte Erdogan zu einer "guten Politik" zurückkehren wollen, müsste er damit auch erhebliche "politische Kosten" - also Machtverlust - in Kauf nehmen. Autokratisch agierende Politiker scheuten in der Regel aber die Kosten eines Politikwechsels und zögen diesen immer länger hinaus, womit sie "fast immer in einer Krise enden", warnt der Experte auch und gerade mit Blick auf die Türkei.

Dehn ist kein Unbekannter: Der Experte hatte ziemlich genau das Comeback des russischen Rubel nach der Krise im Dezember 2014 prognostiziert, auch hatte er im Oktober 2015 den folgenden zweijährigen Aufschwung der Schwellenländer vorausgesagt.

In einem wissenschaftlichen Report, aus dem Bloomberg  ebenfalls zitiert, entwickelt Dehn thesenartig die Dramaturgie eines drohenden Niedergangs der türkischen Ökonomie, die sich auch wie ein Passepartout für andere autokratisch geführte Staaten lesen ließe:

  • Schlechte Wirtschaftspolitik zieht allmählich "politische Kosten" nach sich.
  • Anstatt die Ursachen des Wirtschaftsproblems zu beseitigen, beschließt die Regierung, die Symptome des Problems wie Inflation, langsames Wachstum, schwache Währung und zu geringe Investitionen zu bekämpfen.
  • Die wirklichen Probleme werden ignoriert und verschlimmern sich - dazu gehören eine schlechte Geldpolitik, zunehmender Interventionismus, zu niedrige Sparquoten, eine schlechte Außenpolitik sowie das Versäumnis, lokale Finanzierungsmärkte zu entwickeln.
  • Anstatt Fehler einzuräumen macht die Regierung andere Gruppen der Gesellschaft für die Krise verantwortlich. Doch verschreckt dies Investoren und Unternehmen noch mehr, da Erdogan "immer mehr Sündenböcke" brauchen wird, sollte sich die Konjunktur verschlechtern.
  • Während sich die wirtschaftlichen Aussichten verdunkeln, bringen Unternehmen Kapital und Vermögenswerte in Sicherheit. Dies führt zu Kapitalflucht, rückläufigen Investitionen und anderen Absicherungsstrategien.
  • Die Regierung macht den privaten Sektor für den Niedergang verantwortlich und greift massiv ein: unter anderem durch Kapitalkontrollen und Verstaatlichung.
  • Ohne ökonomisches Wachstum und solide finanzielle Basis hat die Regierung keine Zukunft mehr und stürzt in die Krise.
mit Nachrichtenagenturen