Städtereise-Serie "Bild einer Stadt":Wie tickt eigentlich ... Stockholm?

Städtereise-Serie "Bild einer Stadt": Fast schon zu schön, die Altstadt von Stockholm

Fast schon zu schön, die Altstadt von Stockholm

(Foto: Jon Flobrant/Unsplash; Illustration Jessy Asmus)

Diese Stadt ist doppelt schön, aber nur im Zentrum. Doch darauf sollte der Besucher die Stockholmer nicht hinweisen: Besserwisser mögen sie so wenig wie Leute, die "Hygge" und "Lagom" verwechseln.

Von Silke Bigalke

Eine Stadt zu bereisen, bedeutet nicht nur Sehenswürdigkeiten abzuklappern. Sondern einen Blick in ihre Seele zu werfen - und dabei schöne Orte kennenzulernen, die auch Einheimische lieben. Wir haben unsere SZ-Kollegen in nahen und fernen Metropolen gebeten, "ihre" Stadt anhand eines Fragebogens zu präsentieren. Diesmal erklärt Silke Bigalke, warum in Stockholm die dicksten Fische vor dem Parlament zu angeln sind und warum Alkohol die Einheimischen zwar zugänglicher macht - aber nur kurzfristig.

Was ist das Besondere an Stockholm?

Stockholm ist eine Stadt des Überflusses, sie ist schon fast zu schön. Man läuft von verwinkelten Altstadtgassen zu prächtigen Uferpromenaden, dazwischen gibt es Parks und Brücken und Hotdog-Stände. Marzipanfarbene Villen spiegeln sich im Wasser, so dass man die ganze Pracht meist doppelt sieht. Stockholm kann es sich leisten, Bronzestatuen ganzjährig auf Körpertemperatur zu heizen und einen alten Tramwagen durch die Stadt fahren zu lassen, in dem Kaffee und Kuchen serviert werden. Viele Museen verlangen keinen Eintritt, und vor dem Parlament, wo das Salzwasser der Schären auf das Süßwasser des Mälarsee trifft, fischen Angler im Spätsommer dicke Lachse.

Wenn Stockholm etwas fehlt, ist es Reibung und die Neugier auf das, was jenseits dieses Wohlstands liegt. Denn rein kommt nur, wer finanziell mithalten kann, oder die Stockholmer Adresse von den Großeltern erbt. Alle anderen versammeln sich um die Endstationen der U-Bahnen in den Vororten. Manchmal wirkt das so, als hätten die Stockholmer alles was unansehnlich, baufällig, beengt oder einfach anders ist, vor die Tür gekehrt.

Und wie ticken die Einwohner?

Die Stockholmer sind wahnsinnig freundlich, aber distanziert, äußerst hilfsbereit, aber oft nur innerhalb ihrer Zuständigkeit. Wenn man die Busfahrerin nach dem Weg oder den Kellner nach dem besten Wein fragt, bekommt man ausführlich Auskunft. Doch wenn man den eigenen Nachbarn im Treppenhaus anspricht, kann es sein, dass er unwillkürlich zusammenzuckt. Die Menschen in Stockholm legen Wert auf ihr Privatleben- und respektieren das der anderen. Vor vielen Fenstern hängen keine Gardinen, weil sowieso niemand in fremde Wohnzimmer schauen würde. Eine Sache jedoch lockt die Stockholmer regelmäßig aus der Reserve: die Sonne. Mit den ersten Frühlingsstrahlen setzen sie sich raus, vor die Cafés und Bars, zur Not mit Heizstrahlern und dicken Wolldecken. Dann genießen sie, was es in Stockholm eben nicht im Überfluss gibt, nämlich Sonnenlicht und Wärme.

Wie kommt man am besten mit ihnen in Kontakt?

Es stimmt: Das einzige, was die Stockholmer schneller auftaut als der Sommer, ist der Alkohol. Der ist allerdings keine langfristige Lösung, denn bierselige Vertraulichkeiten sind ihnen am nächsten Tag oft peinlich und werden schnell verdrängt. Wer länger bleibt, sollte einem Verein beitreten oder sich sozial engagieren. Den Nachbarn kommt man bei gut organisierten, regelmäßigen Arbeitseinsätzen im Wohnhaus näher, gemeinsames Laubfegen verbindet. Danach gibt es Kaffee und Kuchen, die Fika. Die ist übrigens auch im Arbeitsalltag Pflicht. Wer da der gemeinsamen Kaffeepause fern bleibt, macht sich verdächtig.

Wohin gehen Stockholmer ...

  • zum Frühstücken: Ins Café Saturnus, das hat gute Zimtschnecken. Oder ganz traditionell ins Vete-Katten, eine Stockholmer Institution.
  • zum Mittagessen: Im Sommer am besten mit einem Hotdog oder Salat zum Mitnehmen (gibt's im Café oder Kiosk) ans Wasser setzen. Wenn das Wetter schlecht ist, sind die Restaurants im Kulturhuset zentral und ungezwungen. Eine tolle (nicht ganz billige) Auswahl bietet die Markthalle in Östermalm.
  • am Feierabend: Wer gerne am Wasser sitzt, sollte Richtung Djurgården fahren, dort gibt es mehrere Bars und Cafés unter freiem Himmel. Gemütlich ist zum Beispiel der Biergarten der Villa Godthem oder die Terrasse vor dem Spritmuseum.

Was finden die Menschen in Stockholm gar nicht komisch?

Besserwisser - und da sind die Deutschen den Schweden besonders verdächtig. Sie haben den deutschen Ausdruck sogar in ihr Wörterbuch aufgenommen. Dazu gehört auch, wenn einer übers Wetter meckert, über die Kaffeepreise, über Lärm im Nachbarzimmer oder darüber, dass die Suppe nur lauwarm war. Wer andere korrigiert oder spüren lässt, wie viel Ahnung er hat, ihnen was über das schwedische Königshaus, Stockholms Geschichte oder Astrid Lindgren erklären will, der macht sich unbeliebt - wahrscheinlich, ohne es selbst zu merken. Denn die Stockholmer diskutieren nicht, sie denken sich lieber still ihren Teil.

Und wofür werden sie den Urlauber aus Deutschland lieben?

Wenn er den Unterschied zwischen dem "Hygge"-Hype aus Dänemark und dem schwedischen "Lagom" kennt. Am besten wendet er dieses Prinzip schwedischer Ausgeglichenheit dann auch gleich an.

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