Sie wollen kreative, verantwortungsbewusste und selbstständige Mitarbeiter? Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit? Dumme Frage, natürlich wollen Sie das. Aber die Idee, zu diesem Zweck ein Change-Programm aufzusetzen, erinnert mich an den Mythos, nach einer Partynacht den Kater mit einem Konterbier zu bekämpfen: Die ungesunden Folgen sind zwar inzwischen längst nachgewiesen, aber die Trinker bestehen beharrlich auf der Wirksamkeit ihrer Praktik.
Und so wird es gnadenlos durchgezogen: die Ruck-Reden über Veränderung, die Werte-Workshops, die Klettergarten-Outdoortrainings und die bunten Plakate in den Büros und Pausenräumen: „DU bist Qualität.“ Und genau hier liegt die Crux an den Change-Projekten: Sie gehen davon aus, dass sich die Unternehmenskultur präzise in eine vorher festgelegte Richtung entwickeln ließe. Aber so funktioniert es nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn Verhaltenskultur mit Weltkultur verwechselt wird.
Kultur kann man nicht verordnen
Menschen zu sagen, wie sie sich zu verhalten haben, ist leicht. Ein Workshop oder ein paar Meetings, und die Sache ist erledigt. Dann weiß jeder, wo es langgeht und was er tun muss, um nicht seine Mitgliedschaft im Unternehmen zu riskieren. Und jeder Mitarbeiter kann sich dazu entschließen, sich gemäß den Erwartungen zu verhalten. Aber dadurch werden Mitarbeiter keine Spur kreativer oder eigenverantwortlicher. Die Zusammenarbeit wird nicht vertrauensvoller, und die „Passion for Performance“ bekommt auch keinen Push. Die Mitarbeiter werden nur eins: trainierter im Regelnbefolgen.
Und dieses Regelnbefolgen erzeugt nichts als Theater. Bloße Schauspielerei, die die Mannschaft kein bisschen wertschöpfender arbeiten lässt. Mal ganz abgesehen davon, dass Verhaltensanforderungen in der komplexen Organisation von heute sowieso nichts bringen, weil es unmöglich ist, für alle Eventualitäten ein Regelset zusammenzustellen. In überraschenden Situationen, für die es naturgemäß noch kein vorgeschriebenes Verhalten gibt, sind Mitarbeiter darauf angewiesen, auf Basis ihrer Werte zu agieren – und Werte lassen sich erst recht nicht mit Mitteln wie Workshops, Meetings und rationalem Einfordern verändern.
Die Kultur ist Schatten der Verhältnisse
Werte sind nämlich keine Sache des Verstands, sondern des Gefühls. Auf diesen Unterschied hat schon vor vielen Jahren unter anderem Gerhard Wohland hingewiesen. Wenn Sie morgens aufwachen, finden Sie Ihre Werte vor und müssen den Tag über damit leben. Natürlich unterliegen Werte Veränderungen, aber das ist nicht Resultat einer willentlichen Tat oder einer individuellen Entscheidung.
Menschen können über ihre Werte – also Gefühle – nicht disponieren, sie können sie lediglich beobachten. Und deswegen lassen sich die Werte der Individuen auch im Rahmen eines Change-Projekts nicht zielgerichtet ändern. Noch aussichtsloser ist es dann, das gemeinsame Wertesystem eines Unternehmens, also die Kultur, zu formen. Die Kultur ist nämlich Schatten der Verhältnisse. Sie ist ein Abbild aller Rituale, Praktiken, Ereignisse, Zufälle.
Was Sie tatsächlich tun können
Wenn Sie dennoch versuchen, Werte einzufordern, ernten Sie wieder eines: Business-Theater at its best, weil sich die Mitarbeiter dazu genötigt fühlen, wenigstens so zu tun, als würden sie die geforderten Werte tatsächlich verspüren. Glauben Sie nicht? Dann nehmen Sie doch einmal einen der häufigsten Werte, die sich moderne Organisationen auf die Fahne schreiben: Vertrauen. Und jetzt fordern Sie es ein. Vielleicht mögen Sie auch noch eine Belohnung aussetzen. Na? Haben Sie tatsächlich ein vertrauteres Teamklima? Ich habe da zumindest meine Zweifel …
Aber keine Sorge: Bloß weil Change-Management nicht so funktioniert, wie sich das manche Berater oder Personalentwickler vorstellen, heißt das nicht, dass Sie sich hilflos der Situation hingeben müssen. Eine Kultur verändert sich zum Beispiel, wenn sich der Kontext ändert, also einzelne Rahmenbedingungen. Sie passt sich quasi an. Deshalb mein Vorschlag: Hören Sie mit den alten „Trinker-Praktiken“ auf, also zum Beispiel mit Mitarbeitergesprächen, 360-Grad-Feedbacks, Incentivierung von Individualleistung, Budgetierung, Talentmanagement, Reisekostenregelung – und eben auch mit Change-Management.
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