taiwanischer Snack „Gua Bao“ in Berlin
„Bei dem eingedeutschten Zeug, das es bei uns gibt, kommen mir die Tränen“

Dampfbrötchen
Tomas Klemann © Goethe-Institut Taipei

Tomas Klemann ist Gründer und Geschäftsführer des Gastro-Unternehmens „Bao Kitchen“. In der Markthalle Neun, dem Zentrum der Berliner Street-Food-Szene, verkauft er den taiwanischen Snack „Gua Bao“. Ein Gespräch über Schweinebauch, Spätzle und die Seele der taiwanischen Küche. 

Herr Klemann, laut Selbstbeschreibung sind Sie Experte für „Taiwanese Food with a Twist“. Lassen Sie uns über Grundsätzliches reden: Was ist die Seele der taiwanischen Küche?
 
Für mich sind es die Snacks. Also das, was man auf Chinesisch „Xiaochi“ nennt, wortwörtlich: „kleines Essen“. Das können Dumplings, Nudelsuppen oder Reisklöße sein. Solche Snacks gibt es in Taiwan an jeder Straßenecke, sie schmecken super und sind auch noch total günstig. Man zahlt umgerechnet nur wenige Euro und isst sie auf einem Plastikhocker oder im Gehen. Auch „Gua Bao“, unsere Spezialität, ist so ein Snack.
 
Gua Bao mit Huhn Tomas Klemann © Goethe-Institut Taipei Was genau ist das?

Ein gedämpftes Brötchen, das mit Fleisch vom Schweinebauch gefüllt und mit Koriander und Erdnusspulver serviert wird; ein bisschen wie ein amerikanischer Hamburger, deswegen nennen wir unsere „Gua Bao“ auch „Taiwanese Burgers“. Der Twist, also das Neue, liegt darin, dass wir – neben der traditionellen Version mit Schweinebauch – moderne Füllungen anbieten, zum Beispiel Huhn, Rindfleisch und Tofu.

Und taiwanischer Schweinebauch kommt in Berlin gut an?
 
Sogar richtig gut. Das Geschäft läuft super. Ich glaube, die Gründe dafür sind ganz simpel: Zum einen schmeckt unser „Gua Bao“ einfach geil. Qualität und Geschmack sind top. Dazu kommt das Timing. Als ich „Bao Kitchen“ 2013 gründete, begann Street Food in Berlin gerade zu boomen: Plötzlich sprießten überall Street-Food-Märkte aus dem Boden. Außerdem gab es einen Hype um „Bao“, also gedämpfte Brötchen mit Füllung. In den USA gab es Köche wie David Chang und Eddie Huang, die mit „Bao“-Restaurants zu richtigen Stars geworden waren. Ich war einer der ersten Gastronomen, der „Bao“ in Deutschland verkauft hat.
 
Wie kamen Sie auf die Idee?
 
Ich habe von 2008 bis 2011 in Taiwan Chinesisch gelernt. Dort habe ich „Gua Bao“ zum ersten Mal gegessen. Es war sozusagen Liebe auf den ersten Biss. „Gua Bao“ ist ein typischer Straßensnack, man kauft und isst ihn bei fliegenden Händlern oder auf Nachtmärkten. 2011 bin ich dann aus beruflichen Gründen nach Berlin gezogen. Aber eigentlich habe ich nach etwas gesucht, womit ich mich selbstständig machen kann. Und die Gastronomie hat mich gereizt. Als ich sah, dass die Street-Food-Szene boomte, dachte ich mir: Ich verkaufe „Gua Bao“ auf Street-Food-Märkten!
 
Restaurants sind out?
 
Ach, am Anfang wusste ich selbst noch nicht genau, wohin die Sache führt. Ich habe mit einem Stand auf dem Street-Food-Markt in der Markthalle Neun in Kreuzberg angefangen. Das lief super. Nach einer Weile haben dann Kunden gefragt, ob ich auch Catering mache. So bin ich ins Event-Catering hineingerutscht. Irgendwann kam auch die Idee auf, ein Restaurant zu gründen. Dazu ist es dann aber schlussendlich nicht gekommen. Unter anderem, weil ich wusste, dass ich nicht ewig in Berlin bleiben würde.

Sie haben Marketing und Kommunikationswissenschaften studiert. Woher stammt ihr gastronomisches Wissen, zum Beispiel das Rezept für „Gua Bao“? 

Tomas Klemann Tomas Klemann © Goethe-Institut Taipei Alles Learning by Doing. Ich hatte zwei Anliegen. Einerseits wollte ich eine treue Rezeptur. Also habe ich in Taipei einen Kochkurs absolviert. Meine Lehrerin war auf taiwanische Street-Food-Snacks spezialisiert. Die Grundlage stammt sozusagen von ihr. Andererseits wollte ich einen Twist, also etwas Neues. Ich habe experimentiert und das Rezept weiterentwickelt. Hier kommt meine Oma ins Spiel: Sie stammt aus Taiwan und lebt in Taipei. Als ich ein kleiner Junge war, hat sie oft Schweinebauch-Gerichte gekocht. Also habe ich sie nach Tipps gefragt. Später habe ich von vielen Taiwanern gehört: Dein „Gua Bao“ schmeckt mindestens so gut wie in Taiwan, wenn nicht sogar noch besser. Das ist für mich ein Riesenlob.
 
Wieso ist Street Food in den vergangenen Jahren in Deutschland so populär geworden?
 
Ich glaube, die Deutschen werden einfach immer offener für Esstraditionen aus der ganzen Welt. Das gilt besonders für Berlin. Und natürlich hat das mit der Globalisierung und der Mobilität der Menschen zu tun. Die meisten Leute, die ich in der Street-Food-Szene kennengelernt habe, sind entweder selbst Ausländer oder haben lange im Ausland gelebt.
 
Es wird manchmal kritisiert, dass der Street-Food-Trend Ausdruck eines urbanen Konsumismus sei. Es gehe nicht darum, etwas über Gerichte, deren Herstellung und Herkunft zu erfahren, sondern nur um schnellen und oberflächlichen Konsum. Ist da was dran?
 
Ich finde es total positiv, wenn man in Berlin plötzlich Dinge essen kann, die hier vorher nicht zu finden waren. Aber sicher gibt es auch einige schwarze Schafe, die sich denken: Hey, wir springen auf den Zug auf, verkaufen irgendeinen Schrott und nennen ihn Street Food. Street-Food-Märkte haben ja oft Event-Charakter. Da kann es schon passieren, dass die Qualität auf der Strecke bleibt. Nicht umsonst machen sich jetzt so viele Leute über das Trend-Gericht Pulled Pork lustig. Es gibt einfach zu viele Anbieter, die richtig mieses Pulled Pork verkaufen.
 
Japanische Küche gehört in Deutschland zur gehobenen Gastronomie. Im Vergleich dazu hat die chinesische Küche ein schlechtes Image. Man denkt da eher an den Imbiss am Eck, der Schwein süß-sauer und Ente kross verkauft. Dabei ist die chinesische Küche eine der anspruchsvollsten und vielfältigsten der Welt. Wieso ist das so?
 
Ja, das ist wirklich schade. Was zum Beispiel Dim Sum angeht, also gefüllte Teigtaschen, hat Berlin auf andere europäische Großstädte wie London und Paris einen Rückstand, der nicht aufzuholen ist. Bei dem eingedeutschten Zeug, das bei uns angeboten wird, kommen mir manchmal die Tränen. Vielleicht ist der Vergleich aber auch nicht fair. In London und Paris leben viel mehr Chinesen. Das hebt die Qualität des Essens.
 
Kein Licht am Ende des Tunnels?
 
Doch, gibt es schon. In den letzten Jahren hat sich viel getan, besonders in Berlin. In ein paar Jahren wird sich die Berliner Restaurant-Landschaft von Grund auf verändert haben, es wird viel mehr gute chinesische Restaurants geben. Aber der Rückstand auf London und Paris wird bleiben.
 
Zurück zu Grundsätzlichem. Hat die deutsche Küche eine Seele?
 
Generell würde ich sagen, dass die deutsche Küche ehrlich, bodenständig und vernünftig ist. Wie die Deutschen halt. Essen wurde in Deutschland früher wahrscheinlich eher selten mit Genuss verbunden; das war nie ein so großes Thema wie in der französischen oder italienischen Küche. Man hat gegessen, um satt zu werden. Das heißt natürlich nicht, dass die deutsche Küche schlecht ist. Aber die Vielfalt ist nicht so groß. Kartoffeln spielen eine wichtige Rolle, Fleisch und Kohl. Unterm Strich: Schwere Kost, nicht so gehoben, aber durchaus lecker. Ich glaube auch, dass deutsche Küche gut für die Seele ist. In Süddeutschland hat man zu Spätzle bestimmt ein grundromantisches Verhältnis.
 
Spätzle als Comfort Food?
 
Na klar gibt es Gerichte, die man als deutsches Comfort Food bezeichnen kann. In Berlin vielleicht das Eisbein oder die Currywurst. Oder überregional die Weihnachtsgans. 
 
„Xiaochi“, also Snacks, sind für Sie die Verkörperung der taiwanischen Küche. Was ist der Inbegriff deutscher Küche? 
 
Vielleicht das Abendbrot. Das empfinde ich als sehr deutsch. Ich höre auch immer wieder, wie überrascht Leute aus dem Ausland sind, wenn sie erfahren, dass man in Deutschland abends traditionell kalt isst. Aber in Deutschland ist das total geläufig, egal ob im Norden oder im Süden: Jeder Deutsche kennt das kalte Abendbrot mit der Essiggurke.

Tomas Klemann mit Mitarbeitern Tomas Klemann © Goethe-Institut Taipei Sie sagen, das Geschäft laufe super. Trotzdem verlassen Sie Berlin und ziehen nach Buenos Aires, in die Hauptstadt Argentiniens. Warum?

Ich wurde in Buenos Aires geboren. Meine Familie lebt dort. Mein deutscher Vater und meine taiwanische Mutter haben sich in Berlin kennengelernt. Aber wegen der Arbeit meines Vaters sind wir oft umgezogen. Ich habe in neun Ländern gelebt und Lust, wieder bei meiner Familie zu sein. Ich plane, in Buenos Aires ein „Bao“-Restaurant zu eröffnen. In gewisser Weise will ich also fortführen, was ich in Berlin begonnen habe. Aber wer weiß, vielleicht komme ich in ein paar Jahren wieder nach Berlin.