Amazon Fresh – das klingt nach Frische. Doch die lassen die Kunden beim Kauf von Lebensmitteln eher links liegen. Eine aktuelle Studie weiß, was stattdessen im Warenkorb landet.

Frederic Knaudt ist ein junger Mann, aber schon ein alter Hase in der Start-up-Szene. Im Jahr 2012 hatte er Kochzauber aus der Taufe gehoben, das später an Lidl verkauft wurde. Mittlerweile schiebt er ein Projekt an, das um einiges mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht – und möglicherweise den deutschen Onlinehandel mit Lebensmittel erhebliche Impulse verleiht.

Die Rede ist von Picnic, dem, wenn man so will, deutschen Ableger des niederländischen Bringdienstes, der seit vergangenen Mittwoch offiziell die Kunden beliefert. Und nachdem Knaudt auf einer Bühne des Picnic-Hubs in Neuss kraftvoll die Stärke seines Unternehmens besang, da gab es für diesen Auftritt Lob von allerhöchster Stelle: seinen Eltern. Da waren zwei ältere Herrschaften mächtig stolz auf ihren Sohn.

Lebensmittel Bringdienste überwiegend regional im Testlauf

An Selbstbewusstsein mangelt es Knaudt keineswegs, um einen Markt anzugreifen, der von allen anderen Segmenten online die lächerlichste Bedeutung hat: Der deutsche Lebensmittelhandel setzt etwa 200 Milliarden Euro um – irgendwo zwischen 1 und 2 Prozent davon werden via Internet verkauft. 

Die Bringdienste von Rewe und Bringmeister haben bisher nicht viele Verbraucher überzeugt, und auch das Erdbeben durch den Markteintritt von Amazon fresh im vorigen Jahr bliebt aus. Nun also Picnic, aber erst einmal regional, nur in Nordrhein-Westfalen.

Das macht die Konkurrenz aber auch so: Amazon liefert Lebensmittel vorerst nur in Berlin, Potsdam und Hamburg aus, Bringmeister in Berlin und München. Nur Rewe ist deutlich überregionaler unterwegs. Was auch bei Knaudt herauszuhören ist – Angst vor Amazon gibt es nicht. Dabei ist der Versandriese immer die Eiger Nordwand im Internetgeschäft, merkwürdigerweise gilt das nicht für E-Food. 

Süßwaren statt Lebensmittel

Die Marktforschungsagentur Mafowerk (Nürnberg) hat einmal untersucht, was die Kunden von Amazon fresh überhaupt kaufen, 2.000 Konsumenten wurden dafür befragt. Das Ergebnis ist vielsagend, denn über die Hälfte kauft Süßwaren. Es folgen Kaffee, Erfrischungsgetränke und Nudeln (siehe Grafik). Es geht also um länger haltbare Lebensmittel. 
Nachfrage nach Frischeprodukte hält sich in Grenzen.
© Mafowerk
Nachfrage nach Frischeprodukte hält sich in Grenzen.
Bei Frischeprodukten  sind die Kunden deutlich reservierter, Fleisch und Wurst werden zurückhaltend online bestellt. Und gar nur 15 Prozent der von Mafowerk Befragten ordert Fisch bei Amazon fresh. Daraus lässt sich schließen, dass der Onlinekunde bisher nur Waren ohne Risiko kauft. Fisch hingegen ist ein problematisches Lebensmittel, Ekelfaktor inkludiert. Hier will man offenbar immer noch gerne vorher dem toten Tier in die Augen sehen, ob es auch frisch angeboten wird.

Von vielen Befragten werde daher nicht zuletzt auch die grundsätzliche Kompetenz von Amazon angezweifelt, was die Themen "Lebensmittel" und "Frische" angeht, hat Mafowerk festgestellt. Das sind aber nicht allein die Gründe für die Reserviertheit gegenüber Amazon fresh: "Als Haupt-Barrieren für eine Teilnahme werden neben grundsätzlichen Bedenken gegenüber einem nicht-haptischen Kauf von Lebensmitteln sehr stark auch monetäre Gründe vorgebracht.
Schließlich müssen Amazon-Nutzer sogar zwei kostenpflichtige Teilnahmegebühren-Hürden erklimmen, um den Service Amazon fresh nutzen zu können, was ganz klar als ein wesentlicher Nachteil gesehen wird", schreibt Mafowerk.

Amazon widerspricht gegenüber etailment dem Ergebnis: "Die meisten Einkäufe unserer Kunde enthalten frische Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Molkereiprodukte. Zu den am häufigsten gekauften Artikeln gehören Bio-Salatgurken, Bananen, Joghurtprodukte und Fruchtsäfte. Absoluter Bestseller sind Bio-Eier."

Kostenloser Lieferservice

Picnic wiederum greift genau bei den Kosten an: Denn was der Kunde mit diesen lustigen Autos, die an Playmobil-Spielzeug erinnern, geliefert bekommt, ist für ihn gebührenfrei. Schön für ihn, doch wie man damit als Unternehmen Geld verdienen will, wird interessant zu beobachten. Aber im Prinzip ist über kostenloses Liefer- und Retourensystem ja auch groß geworden und verdient heute Geld.

Vielleicht ist das Timing von Picnic entscheidend. Die Konkurrenz hat das Thema in Deutschland aufbereitet, sich hier und dort blutige Nasen geholt - da kann man als neuer Marktteilnehmer das richtig machen, was die anderen falsch gemacht haben.

Männlich, gut verdienend, convenience-orientiert

Bei den Verbrauchern ist mittlerweile eine neue Akzeptanz für E-Food festzustellen - zumindest für die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC. "Online-Lebensmittelhandel vor dem Durchbruch in Deutschland", heißt das Fazit einer Studie unter 1.000 Verbrauchern, wonach 40 Prozent von planen in diesem Jahr online sich ihren Vorratsspeicher zu füllen. Und 15 Prozent von ihnen sind bereits Besteller von Lebensmitteln.

Die Kernkäufergruppe ist demnach männlich, berufstätig und mit überdurchschnittlich hohem Gehalt. Das lässt auf Vielarbeiter schließen, die nach einem 12-Stunden-Tag in Büro und im Autobahnstau keine Lust mehr haben, sich im Supermarkt etwas zu Essen zu kaufen. Oder ihre Wochenenden damit zu verplempern, hinter Großfamilien an den Kassenschlangen bei Rewe oder Edeka herumzustehen.
Was die PwC-Studie jedoch auch zeigt: Frischeprodukte und online - das passt noch nicht zusammen. "Stationäre Händler genießen hier einen Vertrauensvorsprung", heißt es. Für online entscheiden sich die Kunden wenn sie Preis, Sortiment und Liefergeschwindigkeit überzeugen.

Dieser Dreiklang ist zwar weniger überraschend, aber das letzte Thema bietet immer noch Gestaltungsspielraum. Picnic versichert ein Lieferzeitfenster von 20 Minuten, die Kunden können den Weg das Boten (der hier Runner heißt) per App nachverfolgen. Das ist vergleichbar mit der App MyTaxi, wo man auch sieht, wo der bestellte Droschken-Fahrer gerade ist. Aber auch beim Einkauf selbst verspricht Picnic einfache Handhabung: Ein Warenkorb mit 30 Produkten soll in nicht mehr als 3 Minuten gefüllt werden können. Wie gut das alles klappt, will man in dem sechsmonatigen Testlauf in NRW herausgefunden haben. Jetzt wird es ernst. Und die Eltern von Frederic Knaudt drücken ihrem Sohn alle verfügbaren Daumen.

Hinweis: Der Beitrag wurde um die Stellungnahme von Amazon ergänzt.

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