Das Dilemma mit den Buzzwords oder wozu braucht jeder Trend einen eigenen Namen?

Das Dilemma mit den Buzzwords oder wozu braucht jeder Trend einen eigenen Namen?

Die letzten Jahre sind so viele Buzzwords durch die Landschaft gescheucht worden, dass man schnell den Überblick verlieren mag. Digitalisierung, New Work, Arbeiten 4.0, VUCA, Servant Leadership, Holoacracy, Lean Startup, Agile, Scrum, nur um ein paar zu nennen – die Liste ist endlos lang.

Das mag auf der einen Seite nerven. Denn häufig mag es tatsächlich nur alter Wein in neuen Schläuchen sein. Dennoch: Habt ihr euch schon einmal überlegt, wie es ohne all die Bezeichnungen wäre?

Eine Welt ohne Schubladen und Boxen wäre nichts für den Menschen

Lasst uns das ein wenig grösser denken. Was wäre, wenn wir nicht in Schubladen oder Boxen denken würden? Was würde passieren, wenn wir uns jedes Mal darüber verständigen müssten, was links und rechts bedeutet, wann ein Möbelstück ein Stuhl ist, was morgens und abends ist? Vermutlich wären die ersten Minuten nach dem Aufwachen bereits eine solche Überforderung für uns, dass wir direkt erschöpft liegen bleiben würden.

Die Bedeutung von Wörter hilft uns also schon einmal selbst, eine Sache in eine Schublade in unserem Gehirn zu packen. Man kann auch sagen, dass unser Gehirn nach dem Prinzip der Mustererkennung arbeitet. Das ist sehr praktisch und extrem energiesparend, also eine perfekte Sache. Dies hat z.B. Kahnemann in seinem Buch „Schnelles Denken, Langsames Denken“ nicht ganz trival aber inhaltlich sehr treffend beschrieben.

Schnelles Denken, Langsames Denken

Kurz zusammengefasst unterteilt Kahnemann unser Verarbeitungssystem in zwei Denk-Modis, die er System 1 und System 2 nennt. System 1 beschreibt er als das Schnelle Denken, das vor allem auf Wiedererkennung von Mustern setzt. Dabei fliessen eigene Erfahrungen, Prägungen, Erlebnisse usw. mit ein. System 2 ist das langsame, bewusste Denken. Dieser Modus ist sehr anstrengend, benötigt sehr viel Energie und ist schnell ermüdend. Forscher haben errechnet, dass ein Mensch über 10.000 Entscheidungen pro Tag trifft. Ihr könnt euch vorstellen, dass dies nur mit einem hohen Effizienzgrad möglich ist.

Und genau aus diesem Grund tun wir uns auch schwer mit Sachen, die wir nicht schnell einem Begriff zuordnen können.

Buzzword = Schublade = Muster

Der Wiedererkennungswert von Buzzwords ist unterschiedlich hoch. Zur Vereinfachung unterteile ich diese in die nachfolgenden drei Kategorien: 

1) Eng gefasste Begriffe

Die Bedeutung von Scrum, Soziokratie, Holokratie, Design Thinking, Holokratie kann relativ schnell gegriffen werden, da sich dahinter auch Methoden und Werkzeuge verbergen. Dies birgt aber auch das Risiko, dass der Begriff auf die sichtbaren Teile reduziert wird und so lediglich eine Methode am Ende bleibt. Dies erlebe ich sehr häufig, denn noch immer werden diese Themen „ausgerollt“ und somit sehr technisch betrachtet.

2) Weit gefasste BegriffeDie Bedeutung von Augenhöhe, Agilität, Servant Leadership, Wertschätzung, lernende Organisation ist eben schon nicht mehr klar. Dies liegt u.a. auch daran, dass es keine Strukturelemente gibt, die von allen schnell sichtbar sind.

So kann man 5 Menschen fragen, was Agilität oder Augenhöhe bedeutet und erhält 10 verschiedene Meinungen.

3) Kein klar definierter Begriff

Dies sind die wirklichen Herausforderungen. Diese kann man nur über einen beschreibenden Text erklären, um den entsprechenden Kontext zu geben.

Semco-Chef Ricardo Semler hat angeblich all seine Bücher verbrennen wollen, weil die Menschen Semco zwar spannend finden, sich aber dennoch in der Welt nichts verändert. Denn die Unterschiedene werden nicht durch die eingesetzten Tools, Praktiken und Strukturen ausgelöst, sondern aus dem, was man am ehesten als Haltung oder auch Mindset bezeichnen kann.

Eine Methode, zwei Unternehmen – ein Unterschied wie Tag und Nacht

Ein anderes Beispiel, das mir sehr eindrücklich hängen geblieben ist, bezieht sich auf die Anwendung von Lean-Prinzipien in der Fertigung.

Vor zwei Jahren habe ich das Maserati-Werk in Modena besichtig. Dort wird nach dem Lean-Prinzip gearbeitet, Verbesserungen sollten kontinuierlich in den Fertigungsprozess einfliessen. Und irgendwie wirkte die Fertigungshalle recht tot, energielos, seelenlos. Dies kann auch einfach dem Tag geschuldet sein, als ich dort war.

Wenige Wochen darauf habe ich Allsafe Jungfalk (Bodenseeregion in Deutschland) besucht, die einige Lean-Elemente in ihrer Fertigung haben. Und der Unterschied hätte nicht krasser sein können. Das Unternehmen pulsiert, dort ist Energie und Lebendigkeit zu spüren. Was macht Allsafe nun anders? Die Unterschiede könnte ich jetzt beginnen aufzuzählen und würde dann z.B. die folgenden Punkte nennen:

• Ermächtigung von Menschen, Entscheidungen zu treffen; geht eine Maschine defekt, habe ich die Kompetenz aber auch Verantwortung dafür zu sorgen, dass diese wieder funktioniert. Brauche ich Ersatzteile oder eine neue Maschine kann ich mich intern kurz abstimmen, treffe aber letztlich auch die direkt die Entscheidung. Keine langwierigen Controlling-Prozess etc.

• Volle Transparenz sorgt dafür, dass die Menschen wissen, wie es um die Firma steht. Und nicht nur die Mitarbeitenden, sondern alle, denn so hängen die wichtigsten KPIs direkt für jeden sichtbar am Eingang.

• Agile Organisation, statt starre Hierarchien; Kommunikation entsteht dort, wo sie notwendig ist. Das Handeln ist auf den Kunden ausgerichtet und so schlüpfen die Mitarbeitenden je nach Kontext in unterschiedliche Rollen, was ebenso für Detlef Lohmann, den geschäftsführenden Gesellschafter gilt.

Allsafe Jungfalk ist hochprofitabel – das Geheimnis kann man aber nicht schnell mit einem Begriff beschreiben. Und dies macht es so schwer für uns Menschen, schnell greifen zu können, was dort wirklich anders ist. Man muss sich bewusst damit beschäftigen.

Alternative zu klassischen Buzzwords?

Und das führt uns schnell zum eigentlichen Dilemma. Best Practise funktioniert nicht mehr, Methoden einfach nur zu implementieren auch nicht. Aber gleich wohl suchen Menschen nach schneller Klarheit, was sich nun hinter den neuen Trends verbirgt.

Wenn Methoden, Strukturen und Prozesse nicht mehr das ist, was wirklich gebraucht wird, reichen einfache Begriffe nicht mehr aus. Nach meiner Erfahrung kann man sich heute am ehesten über Ideen und Überzeugungen verständigen.

Denn auch wir standen (und stehen) vor dieser Herausforderung. Wie einem Menschen mit einfachen Worten schnell verständlich machen, was wir tun? Wir haben es lange versucht und irgendwann gemerkt, dass dies so nicht klappt. Heute wissen wir, dass es auch gar nicht nötig ist. Methoden, Konzepte, Strukturen lassen sich einfach greifen. Sind aber nur noch ein Bestandteil von dem, was es für künftige Entwicklungen braucht.

Statt Methoden in den Vordergrund stellen, Menschen für Ideen begeistern 

Vor Jahren bin ich über Simon Sinek’s „Start with Why“ gestolpert. Damals hat es mich kein Stück angesprochen, denn es war für mich viel zu trivial. Im letzten Jahr haben wir dies aber nochmal auf me&me angewandt und siehe da, es ist für uns immer klarer geworden. Betrachtet man Simon’s Kreis, haben wir uns von aussen nach innen vorgearbeitet:

  • What: Am Anfang haben wir beschrieben, was genau wir tun (Entwicklungsprogramm mit mehreren Workshops, Einzelcoachings)
  • How: Dann haben wir es später mit dem beschrieben, was uns besonders macht (Selbstbefähigung, ICH-DU-WIR Entwicklung, Entwicklung von Basisfähigkeiten für Selbstorganisation)
  • Why? Und sind heute beim eigentlichen Grund für die Existenz von me&me angelangt.„Die Zeit ist reif für einen Paradigmenwechsel in der Wirtschaft“

Wer sich davon angesprochen fühlt, wird sich näher mit uns beschäftigen. Wer nicht, zieht weiter. 

Fazit

Bewusstheit für die Wirkung von Sprache ist wichtig. Und auch Buzzwords, die vermeintlich klar sind, können sehr unterschiedlich verstanden werden. Gleichwohl können solche Wörter auch verbindend zwischen Menschen wirken. Während eng gefasste Begriffe schnell auf sichtbare Elemente reduziert werden, sind weit gefasste Begriffe häufig ein Gefäss für Ideen, die von Menschen geteilt werden. Will ich Menschen erreichen, die ähnliche Ideen wie ich teile, erreiche ich diese über meine Überzeugungen. 

Insofern sind Buzzwords gar nicht das eigentliche Thema, denn diese sind hilfreich. Was nerven kann, ist die Intention dahinter (man kann es auch Paradigma nennen). Mehr Aufmerksamkeit, mehr Verkaufen, mehr, mehr, mehr. Das nehme ich zu einem späteren Zeitpunkt auf. 

Herzliche Grüsse

Ralf

Dieter Langjahr

cert. SCRUM Master CSM/CSP, PO, Agile PM Coach, Oracle principal Consultant DWH/BI, data science, IOT

6y

..."wir sind agile, wir machen Scrum" ..., aber es darf nicht ausgesprochen werden - lautet es immer wieder in den Konzernen beim onboarding - was soll das! Wo ist hier der Wille, die Vision zum Kulturwandel... Alle Beteiligten müssen hier auch die Rahmenbedingungen ermöglichen/bekommen, um sich im jeweiligen Kontext auszutauschen und zu verstehen. Tipp hierzu: "Spiral Dynamics" (noch ein Buzzword (;:-)

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Julian Deb

Recruiting im IT Bereich für Contracting, Freelancer und Festanstellung | LegalTech Berater | Legal- & Anwaltssoftware | Kanzleisoftware | DMS | CRM | Juristische Rechnungsstellung | Verwaltung von Termine und Fristen

6y

Ich hätte keinen Titel mehr. Keinen Pitch. :)

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