Moonshots – Woran Google alles arbeitet

Moonshots – Woran Google alles arbeitet

Zwischen den Feiertagen bin ich endlich dazu gekommen, das Buch von Spiegel-Autor Thomas Schulz zu lesen: „Was Google wirklich will“. Seine Einblicke in den kalifornischen Internetriesen haben mich schon länger interessiert. Jetzt gibt’s natürlich 1.000 Aspekte, über die man nach der Lektüre dieses Buches schreiben könnte. Über den gigantischen Börsenwert des Konzerns. Über den Anspruch von Google, die Welt zu verbessern. Über das, was Larry Page von der traditionellen Konzernwelt hält. Und so weiter und so fort.

Mich hat aber am meisten interessiert, welche Innovationen Google abseits des daily business vorantreibt – und welche sie davon auch preisgeben. Inzwischen sind viele der Themen bekannt. Bei den Silicon-Valley-Reisenden sowieso. Dennoch geben die Google-Projekte einen guten Eindruck, wo wir in Sachen Digitalisierung stehen und was uns noch alles erwartet. Wie immer geht es mir nicht um eine vollständige Abhandlung, sondern um das, was bei mir hängen geblieben ist.

Google als Cashcow, X als Innovationsfabrik

Einen großen Teil von Google kennt jeder. Und zwar den, der sich ums Kerngeschäft kümmert: die Suchmaschine, das Smartphone-Betriebssystem Android, die Videoplattform YouTube, der Kartendienst Google Maps, der E-Mail-Dienst Gmail und der Webbrowser Chrome. Das ist quasi die Cashcow des Konzerns. Allein die hat im dritten Quartal letzten Jahres 8,8 Milliarden Dollar Gewinn abgeworfen.

Und dann gibt es noch den unbekannten Teil, die Tochter „X“. Das ist so etwas wie die Innovationsfabrik des Konzerns. Deren Auftrag ist so simpel wie schwierig: Sie soll „Moonshots“ entwickeln, sprich Ideen, die die Menschheit voranbringen – und am Ende des Tages Google neues Geld in die Kasse spülen. Und neue Produkte und Dienste von Google sollen nicht einfach nur 10% besser sein. Sie sollen gleich 10x besser sein. Das wird Larry Page und damit auch der Autor nicht müde, zu betonen. Es geht also um große Sprünge statt kleiner Schritte. Und das Ganze in einem überschaubaren Zeitrahmen von 5-10 Jahren.

Die besten Köpfe aus verschiedenen Disziplinen

Dank der Milliarden, die die Suchmaschine abwirft, hat X sehr gute Voraussetzungen für solche ehrgeizigen Moonshot-Missionen: Die besten Köpfe aus der ganzen Welt. Mitarbeiter, die intellektuell flexibel sind und gleichzeitig tiefes Fachwissen haben (Stichwort „T-shaped“). Übrigens: Viele Deutsche, gern Ingenieure, sind mit von der Partie. Es gibt kleine Kernteams, die jederzeit von internen Experten unterstützt werden können (5 Leute mit den Möglichkeiten von 50). „In unseren Teams bei X arbeiten Ingenieure und Wissenschaftler eng zusammen mit Produktmanagern, Designern und Marketingspezialisten. Sie haben alle unterschiedliche Werdegänge“, hat die deutsche X-Managerin Obi Felten erst kürzlich in der WiWo gesagt.

Die Teams werden drauf getrimmt, zuerst die größten Risiken anzugehen. Und Projekte, die aussichtslos sind, werden auch zügig beerdigt – wie der JetPack oder der klimaneutrale Kraftstoff aus Meerwasser. Dafür gibt es „Kill Signals“, die vorher festgelegt werden. Getreu dem Motto: Lieber ein Ende mit Schrecken als Schrecken ohne Ende. Scheitern gehört zur Arbeit der X-ler unweigerlich dazu. Damit die sich aber nicht hoffnungslos verzetteln, gibt’s für jede neue Idee drei Kriterien: Erstens: Das Problem muss von globaler Bedeutung sein. Zweitens: Es muss eine radikal neue technische Lösung dafür geben. Und drittens: Die Idee muss sich auch zeitlich und finanziell realisieren lassen. Nur dann geht’s für die Idee weiter.

„Null-Millionen-Dollar-Probleme“ besonders beliebt

Astro Teller, der „Captain of Moonshots“ (so sein echter Titel), sagt, bei X gebe es hunderte Ideen für wenige Stunden, Dutzende für einige Wochen und nur eine Handvoll mit denen sich die Teams dann langfristig beschäftigen. Am liebsten sind dem X-Team „Null-Millionen-Dollar-Probleme“. Das sind Probleme von globaler Bedeutung, an denen noch niemand forscht. Davon gibt es aber nicht allzu viele. Auch Amazon, Facebook, Apple, Uber und etliche Start-ups haben sich Themen vorgeknüpft, an denen Google X arbeitet. Also müssen Page, Teller & Co. versuchen, sich ein möglichst großes Stück vom Kuchen zu sichern. Machen wir uns nichts vor – und das wird im Buch auch deutlich – der Konkurrenzkampf zwischen den großen Playern im Valley ist enorm.

Hier nun einige Projekte, an denen in der Moonshot-Fabrik von Google gearbeitet wird bzw. wurde. Sie zeigen viel von der Denke der Googler. Nicht den konventionellen Weg gehen, sondern Lösungen für große Probleme immer wieder neu erfinden.

1.     Projekt „Loon“: Hierbei geht es um gasgefüllte Ballone, die in die Stratosphäre aufsteigen und Wifi-Signale von Mobilfunkmasten zurück auf die Erde senden. So will Google bis zu einer Milliarde Menschen selbst in den entlegensten Ecken der Welt schnelles Internet bringen. Die Ballone sind wesentlich günstiger als Satelliten. Kunden und Unternehmen profitieren gleichermaßen: Zugang zu Wissen und Bildung auf der einen Seite, potenzielle Milliarden-Einnahmen auf der anderen. Bei der Flutkatastrophe in Peru im letzten Frühjahr hat Loon schon sein Potenzial gezeigt: Auf einer Fläche von 40.000 Quadratkilometern (so groß wie die Schweiz) wurden zehntausende Flutopfer mit Internet versorgt. Die Datenmenge reichte für den Versand von 30 Millionen WhatsApp-Nachrichten oder 2 Millionen E-Mails.

2.     Projekt „Wing“: Das Ziel: ein Liefersystem aus der Luft. Und zwar massentauglich. Spezielle Drohnen sollen künftig Lebensmittel, Medikamente oder Dokumente in kürzester Zeit an jeden Ort der Erde bringen. Aus 50 Metern Höhe lassen die Drohnen ihre Paketboxen dann vorsichtig ab. Ein solches System wäre nützlich in Entwicklungsländern mit schlecht ausgebauten Straßen, auf Inseln, in Bergen oder aber auch in verstopften Großstädten. Mit „Wing“ soll der Warentransport revolutioniert und das Wirtschaftswachstum angekurbelt werden.

3.     Projekt „Makani“: Dahinter stecken fliegende Windturbinen zur Stromgewinnung. Auf bis zu 26 Meter langen Drachen sind mehrere Propeller angebracht. Ein Generator wandelt die Propeller-Bewegungen in Strom um und leitet ihn zu einer Bodenstation. Die Idee dahinter: Je höher, desto mehr Wind. Und eine doppelt so hohe Windgeschwindigkeit bringt achtmal so viel Windkraft. Bis zu 600 Kilowatt kann daher ein einzelner Drache erzeugen, genug für die Stromversorgung von 300 Häusern.

4.     „Verily“-Projekte: Auch an medizinischen Lösungen wurde im X-Labor bereits geforscht, inzwischen wurden sie an eine eigene Einheit abgegeben. Zu diesen Moonshots gehören Kontaktlinsen, die mit Chips, Sensoren und Antennen ausgestattet, den Blutzucker in der Augenflüssigkeit messen. Diabetiker müssen sich somit nicht mehr in den Finger stechen. Oder Nanopartikel, die in der Blutbahn kreisen und permanent den Gesundheitszustand des Menschen überwachen. Diese programmierbaren Teilchen sind kleiner als eine Blutzelle oder ein Virus und können sich mit der DNA „unterhalten“. Über die gesammelten Daten sollen sich Krankheiten viel früher als bisher erkennen lassen.

5.     „Waymo“-Projekt: Das selbstfahrende Auto war eines der ersten X-Projekte – verantwortet von dem Deutschen Sebastian Thrun, der auch das Innovationslabor selbst aufgebaut hat. Wie bei vielen Moonshot-Projekten hielten zunächst selbst Experten das autonome Fahren für unmöglich. Im Herbst 2015, nur sechs Jahre nach dem Start des Projekts, absolvierte das Team „die weltweit erste vollständig selbstfahrende Fahrt auf öffentlichen Straßen in einem Auto ohne Lenkrad, Pedale oder Testfahrer“. Inzwischen ist die Technologie schon so weit, dass daraus mit Waymo, ein eigenes Unternehmen unter dem Dach von Alphabet geschaffen wurde. Die Vision von Google: selbstfahrende Robo-Taxis, die den Menschen Zeit zurückgeben, die Verkehrssicherheit erhöhen und die Umwelt schonen.

6.     Projekt „Google Brain“: Bei „Google Brain“ wird an künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen geforscht. Die Erkenntnisse aus dem Projekt sollen etwa Computer befähigen, den Inhalt von Fotos, Texten und Audiodateien zu verstehen. Dafür dient die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns als Vorbild, Stichwort „Deep Learning“. Das X-Projekt ist mittlerweile Teil von Google selbst. Und die Technologie steckt bereits in vielen Produkten: Zum Beispiel im smarten Lautsprecher Google Home oder in der Spracherkennung von Android. Künftig sind viele weitere Anwendungen denkbar, etwa die selbständige Erkennung und Übersetzung von fremdsprachigen Schriftzüge auf Fotos.

7.     Roboter-Projekte: Auch am Thema „Robotik” arbeiten in der Moonshot-Factory hunderte Mitarbeiter mit Hochdruck. Es geht um Industrieroboter, Logistikroboter, Flugroboter. Sie sollen leicht zu bedienen sein, selbstständig lernen, mit ihrer Umgebung interagieren und selbst komplexere Aufgaben erledigen können. Eine Disziplin ist die Cloud-Robotik: Über die Datenwolke haben die autonomen Maschinen Zugriff auf riesige Datenmengen und Rechenleistung. So können 10.000 Roboter in einer Stunde lernen, wofür einer allein 10.000 Stunden brauchen würde. Page sagt dazu: „Ich sehe das als einen Bereich mit vielen Möglichkeiten, um generell die Welt effizienter, produktiver und kostengünstiger zu machen.“ Man darf gespannt sein, was Google daraus in den nächsten Jahren macht.

8.     Projekt Quantencomputer: Letztes Beispiel für die großen Wetten, die Google laufen hat, sind die Aktivitäten rund um Quantencomputer. Diese versprechen eine Rechenleistung, die um ein Vielfaches höher ist als die von herkömmlichen Computern. Mit ihrer Hilfe will Google große Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz erzielen und grundsätzliche Herausforderungen der Informatik lösen. Dafür hat sich der Konzern mit der NASA zusammengetan. Die Weltraumbehörde will mit den Rechnern neue Planeten entdecken, Google will damit besser vorhersagen, wie sich Krankheiten oder das Klima entwickeln wird.

„Für uns kann es nur eine Devise geben: Wach bleiben, aktiv sein und selbst kreativ gestalten.“

Ich denke, diese Projekte sind nur die Spitze des Eisbergs. Google arbeitet still und leise sicher an vielen weiteren Themen. Es bleibt also spannend, was da noch alles auf uns zukommt. Für uns kann es nur eine Devise geben: Wach bleiben, aktiv sein und selbst kreativ gestalten. Leichter gesagt als getan. Aber die jüngsten Aktivitäten von Kodak, der Versuch, sich neu zu erfinden, sind ein interessantes Beispiel für diese Haltung.

Mehr zu Innovationen, Disruption, Querdenken, KI, Robotik und Smart Solutions finden Sie in meinen vorherigen Beiträgen.

Treb Rel

Lieber arm dran als Bein ab

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Zukunftsvisionen, die an Science-Fiction erinnern. So wie vieles, dass noch vor Jahren unglaublich schien und inzwischen längst Realität geworden ist und in unser alltägliches Leben einzug gehalten hat.

Roland Mitze

Logistic Consultant @EPG

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Wach bleiben und auch vorsichtig bleiben. So shön und hilfreich einige Entwicklungen sind, so risikoreich können Sie werden, wenn wir unser selbst und unser denken völlig anderen überlassen. Google u.a. versuchen schon heute unser Verhalten zu steuern.

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Stefan Hessler

VP Continual Improvement Process (CIP) -Interim bei Deutsche Telekom Service GmbH

6y

Danke fürs teilen, hatte noch keine Gelegenheit ins Buch zu sehen, scheint sich zu lohnen...

Wach bleiben, aktiv sein und selbst kreativ gestalten+ networking als Booster

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