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Unterschätzte Pflege: Der Arzt allein macht im Krankenhaus keinen Patienten gesund
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Pfleger im Krankenhaus
dpa/Gregor Fischer Pfleger im Krankenhaus.
  • FOCUS-online-Experte

Pflegende sorgen für die Sicherheit von Patienten. Doch aufgrund unsäglicher Arbeitsbedingungen verlassen viele Pflegende ihren Beruf. Zukünftig werden Stationen und ganze Klinikbereiche mangels ausreichender Besetzung mit Pflegefachpersonen geschlossen.

Leider haben Öffentlichkeit und Politik von der Pflege immer noch zu wenig Ahnung. Ja, selbst Klinikgeschäftsführer strichen in den letzten Jahren - mit dem Segen der Krankenkassen – vorsätzlich zehntausende Stellen von examinierten Gesundheits- und Krankenpflegern (inkl. Kinder- und Altenpflege). Denn die oberste Prämisse lautete: Einsparung von Personalkosten. Die Pflege sollte in das Schema rationalisierter industrieller Produktion gepresst werden. Aber warum leisten sich Fluggesellschaften Co-Piloten? Durch einen Verzicht auf sie könnten mit einem Schlag Millionen Euro eingespart werden! Im Cockpit geht es um Sicherheit. Und in deutschen Kliniken?

Nahezu die Hälfte aller Mitarbeitenden im Gesundheitswesen sind Pflegende. Gesundheits- und Krankenpflegerinnen liegen zwar bei Umfragen im Topranking als „von der Bevölkerung hoch geschätzte Berufsgruppe“, werden aber zugleich bemitleidet. Es herrscht ein Bild vor, nach dem Pflege sich ausschließlich mit Stuhlgang, Urin, Körperpflege, Verbänden und Arztassistenz beschäftigt. Ihre Fachlichkeit wird unterschätzt, sie sind unterbezahlt und werden bei gesundheitspolitischen Diskussionen kaum eingeladen. Auf den Punkt bringt es die Redensart: „Wenn du keinen Platz am Tisch hast, stehst du wahrscheinlich auf der Speisekarte.“

Zur Person

Dr. rer. medic. German Quernheim aus Montabaur ist Krankenpfleger, Dipl. Pflegepädagoge und Pflegewissenschaftler. Als Fachbuchautor, Dozent und Coach arbeitet er an vielen Kliniken und Bildungseinrichtungen. Von ihm ist erschienen „Warten, aber richtig“ (Hogrefe-Verlag).

Das Pflegepersonal hat eine große Verantwortung

Erst wenn der Bürger selbst in der Klinik stationär behandelt wird und feststellt, dass ein Arzt etwa für zwei Minuten zur Visite kommt, erkennt er, dass es die Pflegenden sind, die 23 Stunden und 58 Minuten täglich die Verantwortung für sein Wohlergehen haben. Patienten wundern sich anfangs, dass Pflegepersonen eigenständig Beatmungsmaschinen bedienen, kompetent Wunden reinigen und hochkomplexe Interventionen gestalten. Dass Pflegende es sind, die auch ihre Angehörigen beraten und dabei oftmals existenzielle Empfehlungen geben. Pro 10 Prozent mehr Pflegepersonen mit Bachelor-Abschluss in einem Stationsteam sinkt die Mortalität um 11 Prozent. Pflegende sind beispielsweise in der Notaufnahme die einzigen, die interdisziplinär arbeiten, also den Patienten dort im Gegensatz zu den Fachärzten, ganzheitlich sehen. Wären vor Ort keine kompetenten Pflegefachfrauen und -männer, würde das System bereits jetzt vollständig zum Erliegen kommen.

Die pflegerische und medizinische Versorgung ist mittlerweile so vielschichtig, dass es eine entsprechend fundierte Pflegeausbildung braucht. Nicht jeder Pflegende muss einen akademischen Bachelor-, Master- oder Doktorgrad haben, aber der vom Wissenschaftsrat geforderte Zehn-Prozent-Anteil gibt dem Alltag der Klinikversorgung einen nachhaltigen Qualitätsimpuls. So postulierte kürzlich der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation T. A. Ghebreysus: „Es gibt keine Gesundheit ohne Pflegefachpersonen.“

Nach Analysen von mehreren internationalen Studien geht bei Ärztestreiks auf Intensivstationen die Sterblichkeit der Patienten zurück, weil Pflegeexperten mit Masterabschluss dort weniger riskant therapieren, als es Mediziner tun (Metcalfe & Chowdhury 2015). Streikten aber Pflegende, dann würden Patienten sterben. Denn es ist niemand da, der sich um ihre Vitalzeichen, ihre Wunden, die Versorgung mit Nährstoffen, die Bewältigung ihrer Ängste usw. kümmert! Beim diesjährigen Weltkongress der Pflegenden in Barcelona formulierte es die international renommierte Pflegeforscherin Linda Aiken: „Wer bei den Pflegenden spart, verschuldet nachweislich und mutwillig enorme Folgekosten und den vermeidbaren Tod ungezählter Patienten.“

Investitionen in Pflegekräfte sind hochrentabel

Eintragungen in Klinik-Bewertungsforen des Internets belegen, dass es auf Patienten verunsichernd wirkt, wenn die Pflegenden in Stress und Chaos tätig sind. Sie äußern im Netz ihre Angst, dass aufgrund der tagtäglichen Überlastung der Pflegenden, ihre Medikamente und Infusionen verwechselt würden. Durch den Abbau von zehntausenden Stellen hat sich die Lage zwischenzeitlich gravierend zugespitzt: Die Auswirkungen der radikalen Stellenkürzung im Pflegebereich war für beinahe jeden Angehörigen der Gesundheitsberufe mit Ausnahme von Ökonomen und Politikern, absehbar:

In Deutschland kollabiert an vielen Orten die pflegerische Versorgung und mit ihr die Arbeitszufriedenheit und Motivation der Pflegenden. Kurioserweise explodieren nun trotzdem die Kosten, denn durch unzureichende Pflege kommt es neben den oben genannten Todesfällen zu einem eklatanten Anstieg von Komplikationen und zu stationären Wiederaufnahmen. Pflegeberufe sind somit kein Kostenfaktor, sondern eine unerhört rentable Investition.

Der sogenannte „Caredrain“, also die Abwanderung von Pflegenden ins Ausland mit besseren Arbeitsbedingungen und Vergütungen, in die innere Kündigung oder der Berufswechsel, hat eingesetzt. Aber es gibt ein simples Gegenmittel: Sobald Kliniken für akzeptable Arbeitsbedingungen sorgen wie Personalmindestbesetzung, kein „Einspringen“ aus der Freizeit, ausreichende Fort-, Weiterbildung und Personalentwicklung sowie attraktive Vergütung, wird der Caredrain unterbrochen.

Vielen Abteilungen droht die Schließung

Wenn ab 2018 endlich Mindestbesetzungsquoten mit qualifizierten Fachkräften gesetzlich geregelt sind, werden aufgrund des leergefegten Stellenmarkts Stationen, Abteilungen und ganze Häuser schließen, weil sich aufgrund der desolaten Arbeitsbedingungen - im Durchschnitt eine Pflegefachperson für 10 bis 13 Patienten - dort niemand mehr finden lässt. Solche festgelegten Mindestbesetzungen gelten nicht nur bei Co-Piloten im Flugzeugcockpit, sondern zum Schutz der Bevölkerung auch für die Pflegeberufe in anderen Ländern: Seit in kalifornischen Kliniken eine Regelung eingeführt wurde, derzufolge eine Pflegende weder tagsüber noch im Nachtdienst mehr als fünf Patienten pflegen darf, löste sich dort der Personalnotstand in Luft auf.

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