Die jährliche Weihnachtsfeier ist für Angestellte häufig Anlass, das Verhältnis zu den eigenen Vorgesetzten zu hinterfragen: Können wir über Privates reden? Uns gemeinsam betrinken? Mögen wir uns überhaupt? Und wie gut führt er oder sie überhaupt?
In einer Hinsicht müssen Berufstätige hierzulande allerdings offenbar nicht lange nachdenken, wenn es um die Vorgesetzten geht: Welches Geschlecht sie haben, ist dem überwiegenden Teil der Beschäftigten herzlich egal. Das ist eines der Ergebnisse einer unveröffentlichten Umfrage der Personalberatung SThree, deren Ergebnisse der WELT vorliegen.
Die mehr als 1000 Teilnehmer der Studie „So arbeitet Deutschland“ wurden gefragt, ob sie lieber unter einem Mann oder einer Frau arbeiten wollen. Beinahe drei Viertel gaben dabei an, dass sie in dieser beruflichen Hinsicht keinerlei Präferenz zwischen Mann und Frau hätten. Lediglich neun Prozent der Berufstätigen wünschten sich explizit eine weibliche Führungskraft und 19 Prozent einen männlichen Vorgesetzten.
Der größte Teil derjenigen, die ein Geschlecht präferieren, gaben dafür auf Nachfrage einen relativ einfachen, aber nachvollziehbaren Grund an: dass sie in der Vergangenheit bereits positive Erfahrung mit einer Führungskraft des jeweiligen Geschlechts gemacht hätten. Das sagen fast 72 Prozent derjenigen, die gerne einen weiblichen Vorgesetzten hätten und gut drei Viertel derjenigen, die gerne einen Mann im Chefbüro sitzen sehen.
Negative Erfahrungen mit männlichen Chefs
Forscht man nach den Gründen für die eindeutigen Präferenzen, so wird deutlich, dass zumindest bei dieser Minderheit schlechte Erfahrungen, aber auch Vorurteile eine große Rolle spielen. Die Befragten konnten jeweils mehrere Begründungen geben, warum sie ein bestimmtes Geschlecht auf dem Chefsessel präferieren. So gaben immerhin 40 Prozent derjenigen, die gerne einen männlichen Vorgesetzten hätten, an, dass sie sich mit einem Mann wohler fühlten. Diese Teilnehmer machen allerdings nur rund acht Prozent aller Befragten aus; offenbar ist es also nur ein kleiner Teil der Deutschen, der damit Probleme hat, wenn eine Frau das Sagen hat.
Traurig ist ein weiterer Befund: Mehr als ein Drittel derjenigen, die gerne einen weiblichen Chef hätten, gibt als Grund an, in der Vergangenheit schon negative Erfahrungen mit männlichen Chefs gemacht zu haben. In Bezug auf weibliche Chefs kam diese Aussage kaum; was allerdings auch nicht verwunderlich ist: Trotz der Offenheit der Arbeitnehmer und aller Diversity-Diskussionen sind die Chefetagen nach wie vor männlich geprägt. Drei Viertel der Umfrageteilnehmer gaben an, aktuell einen Mann als direkten Vorgesetzten zu haben.
Viel wichtiger als das Geschlecht sind den Beschäftigten hierzulande andere Chef-Qualitäten – und dabei ganz besonders die sogenannten Soft Skills, die von den Befragten weit vor den Fachkenntnissen genannt werden. Soziale und kommunikative Kompetenzen wie Einfühlungsvermögen, Talent für Konfliktmanagement und Networking sind für die Befragten die wichtigste Eigenschaft, die gute Vorgesetzte mitbringen müssen.
Sie erwarten von einem guten Chef zudem eine Vorgesetzten-Persönlichkeit: Dabei geht es nicht etwa um besonders autoritäres Verhalten, sondern vor allem um eine hohe Stresstoleranz und hohe Flexibilität. Und der Wunsch-Chef sollte Arbeits- und Organisationsmethoden gut beherrschen, etwa Techniken für das Projektmanagement oder Analysemethoden. Kurz: Der Chef soll eher kompetenter Moderator der Arbeit sein als unbedingt ein Fachexperte. Fach- oder digitale Kompetenz sind den Befragten denn auch weit weniger wichtig.
Privatleben hat für viele Vorrang vor dem Beruf
Die Untersuchung offenbart allerdings auch eine erhebliche Diskrepanz zwischen den Wünschen der Arbeitnehmer und ihrer Arbeitsplatzrealität: Gemessen an den wichtigsten Ansprüchen an die Vorgesetzten lassen die aktuellen Chefs zu wünschen übrig. Lediglich bei der Fach- und Digitalkompetenz sehen die Befragten ihre Chefs auf dem nötigen Niveau. Trotzdem sind die Deutschen mit ihren Chefs aber offenbar zufrieden: 70 Prozent glauben, dass die derzeitigen Vorgesetzten geeignet für die Führungsaufgabe sind.
Ein weiterer zentraler Befund der Untersuchung dürfte den Chefs dagegen weniger gefallen: Demnach haben Familie und Privatleben eindeutig Vorrang vor der Arbeit. Die Marktforscher stellten dazu folgende Frage – die von den Teilnehmern durchaus verlangt, Position zu beziehen: „Wenn Sie sich heute entscheiden müssten, welchen Lebensentwurf würden Sie wählen: ein primär familienorientiertes Leben mit geringerem Fokus auf Karriere oder ein karriereorientiertes Leben mit geringerem Fokus auf Familie?“
Auf diese Frage antworteten 46 Prozent und damit der größte Anteil der Teilnehmer klar mit Familie. Lediglich ein knappes Viertel der Befragten würde sich im Zweifel für die Karriere entscheiden. Ein sehr großer Anteil der Angestellten ist in dieser – tatsächlich sehr grundlegenden Frage – aber offensichtlich nicht bereit, sich festzulegen: 30 Prozent der Befragten gaben darauf gar keine Antwort – durchaus eine reflektierte Entscheidung: Die Bewertung dürfte in unterschiedlichen Karriere- und Lebensphasen schwanken.
Ein großer Teil der Arbeitnehmer ist im Laufe des Berufslebens aber tatsächlich sehr konkret mit dieser Frage konfrontiert, dann nämlich, wenn es um die Gründung einer Familie geht. Je schlechter Familie und Berufsleben miteinander vereinbar sind, desto größer ist die Belastung – oder gar der Druck, sich für eines der beiden zu entscheiden.
Kinderbetreuung muss besser werden
Deutsche Arbeitnehmer sind hier in einer besonders schlechten Position: Das Wiener Institut für Demografie untersucht seit einigen Jahren regelmäßig, wie gut in den europäischen Ländern die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind. In der aktuellen Ausgabe der Untersuchung stellen die Forscher Deutschland ein sehr schlechtes Zeugnis aus: Unter 30 untersuchten Ländern landete die Bundesrepublik nur auf Platz 21.
Und auf Betriebsebene? Tatsächlich berichten die Teilnehmer der SThree-Umfrage, dass von den Arbeitgebern bisher offenbar vor allem eine Maßnahme eingesetzt wird: Immerhin 63 Prozent der Befragten können Arbeitszeit und -ort flexibel wählen – und damit treffen die Unternehmen den Bedarf offenbar ziemlich gut, denn 67 Prozent wünschen sich diese Flexibilität. Auch bei der Möglichkeit, die Zahl der Arbeitsstunden zu reduzieren, liegen Wunsch und Wirklichkeit hierzulande nah beieinander: 39 Prozent der Befragten wünschen sich diese Möglichkeit, und für immerhin 33 Prozent der Befragten ist das auch schon möglich.
Diese Flexibilität reicht den Befragten jedoch nicht: Zwei ganz dringende Wünsche an die Arbeitgeber bleiben bisher unerfüllt. Zum einen sähen die Beschäftigten gern mehr Entgegenkommen des Arbeitgebers für familiäre Zwänge, etwa wenn es darum geht, Kinder während der Ferien mit an den Arbeitsplatz zu bringen oder Sonderurlaub zu gewähren, wenn Angehörige gepflegt werden müssen. 45 Prozent der Arbeitnehmer wünschen sich diese Form von Flexibilität, aber nur in einem Drittel der Betriebe ist sie auch Realität. Ganz weit oben auf der Wunschliste an den Arbeitgeber steht auch der Wunsch nach besserer Unterstützung bei der Kinderbetreuung. Sie ist allerdings nur bei mageren 13 Prozent auch Realität. Vielleicht ist auch das ein Thema für die Weihnachtsfeier.