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Georg Diez

Ende der Netzneutralität Die Abschaffung der Demokratie

Die Entscheidung der US-Regierung, die Gleichbehandlung von Datenströmen im Internet aufzugeben, ist ein weiterer Schritt, um den Kapitalismus endgültig zur alleinigen Ideologie zu machen.
Glasfaserkabel in einem Rechenzentrum

Glasfaserkabel in einem Rechenzentrum

Foto: Daniel Reinhardt / picture alliance / dpa

Es war längst klar, dass der Krieg gegen Wahrheit, Wissenschaft und Vernunft eines der Grundelemente für Donald Trump und die Seinen ist, um sich der lästigen Demokratie zu entledigen, die nur stört in dem ehrgeizigen, totalitären Plan, den Kapitalismus endgültig zur alleinigen Ideologie zu machen.

Und doch brachte diese Woche wieder ein paar Beispiele besonderer Bescheuertheit, einerseits, wenn etwa Kandidaten für Richterposten sich durch ihre Anhörungen quälten und so sichtbar wurde, wie wenig, wie gar nicht qualifiziert sie für diesen Posten waren - aber das ist ja egal, oder im Gegenteil: Das ist ja ideal für eine Regierung, die aus voller Verachtung für jede Art von Staatsjob nur die Minderbemittelten engagiert oder gleich die Gegner der Institutionen, denen sie dienen oder die sie leiten sollten, Umwelt etwa oder Energie, um auch sicherzugehen, dass der Staat als Apparat schlecht funktioniert, so wie es in ihre immer krudere libertäre Weltsicht passt.

Krieg gegen die Wahrheit

Und andererseits, das war ein Beispiel von eher besonderer Besorgnis, machen sie sich mehr und mehr daran, die Version von Gedankenkontrolle zu praktizieren, die man von ihnen vielleicht doch nicht erwartet hätte: Sie verbieten Worte, die die Wahrheit oder den wissenschaftlichen Prozess der Wahrheitsfindung spiegeln, "Fötus" etwa oder "Transgender", "Diversität", "auf wissenschaftlicher Grundlage" oder "auf der Grundlage von Beweisen". Stattdessen sollen die Mitarbeiter der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC in Zukunft sagen: "Die CDC basiert ihre Empfehlungen auf Wissenschaft unter Berücksichtigung öffentlicher Standards und Wünsche."

Trump und seine Kohorten sind dabei nicht die Einzigen, die den Krieg gegen die Wahrheit zur Grundlage ihrer autoritären Herrschaft machen, im Gegenteil, Trump ist nur der Lauteste und Mächtigste von ihnen. Aber von Syrien bis Venezuela bis Burma gehen Regierungen gegen "Fake News" vor, jede Wahrheit also, die ihnen nicht genehm ist.

Die libysche Regierung macht es so, wenn es um Berichte über Sklaverei geht, die philippinische Regierung macht es so, die polnische Regierung macht es so: Gerade wurde der größte und wichtigste Privatsender TVN24 mit einer Geldstrafe von 1,5 Millionen Zloty (ungefähr 350.000 Euro) bestraft, weil die Mitarbeiter "illegale Aktivitäten verfolgten und Verhalten unterstützten, das die Sicherheit gefährdet", wie es in der Begründung heißt. Und in Österreich sagt der neue Vizekanzler Strache von der FPÖ: "Auch im ORF wollen wir Optimierungen vornehmen, was die Objektivität betrifft."

So klingt Faschismus.

Glücklicherweise, so schien es, fielen alle diese Versuche, die Wahrheit zu manipulieren oder zu unterdrücken, in eine Zeit, in der es einen Ort gab, an dem die Wahrheit, jedenfalls für die, die sie suchten, jederzeit mit einem oder zwei Klicks verfügbar war - ein Ort der Freiheit gewissermaßen, eine konkrete Utopie, ein Ort, an dem sich Gesellschaft, Politik, das Private neu konstituierten, nicht immer einfach, aber doch auf eine Art und Weise reich und produktiv, dass man von einem Medium sprechen konnte, das eine neue Renaissance ankündigte, einen Schub an Demokratisierung auch, der Mut und Lust machte auf das 21. Jahrhundert.

Das Internet also in seiner zwittergesichtigen Genese einerseits, die zurückreicht bis in die 1960er Jahre, als Freiheitsversprechen und technologische Überwachung und Kommerzialisierung als doppelter Ursprung sich ausprägten, das Internet, wie es sich erwiesen hat als Lebensraum und Lebensform, als politische Vision horizontaler Organisation, als direkte Demokratie, als Ort für Ideen und Dialog, das Internet als Innovationsgenerator, als weltweite Bibliothek und Enzyklopädie, als Musik- und Filmverleih, als dunkler Ort auch, als lebendiger Ort - dieses Internet aber, so will es das libertäre Abbruchkommando der Trump-Camorra, soll es so nicht mehr geben.

Lebensader der Gesellschaft

Das Internet soll - wie alles sonst in der Gesellschaft - nach den Prämissen von Großkonzernen organisiert sein und die Menschen zu Konsumenten degradieren. Das ist die Grundlage des Beschlusses der amerikanischen Behörde FCC, die vergangene Woche die Netzneutralität aufgehoben hat, das heißt die Regelung, die unter Barack Obama eingeführt wurde, dass es keine Ungleichbehandlung im Internet geben darf, was Datenmengen oder Datenvolumen oder die willkürliche Kontrolle von Inhalten angeht.

Netzneutralität - Gleiches Recht für alle Daten

In einer digitalen Welt und einer digitalen Demokratie ist diese Neutralität überlebenswichtig, sie ist in gewisser Weise die Lebensader der Gesellschaft, um die es geht, und die Macht, die im Fall der USA einige Monopolisten über diesen Bereich erlangt haben und hier bald zu deutlich höheren Kosten und verzerrtem Wettbewerb führen könnte, zeigt nur, wie eng Kapitalismus und autoritäres, freiheitsfeindliches Denken hier zusammenwirken.

Was das Menschenbild angeht, das hinter dieser Entscheidung steckt, so wird deutlich, dass Infantilisierung noch ein großes Wort dafür ist - man könnte auch sagen, es ist dekadente Verachtung für alles, was den Menschen zum Menschen macht.

Der Tanz mit der Lüge

Ajit Pai jedenfalls, der Chef der FCC und verantwortlich für diese Entscheidung zur Netzneutralität, hat gerade ein Video gedreht, das ironisch sein sollte und doch die tiefere Wahrheit offenlegte: Das Internet könne immer noch für Selfies und süße Tierfotos und Bilder von Essen und Serienschauen und Shoppen und den Harlem Shake verwendet werden, so war seine launige, großzügige Botschaft, präsentiert im Nikolauskostüm mit Star-Wars-Schwert - produziert wurde das Video von der Rechtsaußen-Webseite The Daily Caller. Eine der Frauen, die mit Pai dort tanzen, hatte vergangenes Jahr die Pizzagate-Theorie verbreitet, wonach Hillary Clinton in einen Kinderpornoring in Washington verwickelt gewesen sein soll.

Was soll man also sagen, wenn Regierungsbeamte mit der Lüge tanzen? Wenn die Verschwörung den Rang der Wahrheit erreicht hat? Die Koch-Brüder, so wird auch gemeldet, agitieren mit viel Geld gegen den Versuch von Städten, ihre eigene Breitbandverbindung für das Internet zu etablieren, was die logische Antwort wäre auf die Versuche der Konzerne, diesen gesellschaftlichen Raum zu okkupieren. Denn darum geht es, in den USA und nicht nur dort: Die Funktionsfähigkeit der Demokratie zu sichern, die auf der Freiheit von Informationen beruht und dem Prozess der Wahrheitsfindung, der manchmal kompliziert ist, aber nicht verhindert werden darf durch staatliche oder kommerzielle Zensur.