«Social freezing» sollte man nicht pauschal verurteilen

Die Philosophin Susanne Brauer hält nicht das Einfrieren von Eizellen für ethisch bedenklich, wohl aber ein zu hohes Alter von Mutter und Vater. Eine fixe Alterslimite hält sie jedoch für fragwürdig.

Interview: Stephanie Lahrtz
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Frau Brauer, heute regen sich nur noch wenige Personen in unseren westlichen Industrieländern über die Antibabypille oder auch eine künstliche Befruchtung auf. Aber das Thema «social freezing» erregt die Gemüter. Woher kommt das?

«Social freezing» ist ein neues Angebot. Gerade bei der Reproduktionsmedizin werden Innovationen zu Beginn immer sehr kritisch betrachtet, denn Fruchtbarkeit und Kinderkriegen mit technischer Unterstützung sind sehr sensible Themen. Man sollte aber bei diesen Äusserungen genauer hinschauen: Meist wird nämlich nicht die Methode, sondern der Grund, warum man sie in Anspruch nimmt, bewertet.

Welche Gründe werden denn abgelehnt oder zumindest kritisiert?

Meiner Erfahrung nach wird das «social freezing» meist als Lifestyle-Medizin und als Vehikel zur Erfüllung egoistischer Wünsche angesehen. Man wirft den Frauen vor, sich zuerst nur um die eigene Ausbildung und die Karriere gekümmert und dann plötzlich festgestellt zu haben, dass ja noch was fehlt.

Trifft das nicht ein Stück weit auch zu?

Es ist sicherlich nicht so, dass die Inanspruchnahme von «social freezing» immer bedeutet, dass ein Kind nur als weiteres Accessoire gesehen wird. So fehlt unter Umständen ein geeigneter Partner, und Kinder erst nach der Ausbildung zu bekommen, hat auch Vorteile. Ich finde es unangebracht, «social freezing» pauschal zu verurteilen. Das für mich Bedeutsame an der Existenz dieser und anderer Methoden der Reproduktionsmedizin ist vielmehr, wie stark der Wunsch nach einem biologisch eigenen Kind ist und wie viel Geld und Zeit viele Frauen wie Männer bereit sind, hier zu investieren. Wenn es wirklich nur um den Wunsch ginge, ein Kind grosszuziehen, es zu lieben und zu versorgen, dann könnte man ja auch ein Kind adoptieren. Denn unbestritten benötigen viele bereits existierende Kinder elterliche Hingabe.

Ist der übermächtige Wunsch nach einem biologisch eigenen Kind denn schlecht?

Das lässt sich nicht in dieser Allgemeinheit sagen. Sicherlich sollte man sich aber, wenn man sich unbedingt ein Kind wünscht und dafür medizinische Hilfe in Anspruch nimmt, genauestens überlegen, ob man einem Kind und den vielfältigen Bedürfnissen und jahrelangen Ansprüchen, die es an einen stellt, wirklich gewachsen ist. Was ich aus ethischer Sicht hinterfragen würde, ist nicht der Kinderwunsch an sich, sondern warum er vorhanden ist. Frauen sollten sich darüber klarwerden, ob sie nur etwas haben wollen, was andere auch haben, oder ob sie wirklich Liebe und Geborgenheit schenken wollen.

Ist es für Sie, wenn Letzteres die Ursache des Kinderwunsches ist, ein Kind mittels «social freezing» zu bekommen, völlig unbedenklich?

Bedenklich wird es für mich, wenn man mithilfe der Reproduktionsmedizin eine Schwangerschaft in jedem Alter ermöglicht. Zum einen muss abgeklärt werden, ob eine Schwangerschaft in der zweiten Hälfte der Vierzigerjahre für Mutter und Kind nicht eine Gefahr bedeutet. Dann dürfte sie nicht ermöglicht werden. Zum anderen müssen sich die künftigen Mütter – und genauso künftige Väter – überlegen, was sie dem Kind gegebenenfalls dadurch zumuten, dass seine Eltern schon länger in Rente sind, wenn es die Matur macht. Interessanterweise wird ja Frauen ein spätes Mutterglück viel eher angekreidet als einem Mann, der erst mit 55 Vater wird. Die Hauptfrage für mich ist daher bei jeder künstlichen Befruchtung: Darf man in jedem Alter Eltern werden?

Was müsste denn zur Beantwortung der Frage alles abgeklärt werden?

Neben den erwähnten medizinischen Risiken müsste die behandelnde Ärztin oder der zuständige Arzt zusammen mit der Frau genauestens besprechen, wie sich die Betroffene ein Leben jenseits der 50 und mit einem Kleinkind vorstellt und ob sie überhaupt weiss, was das im Einzelnen bedeutet. Auch muss diskutiert werden, ob eine Frau oder ein Paar bereit ist, eine Frühgeburt mit allfälligen bleibenden Beeinträchtigungen des Kindes oder ein behindertes Kind zu akzeptieren. Denn mit dem Alter der Frau steigt ja bekanntermassen das Risiko dafür an. Es ist leider immer wieder zu beobachten, dass Personen, welche viel Geld und Zeit und diverse medizinische Hilfsmittel in die Realisierung ihres Kinderwunsches investiert haben, nur an ein unter allen Umständen gesundes Kind denken.

Sollte man also eine Altersgrenze für eine Schwangerschaft mithilfe von «social freezing» einführen?

Wenn, dann müsste man eine für jede künstliche Befruchtung formulieren, unabhängig davon, ob sie mit frischen, eingefrorenen oder auch gespendeten Eizellen durchgeführt wird. Doch eine fixe Zahl halte ich für äusserst schwierig. Denn die Lebensumstände, die körperliche Verfassung und auch die Einstellung zu einem Leben mit Kind sind bei jeder Frau und bei jedem Paar anders. Man kann also nicht sagen, mit 45 darf eine Frau noch Mutter werden, mit 48 hingegen auf gar keinen Fall. Aber man sollte viele Aspekte bei der Entscheidung berücksichtigen. Und ja, Mediziner sollten Frauen gegebenenfalls eine künstliche Befruchtung verweigern.

Susanne Brauer forscht seit Jahren über Biomedizinische Ethik. Zu ihren Schwerpunkten gehören die Autonomie in der Medizin und die Reproduktionsmedizin.