Konservativ sein heißt heute: Alles, was Männern Spaß macht

© Henning Schacht

Geld und Wirtschaft

Kommentar: Konservativ sein heißt heute: Alles, was Männern Spaß macht

Konservative halten stur an ihrer kleinen Welt fest, obwohl sie bereits lichterloh brennt. Damit sind sie nicht besser als die Trump-Fans, auf die sie herabschauen. Nirgends sieht man das besser als daran, wie sie mit der Klimakrise umgehen.

Profilbild von Kommentar von Gabriel Yoran

Der Konservatismus wird heute nicht von linksgrün-versifften Gutmenschen zerstört, wie der rechte Rand den politischen Gegner nennt. Die Zerstörer des Unions-Konservatismus kommen von eben diesem rechten Rand, und ihre Strategie ist die Nachahmung. Sie beanspruchen das Label „konservativ“ für sich, aber sie sind etwas völlig anderes. Konservative sind anfällig für diese Vulgarisierung ihres Weltbildes. Das ist gefährlich, und diese Gefahr wird besonders deutlich im Umgang der Union mit dem menschengemachten Klimawandel.

Das moralische Erkennungsmerkmal des Bessergestellten (egal, ob konservativ oder liberal) ist die Verteidigung der Freiheit. Weil die Welt, in die er hineingeboren wird, die einzig richtige Welt ist, bedeutet jede neue Anforderung an ihn eine Einschränkung seiner Freiheit. Früher war Mäßigung ein konservativer Wert, aber seit dies der grüne Markenkern ist, zwingt der rechte Rand der Mainstream-Union einen vulgären Affekt auf: Ob Tempolimit, „Veggieday“ oder Reduktion von Fernreisen, ob Frauenquote, gendergerechte Sprache oder Anerkennung von Trans- und intersexuellen Menschen: Legitime Forderungen von Grünen und Linken werden diffamiert als gemeine Maßnahmen, normalen Menschen ihr gutes, normales Leben zu vermiesen. So reduziert sich der Konservatismus auf den Playboy-Slogan: Alles, was Männern Spaß macht.

Während Grünen vorgeworfen wird, mit dem Auto zum Biomarkt zu fahren oder übermäßig CO2-produzierende Fernreisen zu unternehmen, ficht solches Verhalten den Konservativen nicht an, denn niemand erwartet Besseres von ihm. Grünen-Wähler sind in diesem Sinne „konservativ plus“: Sie haben ein Wertesystem, sie haben eine globale Perspektive, aber vor allem haben sie (eigentlich) das Geld für CO2-Ausgleich, Hybridfahrzeuge und Niedrigenergiehäuser. Grün zu sein ist einfach, wenn man sich seinen Anspruch leisten kann. Links zu sein und grün, das ist schwer.

Konservative dagegen sind erfolgreich, weil sie mit sich im Reinen sind: In ihrem Kopf haben sie immer Heimvorteil. Während die Linke hadert, zweifelt und kritisiert (gerne auch sich selbst), weiß der Konservative, dass die Welt gut ist, denn eine Welt, in der so jemand wie er möglich ist, kann nicht schlecht sein. (So beschrieb Martin Walser in seinem Roman „Tod eines Kritikers“ den Typus des „Erfolgreichen“.) Konservative müssen nichts tun, sie müssen nicht kämpfen, sie müssen einfach nur sein, denn die Welt ist ihre Welt. Der Andere ist in dieser Welt der Störenfried.

Eigentlich müssten Konservative an der Spitze einer technikgetriebenen ökologischen Wende stehen

Die Haltung gegenüber dem Anderen, das ist der Hauptunterschied zwischen dem Konservativen und dem Linken. So beschrieb es Didier Eribon in „Rückkehr nach Reims“: Der moralische Horizont des Konservativen umfasst seine Familie, seine Klasse, seine Nation – bei den extrem Rechten umfasst er das, was man dort „Volk“ nennt. Wenn es uns gut geht, ist es gut. Der Rest darf gern draufgehen, nicht unser Problem. Deutschland den Deutschen. America first.

Der moralische Horizont der Linken hingegen ist global: Der Linke darf nichts tun, was auf globaler Ebene problematisch ist. Flugreisen, Tierverzehr, Schokoriegel mit Palmöl essen. Er muss ein schlechtes Gewissen haben, solange es irgendwo auf der Welt Hunger und Leid gibt – man ahnt, dass das eine belastende Perspektive ist. Eine, die man ehrlicherweise nicht andauernd durchhalten kann, weil der Anspruch so hoch ist. Der Linke versagt, weil er versagen muss im Angesicht seiner Ambition, seinem Wunsch nach einer besseren Welt – der Konservative hingegen weiß, dass es keine bessere Welt gibt und geben wird, und dass man halt selber gucken muss, wo man bleibt.

Das alles ist nicht neu, aber der Widerspruch zwischen den beiden Lagern tritt in den letzten Jahren in immer schmerzhafterer Deutlichkeit hervor, weil wir vor einem Problem stehen, das man überhaupt nur wahrnehmen, geschweige denn lösen kann mit einer globalen Perspektive: der Klimakrise.

Sie wird uns so viele Änderungen in unserem Lebenswandel abverlangen, dass Tradition schlicht inkompatibel wird mit der Zukunft des Menschen. Oft liest man, dass Konservative doch eigentlich die Schöpfung bewahren wollen müssten. Dass sie und die Umweltbewegungen doch an einem Strang ziehen müssten. Konservative lieben den technischen Fortschritt, und sie lieben den Wald. Sie müssten sich eigentlich an die Spitze einer technikgetriebenen ökologischen Wende stellen. Aber sie werden von ganz rechts vereinnahmt von Leuten, die ihr Leben, so wie es jetzt ist, bewahren wollen, obwohl es dafür längst zu spät ist.

Diese Leute sind vermutlich nicht wirklich konservativ, denn im Gegensatz zu Konservativen wollen diese Leute die Welt brennen sehen. UN-Klimaziele, Zwei-Grad-Ziel, Pariser Klimavertrag, das ist für diese Leute nur ein aus der Ferne herüberwehender Soundtrack der Unterdrückung ihrer Art zu leben. Man kann sich vorstellen, wie schwer es auszuhalten ist, wenn man in eine Welt geboren wird, die kaum noch zu retten ist, aber man unbedingt weitermachen will wie bisher. Deshalb werden diese Leute ausfällig. Sie spotten über protestierende Schüler oder leugnen den menschengemachten Klimawandel gleich ganz.

Rechtspopulisten haben einen starken Partner an ihrer Seite, wenn es um die Klimakrise geht

Die heute 16 Jahre alte Schülerin Greta Thunberg begann letztes Jahr, gegen die Zerstörung des Klimas regelmäßig freitags in einen „Schulstreik“ zu treten. Damit löste sie eine Bewegung aus. Weltweit taten Studierende, Schülerinnen und Schüler es ihr nach – unter dem Namen Fridays for Future demonstrieren sie nun schon seit Monaten regelmäßig gegen Politiker, die keinen Gewinn aus dem Kampf gegen die Erderwärmung schlagen können und sie deshalb lieber verdrängen. Die lieber Steuergeschenke auf Neuwagen als Rabatte auf Bahncards verteilen. Politiker, die nicht an unsere „better angels“ appellieren, sondern uns stumpf geben, was wir haben wollen – schnelle Autos, regelmäßige Fernreisen, billiges Fleisch.

Die Kinder demonstrieren gegen die Zerstörung der Umwelt, aber sie demonstrieren auch gegen einen Konservatismus, der sich von neurechter Zerstörungslust hat anstecken lassen. Rechtspopulistische Politiker, in ihrer Verachtung für alle Bemühungen, das Schicksal des Planeten doch noch zu wenden, haben nämlich einen starken Partner: Sie wissen den Tod auf ihrer Seite. Wenn sich die Ergebnisse ihrer kurzsichtigen Politik manifestieren, in noch heißeren Sommern, in noch wilderen Orkanen, in noch höheren Fluten, dann wird sich niemand an sie erinnern. Den Trumps, den Friedrichs und den anderen rechtsnationalen Hampeln ist alles egal, Hauptsache, ihr eigenes Volk bleibt davon verschont. Aber das Weltklima ist kein Rassist, es trifft alle, die sich nicht in Sicherheit bringen können.

Greta Thunberg ist wütend, und sie ist es völlig zu recht. Das Time Magazine nahm sie auf in die Liste der einflussreichsten Teenager des Jahres 2018. Aber Deutschland hat andere Prioritäten: Die Deutsche Frage lautet ja bekanntermaßen „Ist das überhaupt erlaubt?“ Und als Antworten stehen zur Wahl: „Natürlich nicht“, „Wo kämen wir denn da hin!“ und „Könnt ja jeder kommen!“ So kam es denn auch diesmal, wie es immer kommt: Anstatt sich mit dem Inhalt des Protests zu befassen, anstatt die Wählerinnen und Wähler von morgen ernst zu nehmen, anstatt irgendetwas zu begreifen, wird den Schülerinnen und Schülern Schulschwänzerei vorgeworfen.

Noch jemand, der Rechte einfordert!“

Irgendwo sind die anständigen Konservativen, aber selbst die als gemäßigt konservativ geltende CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer kann sich Witze über intersexuelle Menschen nicht verkneifen. Sie entschuldigt sich auch nicht, sie insistiert: Das muss doch erlaubt sein! Die machen doch nur Spaß, heißt es dann. Und ja, sie machen diesen Spaß guten Gewissens, weil sie niemanden kennen, auf dessen Kosten er geht. Es ist das brutale Witzeln einer christlichen Partei, die dann das christlich-jüdische Abendland aufruft, wenn es gegen den Islam geht, dem sie Gestrigkeit vorwirft, ein vormodernes Frauenbild – während es in der Union gleichzeitig völlig okay ist, jeder benachteiligten Gruppe mit aggressivem Spott zu begegnen: Noch jemand, der Rechte einfordert! Nächstenliebe schön und gut, aber doch nicht für Menschen, die nicht wissen, auf welches Klo sie gehören!

Je weiter rechts man steht, desto eher unterstellt man denen, die eine bessere Welt wollen, unlautere Motive oder gar Verkommenheit. Der FAZ-Autor Jasper von Altenbockum schreibt: „Die Schüler, die für eine (noch) strengere Klimapolitik demonstrieren, können sich nicht darum herumreden, dass ihnen der Klimawandel nicht viel wichtiger ist als der Genuss eines schulfreien Tags.“ Denen, die irgendetwas verbessern wollen in der Welt, die für nicht gar so schnell ansteigende Durchschnittstemperaturen auf die Straße gehen, diese Leute können das nicht ernst meinen, sie wollen einfach schulfrei haben oder müssen schlicht ferngesteuert sein von den Grünen, den Linken – oder schlicht ihren Eltern. Ausgerechnet Konservative wollen nicht begreifen, dass Menschen tatsächlich Wertvorstellungen haben.

Was eine kleine Vorsilbe verrät

Das ist kein deutsches Phänomen. In den USA fallen selbsternannte Conservatives (die man hier wohl leicht Rechte nennen könnte) über Jugendliche her, die für ein restriktiveres Waffenrecht auf die Straße gehen. US-Publizisten beschimpfen Studenten im Fernsehen, sie würden doch nur ihren liberalen Eltern nachplappern. In Deutschland muss man nicht rechts sein, um Kinder, die für Umweltschutz auf die Straße gehen, zu verspotten. Normal konservativ reicht schon. Deutsche Neurechte arbeiten das playbook aus den USA ab. Ob der Aufstieg rechter Publizistinnen, die Provokationen um das Thema Abtreibung, die Story von den „Umerziehungen“ an Schulen, das kennt man alles seit Jahren aus den USA. Wollen deutsche Konservative enden wie die US-Republikaner, als aggressiver Populistenwahlverein ohne Rückgrat und Prinzip? Konservative müssen sich die Frage gefallen lassen: Wo ist eure Erziehung?

Normalerweise reden sie nämlich gerne von Erziehung, aber sobald eine Verhaltensänderung von links gewünscht wird, zum Beispiel langsameres Autofahren oder Reduktion des Fleischverzehrs, nennen sie es „Umerziehung“. Was eine simple Vorsilbe verrät: Erziehung ist die Einübung des von der alten Generation erwünschten („natürlichen“) Verhaltens. Umerziehung hingegen hat etwas Unnatürliches. Links wie rechts gilt: Die junge Generation soll es besser haben. Aber nur bei Rechten gilt: Sie soll sich nicht besser verhalten müssen. Das althergebrachte Verhalten steht nicht unter Rechtfertigungsdruck, das neue schon, denn es wird als „unnatürlich“ diffamiert.

Ein Leben ohne Rechtfertigungsdruck: Wenn Konservative sich gegen diese rechte Wertevernichtung nicht zur Wehr setzen, verlieren sie ihre Existenzberechtigung. Der Autor Alexander von Grau, der in seinem Buch „Hypermoral” bedauert, dass „alles auf moralische Fragen reduziert” wird, liefert den Balsam der Beliebigkeit für rechte Seelen: Man solle einfach selbst entscheiden, wo moralische Fragen gestellt werden dürfen und wo nicht. Im Klappentext für Graus Buch mit dem Untertitel „Die neue Lust an der Empörung“ heißt es überraschend empört: „Selbst der Konsum hat fair, nachhaltig und ressourcenschonend zu sein.“ Selbst der Konsum!

Konservativ sein heißt, in einer Tradition zu stehen – aber eben so, wie man mit einem SUV in der Einfahrt steht. Es ist kein Durchkommen, aber wenn einer sich beschwert, dann ist er der Störenfried, der Kleingeist, der Gutmensch, der Stress macht. Soll er halt ums Auto herumradeln, ist doch eine freie Welt!

Die menschlichen Konservativen, sie müssen doch irgendwo sein. Aber warum hören wir nichts von ihnen? Warum soll es für Konservative falsch sein, für einen fairen, nachhaltigen und ressourcenschonenden Konsum einzutreten? Soll der Anspruch an uns, die Bewohner des reichsten EU-Landes, wirklich so niedrig sein, dass wir nicht mal an den Konsumenten Forderungen stellen dürfen?

Dabei schlummert in diesem Problem eine genuin konservative Position: Wir müssen unser Verhalten ändern, weil der moralische Druck, das Richtige zu tun, gerade dann besonders hoch ist, wenn man es sich leisten kann, das Richtige zu tun. Wenn jemand moralisch konsumieren kann, dann der arrivierte Konservative. Dumm nur, dass der bereits die Grünen wählt.


Redaktion: Rico Grimm; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Fotoredaktion: Martin Gommel.