1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Luft war noch nie so gut wie heute

1. August 2017

Deutschland diskutiert über Fahrverbote für Dieselstinker. Wir sollten über die ganze Aufregung aber nicht vergessen: So gute Luft wie heute haben wir seit der Antike nicht geatmet, meint Fabian Schmidt.

Bild: picture alliance/dpa/M.Balk

Bei der Debatte um die Überschreitung von Grenzwerten sollte man eines nie vergessen: Je strenger ein Grenzwert gesetzt ist, desto dramatischer klingt eine Überschreitung desselben.

Legt ein Gesetzgeber zum Beispiel einen Grenzwert für eine beliebige chemische Verbindung fest, der sich nur knapp über Null befindet, so kann es naturgemäß sehr schnell dazu kommen, dass dieser mal um das zehn- oder auch hundertfache überschritten wird. Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass sich deswegen irgendwer sofort vergiftet, denn nach Adam Ries sind zehn mal null noch immer gleich null.

Dieses Prinzip sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man sich mit der heutigen Luftverschmutzung in deutschen und europäischen Großstädten befasst. Denn in der ganzen medialen Aufregung könnte man den Eindruck gewinnen, dass wir bald an unserem Autoverkehr zu ersticken drohen.

Fabian Schmidt, Redaktion Wirtschaft und WissenschaftBild: DW/P.Henriksen

Das stimmt aber überhaupt nicht, denn die Fortschritte in der Abgasreinigung - bei Autos genauso wie in Kraftwerken und Industrieanlagen - sind durchaus spürbar. Ich wage sogar die Behauptung: Wer nach der deutschen Wiedervereinigung geboren wurde und sich seitdem nur in Europa aufgehalten hat, der hat noch nie richtig schlechte Luft geatmet - es sei denn in einer Shisha-Bar.

Feinstaub und Stickoxide gehen zurück

Nehmen wir zum Beispiel den Feinstaub: Am Anfang der Industrialisierung, zu Beginn des 18. Jahrhunderts, lag die Feinstaubbelastung in London bei etwa 260 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Der Wert stieg immer weiter an, bis er Ende des 19. Jahrhundert bei über 600 Mikrogramm lag. Erst im 20. Jahrhundert ging es wieder zurück. In den 1950er-Jahren unterschritt er erstmals wieder das frühindustrielle Niveau und lag bei 200. Heute hingegen erreicht er nur noch 16 Mikrogramm. Da steht Stuttgart mit seinen 38 Mikrogramm natürlich schlecht da. Im historischen Vergleich wirkt es aber immer noch wie gerade mal "zweieinhalbmal null".

Übrigens: Während des Silvesterfeuerwerks steigen die Werte in den Städten regelmäßig auf 2000 Mikrogramm und sogar höher. Der Feinstaub dieser einen Nacht entspricht 15 Prozent dessen, was der Straßenverkehr im gesamten Jahr produziert. 

Um die Perspektive zu wahren, wo auf der Welt es sich wirklich lohnt, von Luftverschmutzung zu reden, hilft dann auch der Blick ins außereuropäische Ausland: In Asien und Afrika sind viele Großstädte mit dreistelligen Feinstaubzahlen belastet - so wie es in Europa in der Hochphase der Industrialisierung war.

Ähnlich sieht es mit den Stickoxiden in unserer Luft aus. Alleine seit den 1990er-Jahren, haben sich die in Deutschland nämlich mehr als halbiert. Und den größten Anteil an diesem Rückgang hat die moderne Motorentechnik geleistet. In dem Bereich sind die Werte nämlich fast auf ein Drittel zusammengeschrumpft.

Es ginge natürlich noch besser, wenn alle Diesel-PKWs eine ordentliche Abgasreinigung mit AdBlue bekommen hätten, wie sie bei LKWs schon heute die Norm ist und wie sie das Gesetz eigentlich verlangt. Aber Dieselgate sollte uns trotzdem nicht über die tatsächlichen Erfolge bei der Luftreinhaltung hinwegtäuschen.

Grillen, Lagerfeuer, Kaminöfen, Rauchen

Und was in der Debatte leider viel zu kurz kommt, sind die anderen Luftverschmutzer in unseren Städten, die noch viel stärker zur Verpestung unserer Atemluft beitragen: die vielen sommerlichen Holzkohlegrills, in die reichlich Grillfett tropft; Laub-, Oster- und Lagerfeuer, in denen neben trockenem unbehandeltem Holz auch mal das eine oder andere lackierte Möbelstück landet - oder, noch schlimmer, etwas Plastik oder gar ein Autoreifen.

Und auch die beliebten Kaminöfen in den Wohnhäusern haben ganz zu Unrecht ein Öko-Image. Es ist nämlich für die Behörden nicht kontrollierbar, ob dort jemand illegalerweise Möbelreste vom Sperrmüll verbrennt. Die jährliche Kontrolle des Schornsteinfegers wird das nicht aufdecken.

Und es reichen schon sehr wenige schwarze Schafe, um die Luft in einer ganzen Stadt zu verdrecken. Mir reicht jedenfalls meine Nase, um zu beurteilen, dass es viele gibt, die in ihren Öfen Dinge verbrennen, die da nicht hinein gehören. Eine einzige derartige illegal betriebene "Abfall"-Feuerstelle produziert mehr Rauchgase, Feinstaub und Giftstoffe als eine viel befahrene Autostraße. 

Ähnliches gilt übrigens für unsere Zigarettenraucher. Sie setzen in Deutschland mehr Dioxin frei als eine Sondermüllverbrennungsanlage. Und das tun sie dann oft auch noch in geschlossenen Räumen. 

Studien im historischen Kontext betrachten

Und was hat es dann mit den Studien auf sich, die zeigen, dass Jahr für Jahr Hunderttausende durch Gifte aus dem Straßenverkehr ums Leben kommen?

Abgesehen von der Grundproblematik, dass bei solchen epidemiologischen Studien die Kausalität und Korrelation oft problematisch ist, lohnt sich auch hier ein Blick in die Geschichte: Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich die Lebenserwartung der Menschen fast verdoppelt von über 40 Jahren auf etwa 80 Jahre.

Die Weltbevölkerung ist gleichzeitig von unter zwei Milliarden auf über sieben Milliarden angewachsen. Natürlich hat das etwas mit moderner Medizin, Ernährung und dem Lebensstil zu tun.

Ist das also nun trotz oder nicht auch gerade wegen der motorisierten Mobilität möglich gewesen, die uns ein so modernes Leben und Wirtschaften erst ermöglicht hat? Also drehen wir den Spieß mal um: Dann kommt vielleicht dabei heraus, dass der Autoverkehr auch viele Menschenleben gerettet hat - von Polizei-, Feuerwehr- und Krankenwagen mal ganz abgesehen.

Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!

Fabian Schmidt Wissenschaftsredakteur mit Blick auf Technik und Erfindungen
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen