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Erfindung der Jukebox: Ein Groschen pro Hit

Foto: AFP

Erfindung der Jukebox Jailhouse Rock im Sachsenklang

Es hätte ein Diktiergerät werden sollen, doch dann kam Musik raus: Im November 1889 begann die Karriere eines schrankartigen Kastens namens "Jukebox", der per Knopfdruck Ohrwürmer erzeugte - tödlich, zumindest in einem Fall.

Dreimal fütterte er den Automaten mit Münzen, dreimal drückte er die Taste mit der Tango-Schnulze "Laila", dreimal schwelgte er im Glück. Doch als der Textilhändler Rudolf W. an jenem verhängnisvollen Abend den Knopf zum vierten Mal in Folge betätigte, verlor ein anwesender Bundeswehr-Gefreiter die Nerven und unterbrach das Lied. Daraufhin zog der "Laila"-Fan eine Pistole aus der Tasche und schoss den Gefreiten nieder.

"Drei Soldaten, die dem Kameraden zu Hilfe eilen wollten, streckte der Textilhändler mit weiteren Schüssen zu Boden", berichtete die "Bild"-Zeitung. Das blutige Drama ereignete sich 1960 im oberbayerischen Ort Manching, südöstlich von Ingolstadt - vor einer Jukebox.

So brutal verteidigte in der Geschichte des Musikautomaten wohl kaum ein Zweiter seinen Lieblingshit. Dennoch: Der Druck auf den richtigen Knopf der Musikbox spaltete die Geister. "Wenn die Drossel singt" oder "Jailhouse Rock", A4 oder B6? Die schlichte Kombination aus Buchstabe und Zahl ließ die einen jubeln und die anderen verzweifeln. Nur ganz am Anfang, als die Jukebox noch "Münzphonograf" hieß, da herrschte Einigkeit unter den Benutzern der Musikbox - denn zunächst genoss jeder für sich allein.

"Wer nichts zahlt, hört nichts!"

Nur rund eine Minute dauerte der Song auf dem Phonographen, den der Tüftler Louis Glass am 23. November 1889 im Palais Royal Saloon in San Francisco erstmals der Öffentlichkeit vorstellte. An den wuchtigen, schrankartigen Kasten aus Eichenholz waren vier stethoskopähnliche Schläuche angeschlossen. Die Leitungen waren so lange durch ein Gewicht abgeklemmt, bis der Einwurf einer Münze die Blockade entriegelte - und die Musik ertönte.

Verzückt hielten sich die Anwesenden die Kopfhörer-Schläuche ans Ohr: Mit seiner batteriebetriebenen "Nickel-in-the-Slot-Machine" ("Nickel-in-den-Schlitz-Maschine") war Glass eine Sensation geglückt. Anders als Phonograf-Erfinder Thomas Alva Edison, der seine Kreation vor allem als Diktiergerät verstanden wissen wollte, erkannte Glass das enorme Potenzial des Phonografen - als eine hervorragende Möglichkeit, um Musik abzuspielen.

"Meine Herren, der Automat wirft viel Geld ab", pries Glass im Mai 1890 auf einem Kongress lokaler Phonografen-Unternehmen seine Maschine. Die ersten 15 in San Francisco aufgestellten Münzphonografen hatten zusammen bereits mehr als 4000 US-Dollar geschluckt (dies entspricht 2014 ca. 105.300 Dollar). Glass begann, die Kneipen der Bay Area mit seinen Groschengräbern zu bestücken.

Die Gewinne investierte Glass unter anderem in seinen Kampf gegen Lautsprechersysteme: Der Manager wollte verhindern, dass die Menschen Musik schnorren, ohne dafür Geld eingeworfen zu haben. "Wer nichts zahlt, hört nichts", konstatierte Philosoph Theodor W. Adorno noch in den Zwanzigerjahren, als er in einem Lokal in Nizza Münzgrammofone entdeckte, an denen jeweils ein Kopfhörer hing.

Flüstern, zechen, Musikbox füttern

Doch die Technik ließ sich nicht aufhalten: Schallplatte und Plattenspieler setzten sich durch, das Song-Repertoire der Musikboxen wurde immer größer - und 1927, zur Hochzeit der Prohibition in den USA, drängten die ersten Musikboxen mit elektrischen Verstärkern auf den Markt. Alkohol war landesweit verboten, dafür boomten die "Speakeasies": illegale sogenannte "Flüsterkneipen", in denen die Amerikaner zwar nur leise sprechen durften, um bei Passanten keinen Verdacht zu erregen, dafür aber zechten und die Jukeboxen mit Münzen fütterten.

Auch in den sogenannten "Juke-Joints" wirkte der Musikautomat als Publikumsmagnet. Die einfachen, von Schwarzen aufgesuchten Tanzspelunken im ländlichen Südosten der USA verliehen der Jukebox ihren Namen: Der Slangausdruck "juke" oder "jook" bedeutet so viel wie "tanzen". Da die von Weißen dominierten Radiosender sich weigerten, Jazz, Country und Blues zu spielen, versammelten sich die Schwarzen in den "Juke-Joints" vor den Musikboxen, um ihre eigene Musik zu hören: Louis Armstrong, Duke Ellington, Billie Holiday.

Für einen Nickel, fünf Cent, stieg auch der ärmste Schlucker für die Länge eines Hits zum Kapellmeister auf. Und für die Wirte waren die Musikboxen ein billiger Ersatz für die Musikband. Als die US-Regierung 1933 das Alkoholverbot aufhob, öffneten zahlreiche neue Lokale - jedes von ihnen wollte den Kunden eine Jukebox bieten.

Call-Girl-Ringe, Rauschgift, Jukeboxen

Standen in den USA 1933 noch 25.000 Musikboxen, verzehnfachte sich ihre Anzahl bis zum Jahr 1937 beinahe: ein beispielloser Boom, bedingt durch musikverrückte Kneipenbesucher ebenso wie durch Mafiabosse. Denn kaum war die Prohibition vorbei und die Geschäfte mit Alkoholschmuggel beendet, entdeckten die US-Gangster die Jukebox für sich.

Die Wirte wurden systematisch von der Mafia erpresst, das Business mit den Musikboxen war ähnlich lukrativ wie die traditionellen Mafia-Branchen Spielkasinos, Call-Girl-Ringe und Rauschgift. Im Jahr 1957 kontrollierte die Mafia laut Musikwissenschaftler Jens Gerrit Papenburg das Jukebox-Business in mindestens acht Bundesstaaten, das FBI deckte auf, dass sogar in New York die Gangster das Jukebox-Geschäft kontrollierten.

Den Siegeszug der Musikautomaten nach dem Zweiten Weltkrieg konnten jedoch selbst die obersten US-Mafiajäger nicht stoppen. In Europa stationierte Gls tanzten in ihren Militärkantinen und Klubs zu den Klängen der Jukebox, und 1951 implantierte die Firma Rehbock im "Liliput" auf der Hamburger Reeperbahn die ersten Musikbox auf deutschem Boden - ein zwanzig Jahre altes, ausrangiertes US-Exemplar.

"Traum von der musikalischen Selbstbedienung"

Die Deutschen waren ganz verrückt nach den Jukeboxen: jenen tönenden Wunderwerken, die optisch zwischen Zapfsäule, Cadillac und Raumschiff changierten. Standen 1953 noch 348 US-Geräte in deutschen Lokalen, schnellte ihre Zahl 1957 auf 12.000. Man brauche nur einen Groschen einzuwerfen - "und der Traum von der musikalischen Selbstbedienung, dem allzeit tönenden Wunschkonzert für jedermann wird technisch perfektionierte, klangreine Wirklichkeit", schwärmte der SPIEGEL 1952.

Die blinkende Hitmaschine avancierte zum Revolte-Accessoire einer neuen Generation, bald begnügte man sich in Deutschland nicht mehr mit US-Importen, sondern stellte eigene Geräte her. Sogar in der DDR hielt das uramerikanische Konsumgut Einzug - die in Glauchau und Erfurt gefertigten Modelle trugen Namen wie "Sachsenklang" oder "Polyhymat".

Deutsche Kulturkritiker indes äußerten sich vielfach entsetzt über das angeblich hastige, oberflächliche US-Phänomen Jukebox: "Der moderne Zivilisationsmensch degradiert sich selbst zum Sklaven des Automaten", schimpfte etwa Musikexperte Siegfried Schmidt-Joos und kritisierte, dass die Musikbox die Orchester und Bands in die Arbeitslosigkeit drängten.

Ab Anfang der Siebzigerjahre durften die Gegner der Jukebox aufatmen: Der Aufstieg der Diskotheken läutete den Untergang der bunten Hit-Wunder ein: Ab sofort trafen sich die Jugendlichen dort, wo sie ihre eigene Musik auflegen und bestimmen konnten, ohne dem Diktat des Automaten zu folgen.

Zudem sank der Preis für Schallplatten, Abspielgeräte und Radios. Die Menschen mussten nicht mehr zur Jukebox in der Kneipe um die Ecke laufen, um ihren Lieblingshit zu hören, sondern legten sich zu Hause ihre eigene Plattensammlung zu. Und in den Kneipen regierte mehr und mehr der Wirt über die Musik.

Im März 1974 reagierte die Chicagoer Wurlitzer Company auf die Krise: Der traditionelle Marktführer, der seit 1933 mehr als eine dreiviertel Million Jukeboxen produziert hatte, stellte die Produktion ein. Trauer über das Ende einer grandiosen Epoche schwang in den Worten mit, die Wurlitzer-Vizepräsident Ago Koerv zum Ende der Jukebox verlautbaren ließ: "Niemand hat mehr Zeit, und in den modernen Abfütterungsplätzen wird keiner zum Bleiben ermuntert. Unser ganzer Lebensstil ändert sich."

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