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Finanzevolution Robo-Advisor müssen noch viel lernen

Robo-Advisor stecken in den Kinderschuhen. Mithilfe künstlicher Intelligenz kann die Technologie noch viel mehr. Von Dirk Elsner
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Dirk Elsnerist bei der DZ Bank Senior Manager Innovation und Digitalisierung. In dieser Kolumne äußert er seine private Meinung. 2008 hat er das private Wirtschaftsblog BlickLog gegründet, das mehrfach ausgezeichnet wurde.

Ich stehe beim Schreiben dieser Kolumne noch unter dem Eindruck dreier intensiver Wochen, die vollgestopft mit Terminen und Veranstaltungen rund um die digitale Zukunft unserer Wirtschaftspraxis und der Finanzwelt waren. So war ich unter anderem in Helsinki bei der Unico Innovation Week. Finnland ist interessant, wenn es um die Gestaltung der Zukunft des Finanzwesens geht. Dort zeigt die größte Bank, die OP Financial Group den Banken neue Wege auf. So startete die Bank Anfang Dezember mit OP Kulku einen eigenen Mobilitätsservice, der in der Region der Hauptstadt die Miete von Elektroautos gegen monatliche Gebühr ermöglicht. Mit dem Dienst ist es einfach, ein Elektroauto für Verbraucher und kleine Unternehmen gegen eine monatliche Gebühr zu erwerben. Einen solchen Service würde man in Deutschland eher von einem Autokonzern als von einer Bank erwarten.

Daneben konnte ich beim Ultrahack, dem größten Hackathon Europas, und der Start-up-Konferenz Slush die immer größer werdende Brücke zwischen den Visionen mancher Digital-Apologeten und der meist ernüchternden Praxis der digitalen Gegenwart sehen. Lauscht man etwa dem Digital-Visionär Brett King, könnte man meinen, die Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz stehen kurz vor der sogenannten Singularität. Das ist der Zeitpunkt, an „dem Künstliche Intelligenz die menschliche Intelligenz erreichen oder übertreffen wird“ (Alec Ross). Hört man King, liest die Zukunftsvisionen von Alec Ross oder meine Kolumne zu Chatbots, dann spricht eher mehr für als gegen eine deutliche technische Weiterentwicklung. Und tatsächlich drehte sich in diesen Wochen viel um das Thema „machine learning“. Dieser Begriff wird von Fachleuten dem vorgezogen, was wir im Alltag unter „künstlicher Intelligenz“ verstehen.

Machine learning soll alles einfacher, besser, schneller und kostensparender machen. Die Praxis dagegen ernüchtert noch sehr. Ich empfehle dazu den launigen Fintech Podcast #79, wo sich die Fintech-Experten um André Bajorat über Chatbots ärgern. Und ich selbst bekomme Zweifel an der „künstlichen Intelligenz“ großer IT-Konzerne, wenn selbst Apples Spracherkennung das Wort „Hackathon“ in „Herr Karton“ übersetzt und auch sonst die meisten KI-Services derzeit kaum nachhaltigen Mehrwert bringen.

Mehr als 20 Robo-Advisor in Deutschland

Ein Interview mit dem Fachmagazin Wired zeigt den tiefen Graben zwischen Visionen und gegenwärtiger Praxis. Der Investor und Seriengründer Frank Thelen gab sich darin eher pessimistisch in Bezug auf die Digitalisierung in Deutschland und nennt unter anderem die Automobilbranche und das Bankwesen. Ich teile Thelens pessimistische Sicht in Bezug auf das Bankwesen nicht, bin vielleicht aber nicht objektiv. Seine Warnung, dass irgendwann komplett neue Technologien auftauchen, die ganze Wirtschaftszweige auf den Kopf stellen, haben viele Fintechs und Banken längst erkannt und arbeiten am Wandel. Ein gutes Beispiel dafür ist die digitale Anlageberatung oder Robo Advisory (zuletzt in dieser und dieser Kolumne Thema).

Die Studie des deutschen Finanzministeriums über den Fintech-Markt Deutschland hat sich unter anderem mit der digitalen Anlageberatung befasst. Die Autoren schreiben dazu: „Das Segment Vermögensmanagement beinhaltet Fintechs, die die Beratung, Anlage oder Verwaltung von Vermögen sowie die aggregierte Darstellung von persönlichen Finanzkennzahlen anbieten. … Dem Teilsegment Robo Advice werden Portfoliomanagementsysteme zugeordnet, die algorithmusbasiert und in der Regel mit einem hohen Grad an Automatisierung Anlageempfehlungen geben und teilweise auch Anlageentscheidungen treffen.“ Die Beratungsfirma Techfluence zählt in einer aktuellen Erhebung allein in Deutschland 23 Robo-Advisors im B2C und B2B-Geschäft, darunter übrigens auch diverse Angebote etablierter Banken. Für ganz Europa sind es übrigens 64 Firmen.

Die viel diskutierte Frage ist nun, wie es hier weitergeht. 23 Robo-Advisors in einem nicht gerade wertpapierverliebten Deutschland sind wahrscheinlich zu viel. Wollen sie bestehen bleiben, müssen sie sich weiterentwickeln. Der englische Begriff advice steht für Rat beziehungsweise Beratung. Wenn die meisten Robo-Advisor eines bisher nicht machen, dann ist es genau dies: Beratung. Sie sind nämlich vorwiegend algorithmusbasiert, das heißt sie folgen im Prinzip einem theoretisch nachvollziehbaren Formelwerk. Aus bestimmten Eingabedaten der Kunden wird ein bestimmtes Wertpapier- beziehungsweise Fondsportfolio zusammengestellt. Das ist kein Hexenwerk.

Neue Verfahren für die digitalen Anlageberater

Spannender wird es, wenn dieser Ansatz um machine learning erweitert wird. Alec Ross arbeitet in seinem Buch heraus, dass sich die Technologien rund um künstliche Intelligenz und Robotik stark weiterentwickelt haben. Neue Technologien des Informationsmanagements, der Datenanalyse und die Anbindung an die Cloud sollen theoretisch das Umfeld der Kunden viel exakter erfassen und statistisch besser abbilden. Die riesigen Datenschätze der Cloud erlauben es daneben auf Millionen gespeicherte Erfahrungen und ähnliche Fälle zurückzugreifen.

Die Managementberatung Cofinpro hat gerade ein Thesenpapier zu machine learning veröffentlicht. In einer Stellungnahme dazu erwartet sie, dass sich machine learning zu einer Schlüsseltechnologie entwickelt, „die den Menschen künftig nicht ersetzen, aber sehr stark unterstützen wird. In drei bis fünf Jahren werden Unternehmen aller Branchen damit arbeiten, ob sie nun ihre Kunden besser beraten oder aber ihre Prozesse effizienter gestalten wollen.“

Hedgefonds experimentieren schon länger mit künstlicher Intelligenz für ihre Anlagestrategien (siehe dazu dieses Beispiel). Ob sie damit bessere Ergebnisse erzielen oder wir nur über Erfolge lesen können und Misserfolge verschwiegen werden, wissen wir nicht.

Es ist überrascht aber nicht, dass für die digitalen Anlageberater, die sich an Privatkunden richten, ebenfalls über neue Verfahren gebrütet wird. An einer Blaupause dazu arbeitet zum Beispiel der 2011 gestartete Robo-Advisor-Pionier Wealthfront. Mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz lassen sich nach ihren Vorstellungen auch komplexere Beratungssituationen automatisieren. So können Gebühren, steuerliche Besonderheiten und auch das persönliche Ausgabenverhalten über die Analyse der Kontoaktivitäten auswerten und für Anlageempfehlungen berücksichtigen.

Manche glauben, dass Robo-Advisors niemals traditionelle Investment-Manager ersetzen können. Ich bin mir da nicht mehr so sicher. Bill Gates hat auch einmal geglaubt, mit dem Internet lasse sich kein Geld verdienen. Und wer hätte vor fünf Jahren schon erwartet, dass wir selbstfahrende Autos für realistisch halten könnten.

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