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Margarete Stokowski

Ehegattensplitting Das Aroma verfaulender Äpfel

Die Ehe für alle ist da. Wozu braucht man jetzt noch das Ehegattensplitting, mit dem der Staat weiterhin das Patriarchat unterstützt?
Foto: Wolfgang Kumm/ dpa

Von Friedrich Schiller erzählt man, er habe in seiner Schreibtischschublade faule Äpfel gelagert, weil er den Geruch von Verfall beim Schreiben mochte. Schon bisschen eklig, aber in der Tendenz nachvollziehbar: Jetzt, wo allenthalben Konservative davon sprechen, dass mit der "Ehe für alle" die Grundwerte unserer Gesellschaft zerfallen, fühlt es sich auch gar nicht so schlecht an. Der CSU-Abgeordnete Peter Ramsauer sagte, "die CDU-Führung soll sich davor hüten, auch noch die letzten konservativen Werte zu zerstören", und sein Parteikollege Hans-Peter Friedrich schrieb auf Twitter  sogar von der "Auflösung der gesellschaftlichen Ordnung". So schön und inspirierend!

Ein Anfang ist gemacht. Das konservative Konzept der Ehe bröckelt, und jetzt ist die Frage: Kann es ein nichtkonservatives Konzept von Ehe geben, oder haben wir es mit einer Art abblätternder Raufasertapete zu tun, bei der man immer weiter rumfummeln muss und kleine Fetzen abzieht, wobei sich dann irgendwann zugleich ein paar Bröckchen Putz lösen, immer mehr, bis eines schönen Moments die Mauern freiliegen und man sich plötzlich daran erinnert, wie gerne man schon mal einen Vorschlaghammer ausprobieren wollte? Who knows. Klar ist, dass die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare nicht die letzte Änderung am Konzept der Ehe bleiben wird.

Und was machen wir morgen? Das Ehegattensplitting abschaffen! Was ist das für ein merkwürdiger Move, Geld dafür sparen zu wollen, dass man einem anderen Menschen Treue verspricht? Ehegattensplitting ist letztlich eine sozial weitgehend akzeptierte Nebenform von Prostitution: Ich spare Steuern, indem ich den Staat daran teilhaben lasse, mit wem ich mein Bett teile. Was soll das? Dabei ist das Problem gar nicht das der Prostitution, die unter geregelten Bedingungen stattfinden können sollte. Das Problem ist, wenn so getan wird, als sei die Beziehungsform "Ehe" für die Gesellschaft irgendwie wertvoller als andere Formen. Was für ein Quatsch, wenn man weiß, dass Kinder auch ohne Ehe zustande kommen und sowieso mehr als jede dritte Ehe geschieden wird .

Frauen von beruflichen Plänen fernhalten

Man muss nicht zwangsläufig die Institution der Ehe abschaffen. Dass Menschen zusammenleben und das feiern, ist wunderschön. Lebenslange Treue, Verbindlichkeit, Fürsorge, wer könnte etwas dagegen haben, wenn zwei Leute das so für sich wollen? Betonung auf "für sich".

Es gab mal Gründe für Monogamie und Ehe , unter anderem das Bedürfnis, Vaterschaften eindeutiger zuordnen zu können, aber dafür gibt es inzwischen ganz gute Tests. Die Interessen, die der Staat heute noch daran hat, dass Menschen füreinander da sind und Kinder kriegen, lassen sich auch befriedigen, ohne dass man Leute mit Geld in eine Beziehungsform lockt, die sie ansonsten vielleicht nie angefangen hätten.

Wer Gleichberechtigung in Ehefragen fordert, sollte sie nicht nur für diejenigen fordern, die heiraten wollen und bisher nicht konnten, sondern auch für die, die nicht wollen, obwohl sie könnten.

Dass der Staat die Ehe finanziell bevorzugt, kommt nicht daher, dass er besonders romantisch wäre, sondern dass man 1958, als das Ehegattensplitting eingeführt wurde, noch ganz andere Vorstellungen davon hatte, wie das Zusammenleben von Leuten aussehen sollte. Eine ähnliche Zusammenlegung der zu versteuernden Einkommen  gab es auch schon im Nationalsozialismus ab 1934, praktischerweise konnten sich Frauen dann auf ihre Rolle als Mutter und Ehefrau besinnen und wurden von beruflichen Plänen ferngehalten.

Ungerechtigkeiten werden immer weitergetragen

Auch wenn es unscheinbar daherkommt, ist das Ehegattensplitting nicht einfach nur eine bürokratische Nebenfrage, sondern ein zentrales Machtinstrument, mit dem der Staat das Patriarchat stützt. So klein und filigran viele der Entscheidungen und Erlebnisse sind, in denen Ungerechtigkeiten immer weitergetragen werden, so manifest ist im Ehegattensplitting die Unterstützung des Staats in der Aufteilung: Mann verdient Geld, Frau bleibt abhängig.

Es kann theoretisch auch andersrum sein, klar. Passiert nur selten.

Dem modernen Feminismus wird manchmal vorgeworfen, sich zu viel mit Körperfragen und Kleinkram zu beschäftigen statt mit ökonomischen Zusammenhängen. Ich teile diese Sichtweise nicht, aber voilà, hier ist ein sehr präziser Punkt: Weg mit dem Ehegattensplitting.

Finanzielle Vorteile für bestimmte Lebensformen können bleiben, aber für Leute, die Kinder erziehen oder Angehörige oder andere Menschen pflegen. Die Ehe selbst kann auch bleiben. Eigentlich muss man gerade, um die Ehe angemessen zu würdigen, das Ehegattensplitting abschaffen. Denn nur so kann man sicher sein, dass Leute freiwillig heiraten und nicht aus so banalen Gründen wie eingespartem Geld. Ist doch viel romantischer.